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Radiolexikon: Niedriger Blutdruck

Zwar verspüren Menschen mit niedrigem Blutdruck selten Symptome, die über Müdigkeit oder eine Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit hinaus gehen. Ganz harmlos ist diese Regulationsstörung aber trotzdem nicht. Denn nach einigen Jahren kann sie in Bluthochdruck umschlagen und damit lebenswichtige Organe bedrohen.

Von Renate Rutta | 24.02.2009
    "Ich merke eigentlich nicht, dass ich niedrigen Blutdruck habe, das ist für mich ganz normal."
    "Ein Sonderfall sind junge Leute, Heranwachsende, beispielsweise sieht man das bei Wehrpflichtigen. Wenn die dann Antreten müssen zur Vereidigung, länger stehen müssen im Stillgestanden, dann erlebt man, dass man zum Einsatz kommt, weil die bisweilen reihenweise umkippen genau aus diesem Grund."

    "Der Blutdruck war heute Mittag 95 zu 60, außer wenn ich auf der Arbeit bin und es stressig wird, dann geht der in die Normalwerte hoch."

    Barbara Ruland hat niedrigen Blutdruck – wie viele andere. Besonders jüngere und schlanke Frauen und Jugendliche in der Wachstumsphase haben immer wieder einen Blutdruck, der unter 110 zu 70 mm Hg bei Männern oder unter 100 zu 60 mm Hg bei Frauen liegt. So hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den niedrigen Blutdruck definiert. Meistens merkt es Barbara Ruland gar nicht, wenn ihr Blutdruck mal wieder ganz unten ist. Doch heute ist die 28-Jährige erkältet. Da wurde ihr schwindelig, als sie abrupt aufstand.

    "Dann muss ich alles ein bisschen langsamer machen, auf jeden Fall mehr trinken aber ansonsten nur halt langsam aufstehen, das ist alles."

    Im Sommer merkt sie die Auswirkungen ihres niedrigen Blutdrucks häufiger: wenn sich die Blutgefäße an heißen Tagen weiten und Schwitzen zu Flüssigkeitsmangel führt. Dann sinkt ihr Blutdruck.

    "Wenn ich lang gesessen habe oder wenn ich mich lang in die Hocke setze oder in der Hitze merk ich das. Da muss ich schon langsam aufstehen, weil sonst könnte ich schwindelig werden."

    "Wie wir eben gehört haben, ist es tatsächlich so, dass eine nicht kleine Zahl an Patienten den niedrigen Blutdruck eigentlich nur in besonderen Situationen als krankhaft empfindet."

    Viele entdecken ihren niedrigen Blutdruck nur zufällig beim Blutdruckmessen beim Arzt, weil sie nur wenig oder gar keine Beschwerden haben. Dann ist niedriger Blutdruck nur ein Messwert und keine Erkrankung, so Professor Jörg Robertz, Leiter des Schwerpunkts Allgemeinmedizin an der Universität Köln.

    "Ich werde oft gefragt, wenn ein niederer Wert gemessen wird, beispielsweise der systolische Wert unter 100, der diastolische unter 60, dass Patienten dann erstaunt oder erschrocken sind und dann fragen, ist das nicht zu niedrig? Dann ist meine Antwort in der Regel: nein, das ist es nicht, denn in dem Sinne gibt es keinen zu niederen Blutdruck, soweit der Patient das beschwerdefrei toleriert. Zu niedrig ist er dann, wenn er Symptome macht, zumindest bei ansonsten gesunden Patienten."

    Wenn Patienten über Beschwerden berichten, dann sind diese oft so unspezifisch, dass ein Zusammenhang zum niedrigen Blutdruck nicht immer sicher ist: abgeschlagen, müde, erschöpft sind manche oder sie brauchen morgens eine längere Anlaufzeit. Andere wieder können sich schlecht konzentrieren, haben kalte Hände und Füße oder brauchen viel Schlaf.
    Schwerwiegender sind dann Schwindel, Benommenheit bis zur kurzen Bewusstlosigkeit.

    "Wenn sie Beschwerden äußern, ist eigentlich das klassische Bild der lageabhängige Schwindel, das hat Frau R. hier eben beschrieben. Es wird als unangenehm empfunden. Wenn ich aus dem Liegen aufstehe oder wenn ich beispielsweise in der Sonne liege und stehe auf, dann wird mir schwarz vor Augen, mir wird schwindelig. Es kann im einen oder andern Fall mal sein, dass einer tatsächlich umgefallen ist und kurz bewusstlos war."

