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Radiolexikon: Knochenmarktransplantation

In Deutschland erkranken circa 11.000 Menschen jedes Jahr neu an Leukämie. Oft besteht die einzige Hoffnung auf Heilung darin, einen geeigneten Knochenmark- oder Stammzellspender zu finden.

Von Renate Rutta | 08.01.2008
    " In der Schule hatte ich einen Freund, der an Leukämie erkrankt war. Ich konnte mich zu der Zeit noch nicht aufnehmen lassen, weil ich noch nicht volljährig war und dann hab ich mich auf einer öffentlichen Aktion typisieren lassen."

    Köln-Braunsfeld, Büro der Deutschen Knochenmarkspenderdatei, kurz DKMS. Daniel Nolte, 27 Jahre alt, ist einer von rund 12.000 Menschen in Deutschland, die schon Stammzellen für einen Leukämiekranken gespendet haben.

    Anders als bei der Blutspende, bei der jeder Spender tatsächlich seine Blutspende abgibt, wird man bei der Knochenmark- und Stammzellspende erst einmal potentieller Spender.
    Ärztin Aysegül Neumann-Acikel berät und untersucht bei der DKMS Menschen, die sich zu einer Spende bereit erklären.

    "Also es ist folgendermaßen: man kann nicht sagen, ich möchte spenden. Es ist nicht so wie bei einer Blutspende, denn bei der Stammzellspende müssen die Gewebemerkmale passen und das ist sehr, sehr selten. Deswegen ist es auch nötig, dass wir so eine große Datei haben."

    In der DKMS sind deshalb etwa 1,6 Millionen potentielle Spender gespeichert. Es kann dann noch Jahre dauern, bis ein potentieller Spender tatsächlich zum Spender wird wie bei Daniel Nolte.

    "Ich bekam Anfang 2004 einen Anruf, dass ich eventuell zu einem Patienten passen könnte, musste dann noch mal eine Blutentnahme machen und dann kam auch drei Monate später der endgültige Anruf, dass ich der entsprechende Spender bin."

    Die Knochenmark- und Stammzelltransplantation wird vor allem zur Behandlung von Anämien, angeborenen Immundefekten, Leukämien und bösartigen Lymphomen angewandt. Ziel ist es, das blutbildende System zu regenerieren. Die Suche nach einem Spender beginnt in der eigenen Familie. Wird man dort nicht fündig, wird ein Fremdspender gesucht. Inzwischen kann für etwa 80 Prozent der Betroffenen ein passender Spender gefunden werden. Doch wer kann überhaupt spenden? Aysegül Neumann-Acikel:

    "Jeder, der volljährig ist bis 55 - das ist eine Grenze, die wir festgelegt haben - darf Spender werden. Natürlich jeder gesunde Spender, das heißt es gibt einige Kriterien, die zum Ausschluss führen können. Das kann Drogenmissbrauch sein, das kann sein, wenn man in eine Risikogruppe gehört oder Infektionserkrankungen hat oder auch chronische Erkrankungen wie Asthma, Herzkrankheiten, dann darf man nicht spenden."

    "Wenn jemand potentieller Spender werden möchte, gibt er fünf Milliliter Blut ab. Das ist die Voraussetzung, um die ersten vier Gewebemerkmale bestimmen zu lassen und somit ist er erstmal in der Datei angelegt. "

    Es gibt zwei unterschiedliche Entnahmearten: die sogenannte periphere Stammzellentnahme aus dem Blut. Das ist die häufigste Entnahmeart. Und die Knochenmarkentnahme aus dem Beckenknochen, an einer Stelle, die von außen relativ gut zugänglich ist.

    "Die Knochenmarkspende wird dem Spender aus dem Beckenkamm entnommen, er ist in einer Vollnarkose und es wird jeweils rechts und oder links je nachdem wie viel Stammzellen benötigt werden, aus dem Beckenkamm punktiert. Bei der peripheren Stammzellentnahme bekommt der Spender ein künstliches Hormon. Dies wird ihm vier bis fünf Tage appliziert unter die Haut. Das kann der Hausarzt machen, das machen manche Spender auch selber. Dieses Hormon reichert die Stammzellspenden im Blut an, das heißt, sie werden aus den Knochen in den Blutkreislauf abgegeben und auch vermehrt, so dass man nach einigen Tagen aus dem Blut diese Stammzellen entnehmen kann."

