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Radiolexikon Mittelohrentzündung

Gerade jetzt häufen sich wieder Erkältungen. Besonders kleine Kinder haben eine noch nicht vollständig ausgebildete Immunabwehr, daher bekommen sie besonders häufig einen Schnupfen. Eigentlich nicht schlimm, doch gerade bei Kindern können Erkältungen auf das Ohr übergreifen und eine Mittelohrentzündung ist die Folge.

Von Thomas Liesen | 09.12.2008
    Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße in Köln. Ein kleiner, etwa siebenjähriger Junge liegt auf der Untersuchungsliege. Blass, matt, fiebrig, er klagt über Kopfschmerzen. Die Stationsschwester berichtet dem Oberarzt Dr. Matthias Wißkirchen.

    "Heute morgen war er noch gesund, ist in die Schule gegangen, hat dann morgens einmal erbrochen, mittags einmal erbrochen."

    Der Junge hat sich offenbar eine Infektion eingefangen.

    "Hast du schon Laborwerte?"

    "Mache ich jetzt."

    "Ich guck jetzt noch mal."

    Matthias Wißkirchen untersucht den Jungen, tastet den Bauch, schaut ihm in den Rachen. Und er kontrolliert mit einem so genannten Ohrenspiegel beide Ohren, denn bei Kindern ist eine Krankheit mit die häufigste Ursache für fiebrige Beschwerden: Die Mittelohrentzündung.

    "Das Kardinalsymptom ist der heftige Ohrschmerz. Wenn Kinder schon sprechen können, können die das sagen. Bei kleineren Kindern kann sich das in einer Unruhe oder Gereiztheit äußern, so dass ein Kinderarzt bei einer fiebrigen Erkrankung oder einem unruhigen Säugling immer auch in die Ohren guckt, einfach weil man es sonst übersieht."

    Gerade jetzt in der kalten Jahreszeit sind Mittelohrentzündungen häufiger Grund für einen Arzt- oder sogar Krankenhausbesuch. Der Blick in den Gehörgang offenbart dann schnell, ob sich der Verdacht bestätigt.

    "Und was man dort sieht, sind Zeichen der Entzündung. Man sieht ein gerötetes Trommelfell, man sieht in dem Mittelohr, hinter dem Trommelfell vom Betrachter aus gesprochen, sieht man einen so genannten Erguss, das heißt es ist entzündliche Flüssigkeitsausschwitzung, vielleicht sogar eitrige Flüssigkeit, die sich dann gelblich darstellt, zu sehen, die das Trommelfell klassisch auch vorwölbt. Da ist also Druck und das ist das, was besonders schmerzhaft ist. Der Druck, der entsteht, durch das Mehr an Flüssigkeit im Mittelohr."

    Ursache für die Erkrankung ist fast immer die gleiche: Das Kind ist erkältet oder hat eine Halsentzündung. Viren und Bakterien besiedeln die Schleimhäute das Nasen- und Rachenraumes. Und diese Erreger können dann regelrecht aufsteigen, denn Rachen und Mittelohr sind über einen feinen Kanal miteinander verbunden. Diese so genannte Eustachische Röhre ist wichtig, um den Druck zwischen Mittelohr und Umgebung auszugleichen. Im Falle einer Erkältung wird er aber auch Eintrittspforte für Infektionserreger. Und das besonders bei Kindern, denn bei ihnen ist die Eustachische Röhre noch sehr eng. Einmal eingedrungenes, mit Bakterien angereichertes Sekret aus dem Rachenraum kann nicht gut aus dem Ohr abfließen. Fast jedes kleine Kind macht daher mindestens einmal eine Mittelohrentzündung durch. Allerdings: Nicht immer muss man damit sofort zum Arzt.

    "Wenn das Kind nicht hoch fiebert und der Ohrenschmerz das einzige Symptom ist, kann man erst mal versuchen, das mit einem Schmerzmittel zuhause zu behandeln, mit Paracetamol, einem Zäpfchen oder Ibuprofen, das sind so die beiden klassischen Substanzen, die man einsetzt. Eine Mittelohrentzündung ist selten ein Notfall. Wenn allerdings das Ohr läuft und dort Eiter herausläuft, dann sollte man schon einen Arzt aufsuchen, der sich mal anschaut, was da genau hinter steckt."

    Denn es gibt eine Reihe von Komplikationen, die entstehen können, wenn die Infektion zu stark wird.

    "Es kann sein, dass der Druck im Mittelohr so stark wird, dass das Trommelfell platzt, einfach gesprochen, dass es sich eröffnet, das bringt erst mal Erleichterung hinsichtlich des Schmerzes und hilft auch in der Abheilung. Allerdings bleibt eine Narbe zurück und das ist etwas, was man vermeiden möchte."

