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Radiolexikon: Nebennieren

Herz-Kreislaufprobleme, Gewichtszunahme, Gelenkschmerzen oder auch Depressionen: die Symptome einer Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen sind unspezifisch. Betroffene werden oft jahrelang falsch behandelt.

Von Andrea Westhoff | 11.12.2012
    "Meine Kollegin, die war 35 Jahre oder so was, hat sich beworben als Sekretärin bei der Universität, und da musste sie eine Eingangsuntersuchung machen und dann: zu hohen Blutdruck. Die konnten aber nicht rausfinden, warum er zu hoch war. Und dann hat sie immer zugenommen, zugenommen, und dann hat man ihr gesagt: "Du hast ein psychisches Problem, du musst nicht soviel essen"; die haben sechs, sieben Jahre gebraucht, bis sie eine Diagnose hatten, bis man überhaupt eingreifen konnte."

    Geschichten wie diese hört Helmut Kongehl öfter als Vorsitzender von "Glandula", einer bundesweiten Selbsthilfeorganisation für Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen. Die Betroffenen laufen oft jahrelang von Arzt zu Arzt oder werden falsch behandelt, weil die Symptome dieser Erkrankungen sehr unspezifisch sind: Herz-Kreislaufprobleme, Gewichtszunahme, Gelenkschmerzen oder auch Depressionen – für die meisten Hausärzte ist das Routine, und sie denken nur selten daran, dass dahinter auch eine Fehlfunktion der Nebennieren stecken könnte.

    Jeder Mensch hat zwei dieser kaum streichholzschachtelgroßen Organe. Sie liegen direkt neben den Nieren – daher der Name – haben aber mit diesen ansonsten nichts zu tun. Tatsächlich sind es hormonproduzierende Drüsen, die viele lebenswichtige Körperfunktionen beeinflussen, vor allem den Blutdruck sowie den Salz- und Zuckerhaushalt, oder auch zum Beispiel das Wachstum.

    Es gibt eine ganze Reihe von Nebennierenerkrankungen, die man zunächst in zwei Krankheitstypen unterscheiden kann, erklärt Dr. Marcus Quinkler, Endokrinologe und Nebennierenspezialist an der Berliner Charité.

    "Macht die Nebenniere zu viel Hormon, oder ist es eine Erkrankung, wo die Nebenniere nicht mehr funktioniert und ein Hormonmangel vorhanden ist."

    Die häufigste Form der Nebennierenunterfunktion oder –insuffizienz heißt "Morbus Addison" und ist meistens verursacht durch eine Autoimmunreaktion des Körpers, die die Nebennierenrinde nach und nach zerstört.

    "Bei der Überfunktion ist es so, dass es dann meist durch einen Knoten produziert wird, und da kommt es dann auch wieder drauf an, was für ein Hormon der Knoten macht."

    Dieser Knoten befindet sich entweder auf einer der Nebennieren selbst oder in der Hypophyse, der Hirnanhangdrüse, die ebenfalls an der Hormonproduktion beteiligt ist. Es sind zwar fast immer gutartige Tumore, und viele haben gar keinen Krankheitswert und werden nur zufällig bei einer CT- oder Ultraschalluntersuchung des Bauches entdeckt.

    Aber wenn so ein Knoten hormonell aktiv ist, verursacht er ganz erhebliche Beschwerden: Ein ganz wichtiges Nebennierenhormon ist beispielsweise das Cortisol, das vor allem am Zucker- und Fettstoffwechsel beteiligt ist und in Stresssituationen das Herz-Kreislaufsystem besonders anregt. Schüttet nun die Nebenniere permanent zuviel Cortisol aus, kommt es zum sogenannten "Cushing-Syndrom".

    "Dann sieht der Patient so aus, dass er Gewicht zunimmt, die Haut wird dünner, er kriegt leichter blaue Flecken, kriegt ein Mondgesicht, es kann aber auch sein, dass eine Osteoporose auf einmal auftritt, Knochenbrüche treten auf, Depressionen gehören auch mit dazu, Bluthochdruck entwickelt sich häufig und auch eine diabetische Stoffwechsellage."

    Eine andere Nebennierenerkrankung ist das Phäochromozytom, Dabei wird eine zu große Menge Adrenalin und Noradrenalin produziert. Auch das sind Stresshormone, und durch den Überschuss befindet sich der Körper praktisch ständig in Alarmbereitschaft, die Betroffenen bekommen immer wieder Herzrasen und Schwitzattacken, der Blutdruck schnellt phasenweise hoch oder sackt ab.

