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Radiolexikon: Helicobacter pylori

Es war einmal...

Von Andrea Westhoff | 18.03.2008
    Ein leitender Angestellter morgens im Büro: Die Sekretärin meldet den Chef - dringend! - auf Leitung drei, das Handy klingelt, der PC zeigt den Eingang von 32 neuen E-Mails an, und die Börsenkurse, die permanent über den Fernsehbildschirm flimmern, weisen steil nach unten. Er presst sich die Hand auf den Magen, der höllisch brennt, Übelkeit überkommt ihn, Krämpfe im Bauch. Wahrscheinlich eine Magenschleimhautentzündung, vielleicht sogar ein Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür durch all den Stress und Ärger - die "Managerkrankheit" halt."

    Wie gesagt: Es war einmal...

    "Da hat sich in den letzten 20 Jahren eine Revolution ergeben,"

    erzählt der Pathologe Professor Manfred Stolte aus Bayreuth:

    "1983 hat erstmals ein australischer Pathologe Bakterien auf der Magenschleimhaut beschrieben, was wir alle zunächst nicht geglaubt haben, denn im Magen ist ja Magensäure, und Magensäure zerstört Bakterien."

    Helicobacter pylori wurde das stäbchenförmige Bakterium genannt, das Robin Warren und der junge Arzt Barry Marshall entdeckt hatten. Tatsächlich ein wahrer Überlebenskünstler, sagt der Magen-Darm-Spezialist der Berliner Charité, Professor Martin Zeitz:

    "Die Helicobacter-Bakterien sind an diese spezielle Situation angepasst. Durch verschiedene Mechanismen: Zum einen sind sie gut beweglich, schnell beweglich, sie können den Magenschleim durchdringen, die Magenzellen sind ja selbst geschützt gegen die Säure durch einen Schleim, sie wandern praktisch durch den Schleim durch und haften dann an die Magenschleimhautzellen an. Der zweite wichtige Faktor ist, sie können um sich herum ein Milieu schaffen, was die Säure blockiert. Und dadurch können sie überleben."

    Doch der Streit ging weiter: Nachdem die Fachwelt einsehen musste, dass es sehr wohl Bakterien im Magen geben kann, bestritt man nun, dass sie irgendeine krankmachende Bedeutung hätten. Sie seien vermutlich "so harmlos wie Hautpilze", hieß es. Barry Marshall griff schließlich zum Äußersten und trank einen Saft voller Helicobacter-Keime. Erst seine eigenen akribisch dokumentierten Magenschmerzen, Brechanfälle und ähnlichen Symptome, die er zum Glück mit Antibiotika wieder beseitigen konnte, überzeugten die Fachwelt. 2005 bekamen er und Robin Warren sogar den Medizin-Nobelpreis für ihre Entdeckung... und "Stress" als Erklärung für die meisten Magenbeschwerden hatte ausgedient.

    "Die Entdeckung des Helicobacter als Ursache für diese Krankheiten hat sicher unser Denken revolutioniert. Wir wissen, dass der Magen durch Stressfaktoren geschädigt werden kann, das betrifft aber insbesondere schwerstkranke Menschen, Verbrennungsopfer, Intensivpatienten, die können wirklich relevante Stress-Veränderungen am Magen bekommen, aber das - in Anführungsstrichen - normale Magengeschwür, das ist keine psychosomatische Erkrankung!"

    Helicobacter pylori ist ein weltweit verbreiteter Krankheitserreger, besonders häufig in Entwicklungsländern. Aber auch hierzulande tragen vor allem viele ältere Menschen den Keim in sich. Er ist ansteckend, aber wie genau diese Bakterien in den Magen hineinkommen, weiß man noch nicht.

    "Wahrscheinlich am ehesten von Mensch zu Mensch."

    Nun verursacht das Magenbakterium nur bei etwa zehn Prozent der Infizierten Beschwerden, trotzdem ist Helicobacter ein durchaus gefährlicher Krankheitserreger. Martin Zeitz:

    "Das Entscheidende ist zunächst mal, dass das Bakterium im Magen eine chronische Entzündung hervorruft. Das zweite ist, dass wir in der Zwischenzeit wissen, dass der überwiegende Teil der Zwölffingerdarmgeschwüre und auch Magengeschwüre durch den Helicobacter verursacht werden. Und was man schließlich auch sagen muss, es gibt bestimmte Tumoren neben dem Magenkrebs, die so genannten Magenlymphome, die von den Immunzellen im Magen ausgehen, die auch mit Helicobacterinfektion zusammen hängen."

    Eine Helicobacter-Infektion kann heute eindeutig diagnostiziert werden. Es gibt inzwischen einen Bluttest auf Antikörper und auch einen speziellen Atemtest, der vor allem nach einer Therapie zur Kontrolle angewendet wird. Am sichersten ist aber nach wie vor eine Magenspiegelung, mit der neben dem Bakterium auch bereits vorhandene Gewebeschäden erkannt werden können. Die "Gastroskopie" macht vielen Angst, ist aber lange nicht mehr so schlimm wie früher...

