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Radiowellen retten Leben

Funkverbindungen sind heute so selbstverständlich, dass sie kaum mehr bewusst wahrgenommen werden, Millionen von Handybesitzer zeugen davon. Vor hundert Jahren aber musste sich der Nutzen der neuen Technik erst beweisen, wie beim Zusammenstoß der Dampfschiffe "Republic" und "Florida", als ein Funkspruch etliche Menschenleben rettete.

Von Mathias Schulenburg | 23.01.2009
    Es war vier Uhr in der Frühe, am Sonnabend, den 23. Januar 1909. Das Dampfschiff "Republic" hatte New York am Tag zuvor mit 1600 Passagieren an Bord verlassen. Der Dampfer war unmittelbar nach der Umschiffung von Sandy Hook, einer Landzunge vor der Küste New Jerseys, in eine dicke Nebelbank geraten; das Nebelhorn lief.

    An Bord war auch der junge Jack Binns, der durch das, was folgen sollte, zu einem Volkshelden aufstieg und dabei erstmals die Nützlichkeit der Radiowellen fest im Bewusstsein der Menschheit verankerte.

    Jack Binns war der Einzige an Bord, der die - damals sehr primitive - drahtlose Funkanlage bedienen konnte. Er hatte bis Mitternacht an der Morseanlage gesessen, mit anderen Schiffen und Landstationen Positionsangaben ausgetauscht und hatte sich dann auf seine Pritsche gelegt.

    "Ich sah sofort, was los war und hatte die Morsetaste vielleicht drei Sekunden nach dem Zusammenstoß erreicht. Dann war der Strom weg, ich schaltete auf die Notbatterien um, das begrenzte unsere Reichweite auf vielleicht sechzig Meilen. Es war immer noch schneidend kalt und neblig. Ich zog mir über was da war und begann, 'CQD' zu senden."

    Die "Republic" war von einem italienischen Dampfer namens "Florida" gerammt worden; der hatte dreitausend Menschen an Bord, mehrheitlich italienische Elendsflüchtlinge, Immigranten, die dem schweren Erdbeben bei Messina entkommen und auf dem Weg nach New York waren. Die Maschinen der "Florida" waren nicht beschädigt; so wurde beschlossen, die Passagiere der "Republic" auf die "Florida" zu bringen. Das gelang, weil deren junger Kapitän, Ruspini, sehr beherrscht und kühl agierte. Sein Schiff war schließlich hoffnungslos überladen, da aber trafen andere Schiffe ein und vollendeten die Rettung - die erste der Geschichte, die Funkwellen zu danken war. Jack Binns wurde später gefeiert, sogar besungen:

    ""'Das Schiff hat ein Loch an der Seite, Jack Binns,'

    schrie der Käptn verzweifelt ihn an,

    'Sag's der Welt um uns rum, sonst sind wir dahin(s)!'

    'Aye, aye, Sir',

    sprach tapfer der Mann.

    Der Käpt'n war zäh, noch zäher war er,
    Machte über die Morsetaste sich her,
    Und sendete ununterbrochen das Zeichen
    Die helfende Hand auf See zu erreichen.

    Jack Binns, bist tapfer und ruhig geblieben,
    Die Welt wird wie keinen zweiten Dich lieben."

    Das Notsignal war damals der Morsecode für die Buchstaben "CQD", ausgesprochen "Seek you", "suchen euch". Das "D" stand für "Distress", also schweren Ärger. Das "SOS" wurde erst später von den Deutschen auf einer Funkkonferenz in Berlin durchgesetzt. Es war nicht seiner Deutbarkeit wegen gewählt worden - "Save Our Souls" zum Beispiel war nicht gemeint, auch nicht "Save Our Ship" - sondern weil es sich so gut erkennbar hören lässt: Dreimal kurz, Dreimal lang, Dreimal kurz. Erlernbar für jeden.

    Die "Republic" war so schwer beschädigt worden, dass sie - kaum evakuiert - in den eisigen Wässern vor Nantucket unterging. Ein Grund, weshalb ihr Schicksal heute noch von Interesse ist: Mit ihr sank womöglich auch ein riesiger Schatz in die Tiefe, darunter auch "American Gold Eagle"-Münzen, die heute gut 1,6 Milliarden Dollar wert sein könnten, angeblich ein geheimes Darlehen der damaligen französischen Regierung an den vom Umsturz bedrohten russischen Zaren.

    Die Lage des Wracks ist bekannt, ein erster Tauchgang, 1987, brachte allerdings wenig mehr als eine Klobrille zutage. …aber die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.