    Vielen gilt ein niedriger Blutdruck sogar als lebensverlängernd, weil er vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützt. Professor Robertz sieht das weniger positiv. Für ihn ist der niedrige Blutdruck Ausdruck einer Regulationsstörung und diese ist die Folge eines mangelnden Trainingszustands, also Folge von zuwenig Bewegung. Und das kann langfristige Folgen haben.

    "Ich sag auch nicht, freuen Sie sich darüber, nein, das ist kein Anlass zur Freude sondern man muss damit rechnen, dass diese Regulationsstörung im weiteren Lebensverlauf dazu führt, dass der Blutdruck eben steigt, ebenfalls als Ausdruck einer Regulationsstörung. Also im Grunde von einem Extrem ins andere fällt und das Endergebnis dann Bluthochdruck ist.

    Man erkennt es immer daran, dass langjährige Patienten, die dann zur Routinekontrolle erscheinen und plötzlich kriegen die mitgeteilt, ich hab einen Blutdruck von 180 zu 100 oder 110, sind völlig von den Socken und sagen mir dann, ich hatte doch immer zu niederen Blutdruck, empfinden das als Widerspruch. Eingedenk dessen, was ich eben gesagt habe, ist das kein Widerspruch sondern ist die logische Folge dessen. Das eine wie das andere ist eben eine Regulationsstörung, ist nur ne Frage der Zeit bis das umkippt."

    In manchen Fällen kann der niedrige Blutdruck auch Folge einer Erkrankung sein, einer Unterfunktion von Schilddrüse, Nebennierenrinde oder der Hirnanhangdrüse. Ebenso können Herzerkrankungen, Bettlägerigkeit oder Flüssigkeitsmangel zu niedrigem Blutdruck führen. Auch Medikamente gegen Depressionen, Schlaflosigkeit, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und Angina pectoris können Ursache für niedrigen Blutdruck sein.

    "Die ganzen Diuretika, die Wasser rauswerfen, auch die sind dazu angetan, niederen Blutdruck zu machen. Das kann von der erwünschten Wirkung auch zur Nebenwirkung werden, wenn man des Guten zuviel tut. Dann haben wir niedrigen Blutdruck und dann fallen die Leute um."

    In all diesen Fällen passiert dann folgendes: Die Anpassungsmechanismen des Körpers funktionieren zu langsam, der Blutdruck kann sich nicht schnell genug den Erfordernissen anpassen und ansteigen - es wird einem schwindelig oder man fällt um.

    "In dem Moment, wo ich mich hinstelle, muss über das vegetative Nervensystem, im wesentlichen über den Sympaticusnerv, der muss also quasi die Gefäße enger stellen, das ist eine Voraussetzung für höheren Blutdruck. Und zum zweiten das Herzzeitvolumen, das Schlagvolumen, vor allem die Herzfrequenz erhöhen.

    Und genau dieser Ablauf, dieser Mechanismus, der funktioniert zwar auch bei diesen Patienten aber mit einer gewissen zeitlichen Latenz. Und diese Latenz reicht aus um eben Phasen des zu niederen Blutdrucks und der Minderdurchblutung des Gehirns hervorzurufen mit Folge des Schwindels oder des Umfallens halt."

    Tun kann jeder was gegen seinen niedrigen Blutdruck: Morgens mit einer Tasse Kaffee oder einer kalten Dusche den Kreislauf in Schwung bringen, mehr trinken, langsam aufstehen und vor allem: viel bewegen und Sport treiben. Medikamente stehen erst an letzter Stelle, denn man müsste sie ja ein ganzes Leben lang nehmen und sie können unerwünschte Wirkungen haben, wie Bluthochdruck.

    "Die Empfehlung lautet klar, keine Medikation, weil sie die Patienten davon abhält, das tatsächlich Wesentliche zu tun und wenn sie das Wesentliche tun sollen, dann heißt das Ausdauertraining. Im Klartext: mindestens zwei Trainingseinheiten pro Woche über je mindestens zwanzig Minuten und die Pulsfrequenz soll in diesen zwanzig Minuten nicht unter 130 abfallen."

    Empfohlen wird mehrmals die Woche: Bewegung, bitte. Denn durch das Training verschiedener Muskelgruppen kann der Blutdruck stabilisiert werden: Wandern, Radfahren, Schwimmen, Nordic Walking, Gymnastik oder Übungen an Geräten trainieren das Gefäßsystem. Diese Empfehlung kennt auch Barbara Ruland. Sie hat zwar gute Vorsätze – aber…..dabei bleibt es oft.

    "Ja, die Empfehlung ist von meinem Hausarzt, dass ich viel Sport machen soll, was ich aber nicht tue. Ich versuch’s zwar immer aber ich bin einfach zu faul."