    "Dann würde ich ihnen jetzt erst mal in den Hals gucken und dann auf jeden Fall in jedes Ohr. Nehmen wir diesen Ohrenspiegel. So, ok. Und jetzt dann einmal den Mund bitte öffnen. Und jetzt gucke ich in das eine Ohr, ziept ein bisschen, vorsicht. Ja, das ist ein bisschen gerötet das Trommelfell. Jetzt schauen wir mal in die andere Seite, das ist ja die, wo es ihnen am meisten weh tut. Ja, und hier sieht man schon, dass das Trommelfell deutlich entzündet ist."

    Dr. Katja Römer ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und Infektiologie. Neben vielen Kindern kommen auch ab und zu Erwachsene mit Ohrenschmerzen in ihre Praxis. Vor allem eine lang anhaltende, heftige Erkältung führt auch bei ihnen gelegentlich zur Mittelohrentzündung. Zunächst behandelt sie solche Fälle eher zurückhaltend.

    "Als allererstes und die wichtigste Säule ist Nasentropfen, um den Nasen- und Rachenraum frei zu halten und auch die Nase frei zu halten und den Abfluss des Sekrets aus dem Mittelohr zu garantieren. Und je nach Krankheitsdauer und allgemeiner Symptomatik sollte man die Gabe von Antibiotika erwägen."

    Allerdings: Studien haben vor einigen Jahren gezeigt, dass hierzulande eine Mittelohrentzündung rund drei mal häufiger mit Antibiotika behandelt wird als zum Beispiel in Holland. Mittlerweile sind Ärzte - und gerade auch Kinderärzte - deutlich zurückhaltender geworden. Denn Tatsache ist: 80 Prozent aller Mittelohrentzündungen heilen von alleine aus, auch ganz ohne Medikamentengabe. Das wissen die Ärzte. Trotzdem verschreiben sie in vielen Fällen Antibiotika, nicht selten sogar gegen ihre eigene Überzeugung, sagt Matthias Wißkirchen.

    "Man muss, um das Bild zu vervollständigen, aus unserer Sicht aber auch erwähnen, dass viele Eltern vehement nach einem Antibiotikum schreien geradezu, so dass der Kollege in der Notfallambulanz nachts um drei sich manchmal auch nicht anders zu helfen weiß, als diesen Wunsch zu erfüllen, auch wenn das nicht die reine Lehre immer ist. Aber so ist das Leben."

    Manchmal allerdings sind Antibiotika ein Muss. Denn die Infektion kann auf benachbarte Knochen übergreifen. Im Extremfall können Erreger sogar bis zum Gehirn vordringen.
    Aber solche Fälle sind zum Glück sehr selten. Eine eher sanfte Therapie ist daher zumindest zu Beginn der Infektion immer empfehlenswert. Viele Eltern greifen ohnehin erst einmal zu traditionellen Hausmitteln wie dem Zwiebelsäckchen: Ein mit warmen Zwiebelstücken gefülltes Stofftuch wird auf das Ohr gelegt. Doch ob irgendein Naturheilverfahren tatsächlich etwas nützt, ist unter Ärzten umstritten.

    "Hausmittelchen im Sinne einer Wärmeanwendung sind bei einer akuten Mittelohrentzündung eher nicht zu empfehlen, dann alles, was dort an Wärme aufgebracht wird, fördert nur die Eiterentstehung, unter Umständen dann auch den Durchbruch des Trommelfells, das ist dann nicht so wünschenswert."

    Es gibt aber auch viele Ärzte, die Zwiebelsäcken sogar empfehlen oder zumindest nicht davon abraten. Tatsache ist auf jeden Fall: Wissenschaftlich bewiesen ist der Nutzen von Naturheilverfahren wie Zwiebelsäcken oder ätherischen Ölen nicht.
    Am besten wäre natürlich, man könnte einer Mittelohrentzündung vorbeugen. Und in begrenztem Rahmen geht das sogar. Eine Impfung gegen Pneumokokken reduziert die Anfälligkeit für Mittelohrentzündungen. Und noch eine Maßnahme hilft nachweislich: Zigarettenrauch meiden.
    Ansonsten sollten Kinder wie Erwachsene gerade im Winter alles das tun, was auch allgemein gegen Infekte schützt: viel Bewegung, viel frische Luft. Und wenn doch mal das Ohr schmerzt, gelassen bleiben. Nur zwei von 10 Mittelohrentzündungen bedürfen überhaupt einer Behandlung.