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Radiolexikon Zittern

Wir zittern vor Kälte, Nervosität oder Angst. Daneben gibt es auch ein anderes, krankhaftes Zittern. Wer an der Parkinson'schen Krankheit leidet, dessen Hände zittern – zwar nicht immer, aber doch sehr häufig. Was hat es mit dem Zittern auf sich?

Von Mirko Smiljanic | 15.12.2009
    Zittern wir oder zittern wir nicht? Vorausgesetzt, alles ist in Ordnung: Keine Prüfung setzt uns unter Stress, die Temperaturen sind angenehm hoch, wir haben ausgeschlafen und sind frei von neurologischen Krankheiten, die Zittern möglicherweise auslösen können. Zittern wir dann? Diese Frage stellt Professor Lars Timmermann von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Köln und lud zu einem kleinen Experiment ein.

    "Wenn Sie zum Beispiel Ihren Zeigefinger als einzigen Finger ausstrecken und ganz langsam beugen und wieder strecken ...","

    … erklärt Lars Timmermann, während wir unsere Zeigefinger langsam auf- und abbewegen, …

    "" … dann werden Sie merken, dass mit dieser ganz langsamen Hin- und Herbewegung, wie dieses 'Du, du' zu den Kindern, dass Sie das nie ganz glatt machen können, sondern dass immer so ein kleines Ruckeln auf dieser Bewegung draufliegt. Wir haben das vor einigen Jahren untersucht und zeigen können, dass das daran liegt, dass unser motorisches System nicht als glatter Strom funktioniert, sondern dass wir Bewegungen einteilen in sogenannte Micromovements. Wir teilen also Bewegungen ein, in kleine Zeitscheiben von etwa 80 bis 120 Millisekunden, also etwa eine zehntel Sekunde, und in dieser zehntel Sekunde geben wir unserem Finger ein Kommando in eine Richtung zu gehen, gleichen ab, ob er das auch getan hat, und korrigieren vielleicht für das nächste Kommando."

    Ohne Zittern – Mediziner sprechen von Tremor – geht beim Menschen gar nichts! Er zittert immer, mal mehr, mal weniger, mal ist es normal, mal krankhaft.

    Beginnen wir mit dem normalen Zittern, das ja zunächst einmal nichts weiter ist als eine unwillkürliche, schnell aufeinanderfolgende Anspannung und Entspannung der Muskeln. Hände und Füße können betroffen sein, aber auch Kiefer, Kopf und Stimme. Dabei sind die Ursachen für das Zittern sehr unterschiedlich. Das Zittern vor Kälte ist sicher der bekannteste Fall.

    "Der Körper muss versuchen, selber Wärme zu produzieren, um möglicherweise dagegen angehen zu können. Und eine der Möglichkeiten ist schlichtweg, dass man anfängt, seine Muskulatur anzuspannen und dass man durch eine regelmäßige Anspannung dagegen anzugehen."

    Kältezittern ist eine Notfallmaßnahme: Weil wir uns nicht selbst bewegen, bewegt uns der Körper! Aber es gibt noch andere Ursachen. Mancher zittert etwa vor Stress. Wer eine Prüfung ablegt, weiß ein Lied davon zu singen. Die Gründe für das Stresszittern reichen weit zurück in die Entwicklungsgeschichte des Menschen. Damals, als unsere Vorfahren ständig und aktiv um ihr Leben kämpfen mussten, hat die Evolution für ein ausgesprochen effizientes Hilfsmittel gesorgt: Bei Stress schüttete der Körper das Hormon Adrenalin aus. Vor 10.000 Jahren beim Kampf gegen wilde Tiere ebenso wie heute beim Kampf gegen Prüfer.

    "Das Adrenalin hilft uns, schnell zu reagieren und spannt unsere Muskulatur schon mal in eine gewisse Grundspannung an. Sie sind in einer Prüfungssituation eigentlich, wenn man das als Steinzeitmensch betrachtet, bereit, sofort Ihre Keule herauszuziehen und entweder zu flüchten oder den Professor zu erschlagen. Und diese Anspannung ist etwas, was dazu führt, dass die Regelkreise, also die Verschaltungen zwischen Muskulatur und Rückenmark, so angespannt und sensibel sind, dass es dort zu Schwingungen kommt, und das merkt man daran, dass einem der Prüfling eben nur noch zitternd den Personalausweis reichen kann."

    Vielleicht zittern die Hände, vielleicht andere Körperteile, das Kinn etwa, selbst Augenlider können betroffen sein. Legendär sind einige Auftritte von Altbundeskanzler Helmut Kohl. Wer sich alte Reden und Interviews anschaut, der sieht den Pfälzer mitunter bei unbequemen und kritischen Themen heftig blinzeln – für Journalisten ein untrügliches Zeichen, auf dem richtigen Weg zu sein. Allerdings sind dies letztlich harmlose Phänomene. Sie verschwinden, sobald die Ursache aus dem Weg geräumt ist. Ganz anders sieht die Situation beim krankhaften Zittern aus, das fast immer neurologische Ursachen hat.

