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Radiolexikon: Therapiehunde

In der Charitè werden Hunde gezielt für den Umgang mit schwerkranken Patienten eingesetzt - vornehmlich, um deren Klinikaufenthalt angenehmer zu machen. Die Wärme und Treue eines Hundes öffnet beispielsweise so manchem Demenzkranken die Tür zur eigenen Erinnerung.

Von Andrea Westhoff | 13.11.2012
    Wer auf der Psychiatrie-Station 155 in der Charité klingelt, wird nicht nur vom Pflegedienstleiter Guido Meyer empfangen, sondern auch von "Spooky", einem hellen Labrador, der einen freundlich, aber nicht stürmisch-aufdringlich begrüßt und durch die Flure begleitet. Er gehört zum Personal – gewissermaßen.

    "Es gibt Aufnahmesituationen von schizophrenen Patienten als Beispiel, wo keine Kontaktaufnahme möglich ist, und tatsächlich aus meiner Erfahrung heraus der Hund eine Brücke bauen kann, und nach den ersten Erfolgen hatten wir uns dann überlegt, zweimal drei Stunden - ("Wauwau" im Hintergrund) – das war er grade (lacht) – zweimal drei Stunden die Woche ist uns eigentlich zu wenig, sondern wir wollen einen Hund haben, der fast dauerhaft da ist."

    Auch "Kira" ist ein Therapiehund, aber mit anderen Aufgaben. Die kleine, wuschelige Malteser-Mischlingshündin von Winfried Börner soll nicht beruhigen, sondern eher ein bisschen "Leben in die Bude" bringen:

    "Sie wiegt fünf Kilo, also ein relativ kleiner Hund, und der wird eingesetzt im Bereich Demenzkranke, aber auch bei bettlägerigen Patienten und ähnlichen. Wenn der von Schoß zu Schoß springt, das gibt Freude ja, und dann lässt sie sich streicheln, nimmt Leckerli von den alten Damen – da lachen die Augen, ja, und da kommen die aus ihrer Lethargie raus einfach."

    Tiergestützte Therapie ist vor allem bekannt mit Delfinen oder Pferden, aber es funktioniert auch gut mit Haustieren, insbesondere Hunden. Anders als Blindenführhunde oder Gehörlosenhunde sind Therapiehunde eher Helfer auf der emotionalen Ebene. Das liegt schon in der Entwicklungsgeschichte:

    "Wir als Menschen sind ja in unserer Evolution auch groß geworden mit Tieren, explizit Hunde, die wir dann später auch sozialisiert haben, sodass sie uns geholfen haben, unsere Nahrung zu besorgen, uns zu beschützen, da zu sein, und auch ein Freund sein."

    Sigmund Freud soll schon seine Chow-Chow-Hündin Jofie regelmäßig zu Therapiesitzungen mitgenommen haben, nachdem er festgestellt hatte, dass Patienten dann nicht so unruhig waren. Und der amerikanische Kinderpsychologe Boris Levinson entdeckte eher durch Zufall, dass manche seiner kleinen, extrem verschlossenen Patienten fröhlich mit seinem Golden Retriever spielten und dem Tier ihre Sorgen erzählten. Aber erst seit den 70er-Jahren wird die tiergestützte Therapie genauer erforscht.

    Auch auf der Akutstation für Schizophreniekranke an der Charité konnte die frühere Oberärztin Undine Lang in zwei Studien zeigen, dass die Therapiehunde den Kontakt mit den Patienten erleichtern, ihre Ängste mildern, beruhigend und entspannend wirken – meist einfach nur, indem sie da sind, sagt Stationsleiter Guido Meyer:

    "Sie machen weitaus mehr, als uns eigentlich so objektiv bewusst wird. Die Patienten - und die Hunde natürlich auch - nehmen Kontakt auf durch Streicheln, und dann fängt man an "ach Mensch, ich habe auch mal einen Hund gehabt, und der hat mir so gut getan", und so kommt man in den Kontakt. Was ich immer sehr mit einem warmen Herzen betrachte, das ist sozusagen, wenn die Patienten nur für den Hund etwas mitbringen oder wenn sie anfangen, für die Hunde das Wasser aufzufüllen, den Fressnapf aufzufüllen, ja."

    Selbst, wenn jemand Angst vor Hunden hat, ist das im Prinzip kein Problem, sie kann schon ein erster Anknüpfungspunkt für das therapeutische Gespräch sein – und die beiden vierbeinigen Therapeuten auf Station 155 haben gelernt, Zurückhaltung zu erkennen und zu akzeptieren. Eine spezielle Therapiehundeausbildung gibt es aber nicht:

    "Das ist nur geschützt bei Rettungshunden etc., da gibt es gewisse Vorschriften, aber für Therapiehunde in Pflegeheimen oder in Krankenhäusern oder in der Psychiatrie, da gibt es keine konkreten Vorschriften, wie das sein soll."

