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Radsport
Der Navigator und der Übermütige

Radprofi und Ex-Sanremo-Sieger Alexander Kristoff muss beim UAE Team Emirates ins zweite Glied und soll Jungstar Fernando Gaviria zum Sieg lotsen. Kristoff ist langsamer, aber dennoch nicht die Nummer 2, so geht die neue, merkwürdige Radsportmathematik. Am Ende sollen immer die Arabischen Emirate gewinnen.

Von Tom Mustroph | 23.03.2019
Der Norweger Alexander Kristoff jubelt am 01.05.2017 im Ziel des Radklassikers «Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt» in Frankfurt am Main.
Der Norweger Alexander Kristoff (dpa / Arne Dedert)
Es gibt eine Handvoll Fahrer, die herausragen. Sie sind schnell. Sie kommen nicht schlecht über die Berge. Und ihre Akkus sind auch nach 290 Kilometern noch nicht leer.
Alexander Kristoff rückt ins zweite Glied
Der Rennstall Vereinigte Arabische Emirate, Geldgeber ist die Ölmonarchie am Persischen Golf, hat gleich zwei Profis mit diesen Eigenschaften. Der eine, der Norweger Alexander Kristoff, hat die Classicissima bereits 2014 gewonnen. Kapitän ist dennoch nicht, sondern nur Anfahrer.
"Ja, schon bei der Emirate-Tour war ich nur der zweitschnellste und leistete Helferdienste. Das ist eine neue Sache für mich. Aber wenn jemand schneller ist, ist das eben so", fügt sich der Norweger in sein Schicksal.

Denn schneller als er ist sein kolumbianischer Teamkollege Fernando Gaviria.
Colombia's Fernando Gaviria crosses the finish line ahead of Peter Sagan of Slovakia, left, to win the first stage of the Tour de France cycling race over 201 kilometers (124.9 miles) with start in Noirmoutier-en-L'Ile and finish in Fontenay Le-Comte, France, Saturday, July 7, 2018. (AP Photo/Peter Dejong)
Fernando Gaviria gewann 2018 zwei Etappen bei der Tour de France (dpa/ eter Dejong)
"Für mich ist Fernando Gaviria der beste der Welt", sagt kurz und trocken Matxin Fernandez. Der Spanier ist General Manager im arabischen Rennstall. Er holte Gaviria. Damit dieser die Siege holt.
Besänftigung mit schönen Worten
Zu Fernandez' Aufgaben gehört es auch, den früheren Nr. 1-Sprinter im Team zu besänftigen. Mit schönen Worten zum Beispiel.
"Nein, Kristoff ist nicht die Nummer 2. Er ist ein sehr wichtiger Rennfahrer für uns. Wir müssen eins klar machen: Wenn wir für beide gleichzeitig arbeiten, werden sie am Ende vielleicht Zweiter und Vierter. Wir müssen uns aber einig sein als Mannschaft, damit am Ende die Vereinigten Emirate gewinnen."
Die neue Radsportmathematik noch einmal zusammengefasst: Gaviria ist die Nummer 1 der Welt. Kristoff ist langsamer, aber dennoch nicht die Nummer 2. Und am Ende gewinnen die Arabischen Emirate. Im Radsport, auf der Via Roma von Sanremo.
Unwahrscheinlich ist dies nicht. Gaviria ist tatsächlich der Top-Favorit, trotz seines vergleichsweise jungen Alters von 24 Jahren.
"In seinem ersten Jahr hätte er Mailand – Sanremo schon gewinnen können, wenn er da nicht gestürzt wäre. Er war zumindest mittendrin im Kampf um den Sieg", erinnert Fernandez.
Erfolge geben Gaviria recht
Das war 2016. Im Jahr darauf wurde Gaviria Fünfter, im Sprint der Verfolgergruppe übrigens geschlagen von seinem jetzigen Helfer Kristoff. Im letzten Jahr war er nicht dabei.
Andre Greipel, Fernando Gaviria und Peter Sagan kämpfen um den Etappensieg.
Fernando Gaviria (re.) kämpft mit Andre Greipel (Mi.) und Peter Sagan (li.) um einen Etappensieg bei der Tour (imago sportfotodienst)
Jetzt ist er Favorit.
Hat er sich die Strecke vorher noch einmal intensiv angeguckt?
"What - Wie bitte", fragt Gaviria erstaunt zurück.
Und erklärt dann: "Ich habe einfach nicht die Zeit dafür, da hinzufahren und nach Hause zurückzukehren. Da ist es besser, es nicht zu sehen."
Ganz schön übermütig klingt das. Seine Erfolge geben Gaviria aber recht. Ohne spezifisches Bahntraining wurde er bereits zwei Mal Weltmeister auf dem Oval. Jetzt verzichtet er auf Erkundungsfahrten beim längsten Klassikerrennen.
"Wenn du nicht der Beste bist, musst du versuchen, besser zu werden"
Warum auch nicht. Einen der besten Sanremo-Kenner hat er schließlich als Anfahrer. Sieben Mal bestritt Alexander Kristoff den Klassiker. Einmal gewann er, einmal wurde er Zweiter. Fünf weitere Male landete er in den Top 10. Jetzt spielt er Navigator für den Mann mit den allerschnellsten Beinen.
Und er behauptet, dabei seinen Frieden gefunden zu haben.
"So ist das Leben. Wenn du nicht der Beste bist, musst du versuchen, besser zu werden. Und jetzt versuche ich das Beste zu leisten, damit das Team gewinnen kann."
Eine Demutsübung für den erhofften Erfolg des Rennstalls. Auch das ist Radsport.