    Bei Daniel Nolte wurde diese periphere Stammzellentnahme aus dem Blut vorgenommen. Nach einer weiteren Untersuchung musste er morgens in die Entnahmeklinik. Die Spende dauerte etwa fünf Stunden. Sein Blut floss während dieser Zeit durch einen sogenannten Zellseparator und dann wieder in den Körper zurück. In diesem Gerät werden die Stammzellen für die Transplantation gesammelt. Währenddessen saß er in einem bequemen Sessel und konnte lesen und fernsehen.

    " Also die Spende lief so ab, dass mir im linken Arm ein Zugang gelegt wurde mit einer Nadel und am rechten Arm das gleiche, das Blut durch diese Abnahmestation dann lief, dort halt filtriert wurde und auf der andern Seite dann wieder zurückgegeben wurde. Also es war in dem Moment, während der Spende maximal immer 120 Milliliter von meinem Blut in diesem Umlauf und die 120 Milliliter fehlten mir in diesem Moment aber mehr halt nicht. Und auf der rechten Seite wurde im Grunde filtriert das Blut wieder zurückgegeben. Es fehlten aus dem Blut nur die Stammzellen."

    Das Knochenmark enthält Stammzellen, aus denen sich sämtliche Zellen des Blutes und des Immunsystems andauernd neu bilden. Aus ihnen entstehen auch die lebensnotwendigen weißen Blutkörperchen. Ist dieser Mechanismus gestört, kann man intakte Zellen aus dem Knochenmark oder dem Blut eines Spenders transplantieren. Damit die transplantierten Zellen nicht vom Körper des Empfängers abgestoßen werden, müssen die Gewebemerkmale zwischen Spender und Patient nahezu hundertprozentig übereinstimmen.

    "Die Gewebemerkmale liegen auf unseren Stammzellen, auch auf allen anderen Körperzellen, und sind quasi so etwas wie ein Identifikationsmerkmal, das heißt damit schützen sich die Zellen und können andere Zellen identifizieren ähnlich wie der Fingerabdruck. Die Merkmale sind individuell von Mensch zu Mensch unterschiedlich."

    Welche Art der Spende vorgenommen wird, aus dem Blut oder aus dem Beckenknochen, das hängt häufig von der Erkrankung des Patienten ab. Die Knochenmarkentnahme aus dem Beckenknochen wird in Vollnarkose durchgeführt. Der Spender muss dann drei Tage im Krankenhaus bleiben und trägt ein gewisses Narkoserisiko.

    Die meisten Spender von Blutstammzellen berichten - wie auch Daniel Nolte - von leichten Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und Gliederschmerzen, die aber nach der Spende bald wieder verschwinden. Danach fühlten sie sich noch zwei bis drei Tage etwas schlapp.

    "Man geht aus der Klinik raus und denkt, das war jetzt schon alles? Weil man wirklich nur in diesem Stuhl sitzt und die ganze Zeit überhaupt nichts macht, einfach nur wartet und dann aus der Klinik rausgeht und wirklich in dem Moment einem Menschen eventuell eine Chance auf ein neues Leben gegeben zu haben mit rumsitzen. Das ist zwar ein schönes Gefühl aber man hat irgendwie das Gefühl, man hätte was machen müssen, um jemand zu helfen."

    Beim Hausarzt werden die Spender dann regelmäßig weiter untersucht. Anders als bei der Blutspende erhält der Stammzellspender kein Geld für seine Spende. Nach zwei Jahren können sich auf Wunsch Spender und Patient kennenlernen. Daniel Noltes Stammzell-Empfängerin hat sich bisher nicht gemeldet aber er hat erfahren, dass sie auf dem Weg der Besserung ist.

    " Also ich hab erfahren, dass es eine Frau in Schweden war und dass es ihr jetzt sehr gut geht. (Also) es sieht so aus, als hätte die Patientin die Stammzellen angenommen, wäre jetzt gesund und ihr geht's wohl sehr gut."