    ... erklärt Guido Meyer, der aber als Halter des Labradors "Spooky" den Hund natürlich selbstverständlich gut erzogen und speziell vorbereitet hat:

    "Der Hund selbst ist seit seiner neunten Lebenswoche hier auf der Station, und ich habe ihn dann natürlich in den ersten Lebenswochen begleitet, und hab ihm dadurch natürlich etwas beibringen können, wo man vermeintlich in angstbesetzten Situationen ist, dass er keine Angst haben muss – was später sehr hilfreich ist, weil der Hund dann auch in diese Situationen tatsächlich rein geht und angstlösend wirkt, also deeskalierend."

    Auch bei "Therapiehunde Berlin e.V.", ein gemeinnütziger Verein, den Winfried Börner mit seiner Frau 2002 in Berlin gegründet hat, brauchen die vierbeinigen Helfer keine Spezialausbildung, um in Pflege- und Behinderteneinrichtungen eingesetzt werden zu können:

    "Wichtig ist dabei, dass der einen Impfpass hat, eine Hundehaftpflichtpolice hat, und allgemein eben sozialisiert ist, sagen wir so."

    Die Hunde müssen auf die gängigen Befehle hören, werden vom Tierarzt untersucht und auf bestimmte typische Situationen vorbereitet:

    "Ich mache kleine Tests mit Leckerli, also halte den Leckerli auch in der Faust und beobachte den Hund, wie er reagiert. Wenn er von selbst aufhört und sich hinsetzt und gar nichts macht, ist okay, manche schnappen, dann kann er gleich gehen, weil: Der Hund muss wirklich eine hohe Toleranz- und Reizschwelle haben. Es ist so bei den Demenzkranken, die Motorik stimmt nicht mehr so, ja, und dann fassen die doch mal derber an. Das muss der Hund abkönnen."

    Bei dieser Arbeit spielen auch die Hundehalter eine wichtige Rolle, denn letztlich sollen sie in das Pflegeheim für Demenzkranke gehen, zu behinderten Kindern und Jugendlichen oder zu Wachkomapatienten - und das zuverlässig mindestens einmal pro Woche eine Stunde, zu einer festen Zeit. Erst dann können die Therapiehunde ihre heilsame Wirkung entfalten, weiß Winfried Börner aus der Erfahrung mit seinem eigenen Tier:

    "Im Bereich der Demenzkranken kommt es darauf an, dass sie ihre Regelmäßigkeit bekommen. Also geht die Kira jeden Mittwoch von zehn bis elf in diese Einrichtung, und eine Dame, die hat sich nie den Namen Kira gemerkt, aber sie hat sich gemerkt, dass Kira kernlose Weintrauben mag und darf, und hatte jeden Mittwoch um zehn eine Schale mit kernlosen Weintrauben da liegen für die Kira zum Füttern."

    Untersuchungen haben auch hier gezeigt, dass Therapiehunde im regelmäßigen Besuchsdienst die Aufmerksamkeit und Konzentration steigern können, manchmal sind sie seelische "Türöffner": Demente Menschen erinnern sich so an eigene Tiere – und erzählen dann von ihnen. Vor allem aber das Anfassen und Streicheln ist ein Stück Therapie:

    "Sie haben ein Bedürfnis, Zärtlichkeiten auszutauschen, diesem Bedürfnis wird überhaupt nicht nachgekommen im Laufe des Tages, ja, mit wem sollen sie das machen, mit der Pflegeschwester?"

    Für die Arbeit in Pflegeeinrichtungen ist im Prinzip jeder Hund geeignet, sagt Winfried Börner, wenn er einen entsprechenden Charakter mitbringt - und tatsächlich findet sich auf der Internetseite seines Vereins eine bunte Mischung verschiedenster Rassen mit erfolgreicher "Karriere als Therapiehund".

    Auf der Akutstation für Schizophreniekranke an der Charité, wo die Therapiehunde ganztags eingesetzt werden, hat man sie etwas spezieller ausgesucht, erzählt Stationsleiter Guido Meyer:

    "Manchen Rassen schreibt man bestimmte Charaktereigenschaften zu, wie zum Beispiel dem Labrador, den wir hier eingesetzt haben, der andere Therapiehund ist ein Australian Shepherd, denen sagt man so ein gewisses Hüteverhalten voraus, das ist sehr interessant dann zu sehen, wie er aufpasst, dass auch alle Patienten da sind, das ist auch sehr schön – und sie sind verspielt, sie sind einfach toll."