    Man kann sich vorher den Rachen betäuben lassen oder auch ein leicht schläfrig machendes Beruhigungsmittel bekommen. Der "Schlauch", das "Gastroskop", ist sehr beweglich und hat einen Durchmesser von weniger als einem Zentimeter. Man liegt auf der linken Seite, und dann wird das Gerät vorsichtig über den Mund, durch die Speiseröhre in den Magen bis zum Zwölffingerdarm geschoben. Meist leitet der Arzt noch etwas Luft ein, damit sich der Magen ganz entfalten. Durch das Gastroskop können auch Videobilder auf einen Monitor übertragen sowie Gewebeproben von ein bis zwei Millimeter Größe entnommen werden. Im Regelfall ist es nach wenigen Minuten überstanden.

    Einmal gefunden, lässt sich die Helicobacter-Infektion im Prinzip gut therapieren.

    "Man behandelt den Helicobacter durch eine Kombination aus verschiedenen Antibiotika und einem Medikament, was die Magensäure hemmt. Wenn man das konsequent einsetzt, kann man erreichen, dass so eine Behandlung in über 90 Prozent der Fälle zum Verschwinden des Bakteriums führt. Man muss diese Antibiotika sehr konsequent einnehmen, für eine Woche in der Regel, manchmal zehn Tage oder etwas länger, aber damit kann man es beseitigen."

    Allerdings bedeutet das Verschwinden des krankmachenden Keims nicht, dass damit auch alle Schäden, die er vielleicht schon seit Jahren im Magen angerichtet hat, verschwunden sind. Und: Man kann sich erneut infizieren, ist also nicht lebenslang geheilt. Aber das Risiko ist sehr gering, meint Professor Zeitz. Dafür gibt es mehr und mehr Patienten, deren Helicobacter-Keime resistent gegen eines der Antibiotika oder sogar gegen beide sind.

    "Deshalb müssen wir diese Schemata auch wechseln, und wir müssen zum Teil die Zeit, Behandlungszeit, verlängern, und in speziellen Fällen, wo es besonders wichtig ist, das Bakterium wegzunehmen, muss man auch Resistenztestungen machen, das Bakterium anzüchten und dann gucken auf welches Antibiotikum es am besten anspricht, und dann die Behandlung durchführen."

    Gerade angesichts zunehmender Antibiotika-Resistenzen wäre es natürlich hilfreich, wenn man der Infektion vorbeugen könnte. Professor Martin Zeitz von der Berliner Charité

    "Wir selbst arbeiten wissenschaftlich zusammen mit dem Max-Planck-Institut hier in Berlin an einer Impfung. Es gibt aber bisher keinen wirklich etablierten und gesicherten Impfstoff gegen diese Infektion. Für uns ist es wahrscheinlich nicht so relevant hier. Aber sie könnte gerade für solche Regionen der Welt, wo Magenkrebs sehr viel häufiger ist als bei uns, von Bedeutung sein."

    In China zum Beispiel stirbt alle zwei bis drei Minuten ein Mensch an Magenkrebs! Und der ist - wie gesagt - eine der möglichen Folgeerkrankungen einer Helicobacter-Infektion. Insofern gilt heute unter Experten die konsequente Beseitigung des Keims selbst schon als wichtige Vorbeugemaßnahme gegen schwere Magenerkrankungen und sogar Krebs. Zwar diskutieren einige Wissenschaftler auch über mögliche Nachteile, ob zum Beispiel das Risiko für Speiseröhrenkrebs oder für Allergien ansteigt. Der Bayreuther Professor Manfred Stolte, Spezialist für Magen-Darm-Pathologie, betont jedoch:

    "Als ich noch junger Arzt war, waren Geschwürsleiden sehr häufig, wurden häufig operiert, ein Teil des Magens wurde herausgeschnitten. Dadurch, dass wir jetzt wissen, dass dieses Geschwürsleiden Folge dieser Infektion ist, können wir die Infektion beseitigen. Das früher sehr häufige Zwölffingerdarmgeschwür existiert kaum noch. Magengeschwüre haben jetzt eine andere Hauptursache. Jetzt ist es die Einnahme von bestimmten Medikamenten! Und wir haben weiterhin gelernt in den letzten 20 Jahren, dass der Magenkrebs, die zweithäufigste Krebstodesursache in der Welt, auch Folge dieser Infektion ist. Und seit etwa drei bis vier Jahren erleben wir einen drastischen Rückgang der Magenkrebshäufigkeit in Deutschland. Und als noch viel unglaublichere Story stellte sich dann heraus, dass auch der zweithäufigste bösartige Tumor des Magens, das Magenlymphom, nicht nur auch Folge dieser Infektion ist, sondern wenn man dieses Lymphom früh erkennt und die Infektion beseitigt, dann verschwindet auch dieser bösartige Tumor und muss nicht mehr operiert werden."