    "Das Zittern hat angefangen vor 10, 15 Jahren…","

    … erzählt diese 79-jährige Kölnerin, die an der Parkinson'schen Krankheit leidet.

    ""Erst ganz wenig, das habe ich verdrängt, da habe ich gesagt, ja, ich habe einen Tatterich, und dann wurde es schlimmer, und dann bin ich zum Arzt gegangen und habe Medikamente bekommen, da wusste ich aber auch noch nicht, dass ich Parkinson habe."

    Ihr Arzt vermutete einen "essenziellen Tremor", eine, verglichen mit der Parkinson'schen Krankheit, eher harmlose Zitter-Variante. Essenziell bedeutet in diesem Zusammenhang, dass niemand so ganz genau die Ursachen kennt. Mit den Jahren verschlechterten sich die Symptome bei der Patientin so sehr, dass sie heute eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität beklagt:

    "Ich kann keine Tasse mehr halten, ich muss mit dem Strohhalm trinken, ich kann nicht mit Messer und Gabel essen, Suppenlöffel halten ist auch sehr schwierig. Wenn ich selbst koche, dann passiert es, weil es so plötzlich kommt, ich will etwas umrühren am Herd, dass ich eben alles verschütte dabei."

    Kämmen und Waschen sind schwierig, schreiben kann sie nicht mehr, selbst ihren Namen nicht. Immerhin kennen Neurologen mittlerweile die Ursachen ihrer Krankheit. Sie haben festgestellt, …

    "… dass das Zittern beim Morbus Parkinson daher kommt, dass verschiedene Hirnareale, die normalerweise Bewegungen kontrollieren, miteinander krankhaft kommunizieren. Die geraten wirklich in krankhafte Schwingungen im Bereich von acht bis zwölf pro Sekunde, also acht bis zwölf Hertz. Und dieses Zittern im Kopf, diese krankhaften Schwingungen, werden dann Richtung Rückenmark runtergeleitet und möglicherweise durch einen Mechanismus, der die Strecker und die Beuger an den Armen und den Beinen ansteuert, dazu umgemünzt, dass plötzlich die Hand mit etwa vier Mal pro Sekunde, also vier Hertz, zittert."

    Nachts zittert die Parkinson-Patientin nicht. In aller Regel auch nicht, wenn sie sich ruhig und entspannt verhält.

    "Sobald die Hände in Bewegung kommen, dann geht es wieder los, so, wenn ich sie auf dem Schoß liegen habe, ist es ja ruhig."

    Selbstredend – sagt Lars Timmermann – löst auch psychologischer Stress das Zittern aus:

    "Eine typische Situation, die ich immer wieder erlebe, ist, dass der Patient ruhig im Untersuchungszimmer sitzt, und wenn man dann mit viel Schwung die Türe aufmacht und reinkommt, dass dann der Patient vor lauter Nervosität beginnt, zu zittern – dabei sind wir gar nicht so schlimm. Und wenn man dann ins Gespräch gekommen ist und die Atmosphäre wieder ein wenig lockerer geworden ist, lässt das Zittern oft nach."

    Zwei Antriebswege für das Zittern bei der Parkinson'schen Krankheit haben Mediziner bisher gefunden. Da mangelt es zunächst einmal im Gehirn an dem Botenstoff Dopamin. Wird es über Medikamente zugeführt, mildert sich das Zittern tatsächlich, verschwindet allerdings nicht ganz. Aus diesem Grund versuchen Neurologen die krankhaft schwingenden Teile des Hirns – dies ist der zweite Antriebsweg – mit elektrischen Impulsen zu besänftigen. Sie platzieren feine Drähte in genau jene Regionen des Gehirns, die aus dem Takt geraten sind.

    "Dann kann man, wenn man Strom dort anlegt, was ja für das Gehirn ein ganz normaler Übertragungsweg ist, diese krankhaften Schwingungen gezielt unterdrücken. Und das ist faszinierend, das ist der sogenannte Hirnschrittmacher, dass, wenn man an diesen Stellen mit einem hochfrequenten Reiz, also zum Beispiel 130 Impulsen pro Sekunde stimuliert, dass dann schlagartig das Zittern aufhört, und zwar auch bei Patienten, bei denen man jahrelang mit Medikamenten nicht erfolgreich war."

    Leider treten hin und wieder Nebenwirkungen auf, Sprachprobleme etwa oder Sensibilisierungsstörungen in den Armen. Trotzdem haben Mediziner hohe Erwartungen an diese Therapieform. Immer wieder kommt es vor, dass medikamentöse Therapien bei Patienten nicht helfen.

    "Und da muss man sehr sorgfältig abwägen, ob das Risiko einer Tiefenhirnstimulation für den Patienten lohnt im Vergleich zu dem, was man erreichen kann mit einer solchen Stimulation, aber bei vielen Patienten ist es so, dass man mit einer solchen Operation das Zittern wirklich sehr, sehr gut bessern kann, um damit vor allem für die Lebensqualität im Alltag, denn heilen tut man ja nicht, für die Lebensqualität eine Besserung zu erreichen."

    Und genau darauf kommt es an!