    Glücklicherweise sind diese speziellen Nebennierenerkrankungen eher selten,

    "Man muss aber sagen, dass zum Beispiel Nebennierenknoten an sich jetzt, die gutartigen, doch relativ häufig sind."

    Man rechnet, dass zehn Prozent der Menschen, die einen Bluthochdruck haben in Deutschland, einen Bluthochdruck haben, weil sie einen Knoten an der Nebenniere und dadurch zu viel Hormonproduktion haben.

    Deshalb sei es auch nötig, so der Nebennierenspezialist, die Hausärzte etwas mehr zu sensibilisieren, auf mögliche Hormonstörungen zu schauen – jedenfalls bei bestimmten Patienten:

    "Zum Beispiel wenn ein Patient einen Bluthochdruck hat, und er hat schon drei Bluthochdruckmedikamente, und der Blutdruck ist immer noch nicht gut einstellbar, das ist jemand, den sollte man dann auf jeden Fall für die Hormonstörung untersuchen."

    Auch junge Menschen mit plötzlichem Bluthochdruck oder übermäßiger Gewichtszunahme sollten mit bildgebenden Verfahren und Hormonmessungen genauer untersucht werden.
    Nebennierenerkrankungen müssen und können heute aber auch recht gut behandelt werden, allerdings ist die Therapieauswahl nicht sehr groß:

    "Grundsätzlich ist es ja so, wenn man einen Knoten hat, der zu viel Hormon macht, der gehört raus. Wenn man so einen Knoten sieht, der ist im letzten Jahr in der Bildgebung vielleicht um 1 – 2 cm gewachsen, das ist auch auffällig, dann muss er raus, und wenn er größer ist als fünf Zentimeter, weil dann das Risiko, dass er bösartig ist, sehr stark ansteigt, die gehören auch operiert."

    Viele Patienten haben dann Ruhe, wenn die befallene Nebenniere entfernt worden ist, denn die andere übernimmt in der Regel deren Aufgaben. Aber bei einer Nebenniereninsuffizienz wie beim Morbus Addison oder auch, wenn die Hormonproduktion in beiden Nebennieren gestört ist, müssen die Betroffenen lebenslang eine Hormonersatztherapie bekommen. Hier kann die Patientenselbsthilfe eine gute Unterstützung sein. Das gilt im Prinzip bei allen chronischen Leiden, aber für Nebennierenerkrankungen im Besonderen, meint Helmut Kongehl von "Glandula".

    "Es sind ja alles seltene Erkrankungen, und die Betroffenen sehen unter Umständen niemals einen anderen, jeder erlebt die Erkrankung auch anders, und deshalb ist es ganz wichtig, dass es solche Gruppe gibt, wo man den Leuten ein Forum geben kann, um sich auszutauschen."

    Neben dem Erfahrungsaustausch bietet die Selbsthilfeorganisation Informationsmaterialien zu den einzelnen Krankheitsbildern oder vertritt Patienteninteressen bei Fachtagungen und Ärztekongressen. Die Zusammenarbeit der Selbsthilfeorganisation mit Medizinern ist inzwischen sehr gut, sagt Helmut Kongehl, der selbst noch erlebt hat, wie ablehnend die Profis den Laien gegenüber früher waren:

    "Ach Selbsthilfe, da wird bloß gejammert" und so – inzwischen ist das anders. Wir sind auch Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, also als Verein, und wir haben einen wissenschaftlichen Beirat, und die Ärzte wissen ganz genau, wie wichtig das inzwischen ist, dass die Leute insbesondere mit seltenen Erkrankungen sich auch zusammen tun."

    Ganz praktisch hat die Selbsthilfeorganisation "Glandula" beispielsweise zusammen mit Endokrinologen, unter anderem Dr. Marcus Quinkler von der Charité, einen einheitlichen Notfallausweis entwickelt. Der ist lebenswichtig für Menschen, die aufgrund einer Nebennieren- oder Hypophysenerkrankung ständig ihren Cortisol-Haushalt "von außen" regulieren müssen:

    "Normalerweise ist das ja Routine für einen, aber man kommt in eine Stresssituation oder man ist in einen Unfall verwickelt, und dann braucht man schlicht und einfach mehr Cortison, um das zu überstehen. Insbesondere die Addison-Patienten, wenn die ein paar Tage ihr Cortison nicht kriegen, dann fallen sie ins Koma und sind mausetot nach relativ kurzer Zeit. Also es ist lebenswichtig, und deshalb müssen die Leute solche Ausweise haben, wenn ihnen irgendwas passiert, dass die Rettungsdienste, die Ärzte usw. erkennen können, aha, da müssen wir schnell handeln."