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Radiolexikon Juckreiz

Dem Juckreiz wurde lange wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dabei ist er gar nicht selten. Akuter Juckreiz erfüllt eine Warnfunktion: Er warnt uns vor Insekten, Parasiten oder schädlichen Pflanzenbestandteilen wie etwa von Brennnesseln, die dann durch Kratzen entfernt werden. Bleibt der Juckreiz aber über mehrere Wochen bestehen, wird er chronisch.

Von Renate Rutta | 02.02.2010
    "Das hat angefangen mit Hautausschlägen, die juckten und die wurden immer größer.

    So beißend, brennend, und dann natürlich, wenn ich anfange hier zu kratzen, dann zieht das mir immer weiter, weiter, weiter.

    Beginnend immer am linken Bein, arbeitet sich dann ein bisschen höher, der Unterschenkel ist betroffen. Also ich hab's schon so schlimm gehabt, dass ich mir wirklich Kühlakkus ums Bein gebunden habe, damit das aufhört, weil es unerträglich wurde, oder einfach kalt abduschen, hilft auf jeden Fall. Kälte kommt wirklich gut.

    Also, es fängt langsam an zu jucken, es ist ne gerötete Stelle und dann meistens punktuell.

    Freizeit - konnte ich kaum anfangen mit Freizeit. Ich war mit dem Thema beschäftigt, mit Jucken. Ich war fast immer allein.

    Ja und dann wurds halt immer schlimmer und schlimmer.

    Kratzen, kratzen, bis der Arzt kommt."

    Ein Mückenstich allein ist harmlos, aber wenn man Mückenstiche am ganzen Körper hätte – wer sich das vorstellt, bekommt eine Idee davon, wie sich Menschen fühlen, für die Juckreiz tagtäglich zur Plage geworden ist.

    "Wie fühlt sich Juckreiz an, die Frage ist schwer zu beantworten: Es kitzelt halt, ist einfach unerträglich, sehr, sehr unangenehm.

    Da gibt’s ne alte Definition von 1640, die besagt, Juckreiz ist eine unangenehme Sinnesempfindung, die zu Kratzen führt. Und das können Patienten bestätigen, die berichten meist von einem unstillbaren Kratzverlangen."

    Dem Juckreiz wurde lange wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dabei ist er gar nicht selten. Prof. Dr. Sonja Ständer, Leiterin am Kompetenzzentrum und der Juckreizambulanz an der Universitätshautklinik Münster:

    "Wir waren sehr überrascht, weil diese Daten alle Zahlen übertroffen haben, mit denen man bisher gerechnet hat und von denen man ausgegangen ist.
    Wir haben jetzt erste Studien vorliegen für Deutschland. Demnach ist die Rate von Juckreiz in der Allgemeinbevölkerung so zwischen 13 und 17 Prozent, was enorm ist. Wenn man die älteren Patienten separat betrachtet, dann ist es über 20 Prozent."

    Juckreiz ist nicht gleich Juckreiz. Er kann sich ganz unterschiedlich anfühlen.

    "Beim einen Patient tritt ein reiner Juckreiz auf, beim nächsten ein Juckreiz mit Brennen, beim dritten wieder ein Stechen und Pieksen und Juckreiz. Manche sagen, der Juckreiz schwebt über der Haut. Manche sagen, der Juckreiz ist tief in der Haut. Da gibt’s ganz unterschiedliche Qualitäten."

    Akuter Juckreiz erfüllt eine Warnfunktion: Er warnt uns vor Insekten, Parasiten oder schädlichen Pflanzenbestandteilen wie etwa von Brennnesseln, die dann durch Kratzen entfernt werden. Bleibt der Juckreiz aber über mehrere Wochen bestehen, wird er chronisch. Als Ursachen kommen verschiedene Erkrankungen in Betracht.

    "Viele Hauterkrankungen verursachen Juckreiz, darunter die Schuppenflechte und die Neurodermitis an erster Stelle zu nennen. Dann verursachen Lebererkrankungen oder Nierenerkrankungen, schwere Nierenerkrankungen, Juckreiz. Viele Patienten, die dialysepflichtig sind, empfinden einen quälenden Juckreiz. Es gibt auch Bluterkrankungen, die Juckreiz verursachen, auch bösartige Erkrankungen können selten Juckreiz verursachen."

    Um herauszufinden, welche Ursache dem Juckreiz zugrunde liegt, stellen die Hautärzte der Münsteraner Juckreizambulanz jedem Patienten erst einmal Fragen. Dr. Quan Phan:

    "Seit wann haben Sie den Juckreiz?

    Jetzt seit mehreren Jahren, beginnend etwa 2006.

    Wo juckt es, am ganzen Körper oder nur an bestimmten Teilen?

    Beginnend am linken Bein, das wurde über den gesamten Unterschenkel verteilt und hat dann auch andere Körperstellen betroffen.

    Und als er angefangen hat, hatten Sie Hautveränderungen, die gejuckt haben, oder juckt die unauffällige Haut?

    Nein, es waren Veränderungen da, es gab Pöckchen, Bläschenbildung, und die haben sehr stark gejuckt.

    Und von der Qualität her, ist das eher ein reines Jucken oder auch ein Kribbeln, Stechen, Brennen dabei?

    Seitdem ich es besser beobachte, ist auch noch ein Kribbeln dazugekommen. Aber auslösend war nur ein Juckreiz, und der wurde immer stärker.

    Und haben Sie täglich Juckreiz?

    Ja!

    Kontinuierlich oder attackenartig?

    Das sind richtige Juckreizattacken. Da muss ich kratzen, das kann ich auch nicht verhindern, solange bis es blutet und weh tut, und dann hört es zwangsläufig auf."

    Ständiger Juckreiz verleitet zu permanentem Kratzen. Das kann auf Dauer nicht unterdrückt werden, denn Kratzen ist ein Reflex, den man nicht einfach abstellen kann, so Prof. Sonja Ständer:

    "Das Signal Juckreiz wird aus der Haut ganz schnell ins Gehirn transportiert, und dort erfolgen verschiedene Reaktionen. Einmal erfolgt die Bewertung, dass der Reiz an sich unangenehm ist. Die Empfindung des Juckreizes erfolgt noch mal in einer anderen Gehirnregion, und dann haben Studien der letzten Jahre gezeigt, dass noch weitere Areale im Gehirn aktiviert werden, wenn es juckt, nämlich Areale, die ein angenehmes Gefühl verstärken, wenn man sich kratzt. Und das erklärt, warum Kratzen so angenehm ist."

    Dauernder Juckreiz erzeugt Stress und zerrt an den Nerven der Patienten – vor allem wenn sie noch gute Ratschläge bekommen:

    "Viele Leute in der Umgebung kritisieren das dann auch oder meinen, einem zu helfen, indem sie sagen: Du darfst nicht kratzen, hör auf zu kratzen. Und es geht sogar so weit, dass in der Familie das schon als nervend empfunden wird. Man sitzt gemeinsam auf der Couch, und diesen Kratzimpuls zu unterdrücken, das schafft man ne gewisse Zeit, aber nicht immer. Und wenn sich solche Sachen wiederholen, wird’s auch für die Umwelt unangenehm, nervend."

    Gar nicht selten ziehen sich Patienten zurück, wollen ihre Haut nicht zeigen und bleiben am liebsten zuhause, einige entwickeln daraufhin eine Depression.

    Dabei gibt es für viele gute Behandlungsaussichten. Genau wie die Diagnose wird auch die Therapie mit Cremes, Salben oder Medikamenten individuell zusammengestellt.

    "Juckreiz, der länger als sechs Wochen dauert, ist ein chronischer Juckreiz, und dieser Juckreiz muss abgeklärt werden. Gerade in den ersten Jahren, wenn man Juckreiz hat, können Erkrankungen dahinterstecken, die auch jahrelang nach Beginn des Juckreizes noch ausbrechen können. Besteht ein Juckreiz jahre- und jahrzehntelang, hat man es meist mit einem Juckreizgedächtnis zu tun. Wobei wir noch nicht wissen, was sich wissenschaftlich dahinter verbirgt. Aber wir wissen, dass wir da mit äußerlicher Therapie alleine nicht hinkommen, man muss dann innerlich systemisch therapieren."

    Wichtig ist natürlich auch eine gute Hautpflege.

    "Wenn die Haut trocken wird, dann kann sie mehr irritiert werden, kann mehr jucken. Wenn man das Fett und die Feuchtigkeit rauswäscht, das kann passieren durch häufiges Baden, häufiges Waschen, heißes Duschen, wenn man viel in Chlor badet oder im Meerwasser, ohne sich rückzufetten. Das heißt, wenn man duscht, dann mit lauwarmem Wasser kurz, und danach sollte man die Haut gut rückfetten. Da kann man auf Cremes aus der Apotheke zurückgreifen, die enthalten wenig Konservierungsstoffe und wenig Duftstoffe, die weiter die Allergien fördern können."