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Rätselhaft und undeutlich

In der "Iphigenie"-Inszenierung von Regisseurin Andrea Moses geht es vor allem um einen Intriganten, kalt und machtbewusst. Die Rede ist von Oberpriester Kalchas, ein Mittler zwischen König Agamemnon und Göttin Artemis. Ansonsten bleibt jedoch vieles in der Inszenierung nebulös.

Von Jörn Florian Fuchs | 02.11.2012
    Andrea Moses hat sich für ihre Stuttgarter Gluck-Inszenierung einen merkwürdigen Zwischenort aus Fabrikhalle, Büro und Segelschiff bauen lassen. Oben sieht man eine Chorgalerie, ganz vorne stehen ein paar Stühle herum, es gibt einen Tisch mit Laptop, Alkoholika sowie einem Schachbrett. Der Boden ist übersät mit Sand. Bei ganz genauem Hinsehen erkennt man noch ein NATO-Fähnchen. Ganz am Anfang guckt Agamemnon tief ins Glas, irgendetwas belastet ihn. Dazu ertönen Glucks zarte, zugleich sämige Orchesterfiguren, sie wirken wie Fragen, vielleicht auch wie Vorwürfe. Agamemnons Problem: Sein Griechenheer sitzt fest, weil er eine heilige Hirschkuh tötete, als Gegenopfer fordert Göttin Artemis nun Agamemnons Tochter Iphigenie. Die ist bereits Achill versprochen, und der Papa setzt nun alles daran, die geplante Hochzeit zu stoppen, Iphigenie am Kommen zu hindern. Was nicht gelingt.

    Agamemnon wird zwischen Gehorsam und Vaterliebe fast zerrissen und entscheidet sich mal pro, mal contra Opferung. Iphigenies Mutter Klytemnästra mischt auch noch kräftig mit – bis sich die junge Dame schließlich freiwillig meucheln lassen möchte, diese ‚Geste’ reicht Artemis und sie verzichtet auf die reale Tat. Man feiert schließlich fröhliche Hochzeit. Und Wind gibt es nun ebenso, der Krieg kann also fröhlich weitergehen. Gluck und sein Librettist Du Roullet orientierten sich an einer Fassung des Mythos von Jean Racine und fügten dem Ganzen noch eine etwas undurchsichtige Figur hinzu, den Oberpriester Kalchas. Er fungiert als Mittler zwischen Agamemnon und der Göttin.

    Genau hier setzt Andrea Moses an, sie zeigt einen kalten, machtbewussten Intriganten, der seine Spielchen spielt. Als Kalchas am Ende ein Donnergrollen hört, deutet er ganz bewusst dieses simple meteorologische Zeichen metaphysisch um und verkündet Artemis’ erlösenden Urteilsspruch. Um das inhaltlich und musikalisch zu rechtfertigen, nehmen Moses und ihr Dramaturg Thomas Wieck die Urfassung der "Iphigénie" von 1774 in den Fokus, hier bleibt Artemis tatsächlich unsichtbar, ein Jahr später überarbeitete Gluck seine Oper und lässt Artemis selbst auftreten.

    Aber was ist nun mit all dem gewonnen? Ein Intrigant hat seine Machtposition ausgebaut. Punkt. Diese Erkenntnis war Andrea Moses wohl zu dünn, also wird die Chose durch reichlich Ideen und Andeutungen aufgerüstet. Da sind die Chormassen, die mal mit adretten Gehröcken, mal als schmutzig-graue Soldaten auftreten. Wo sie genau sind, wo das alles spielt, bleibt völlig rätselhaft. Der NATO-Wimpel und die eher moderne Kleidung könnten auf einen aktuellen Kriegsschauplatz hindeuten. Warum wird jedoch plötzlich ein riesiges Segel gehisst? Fast alles bleibt bei dieser Inszenierung im Ungefähren, Undeutlichen.

    Leider passte das szenische Durcheinander auch zur musikalischen Umsetzung. Christoph Poppen dirigiert einen recht klaren und schnörkellosen, aber wenig ambitionierten Gluck. Natürlich muss man nicht immer ein Minkowski-Feuerwerk veranstalten, aber etwas mehr Dynamik und Farbigkeit hätten es schon sein dürfen. Die Chöre enttäuschten durch unsaubere Artikulation, ständige Koordinationsprobleme mit Orchester und Solisten. Überzeugend dagegen Mandy Fredrich in der Titelpartie – ein variabler, angenehm timbrierter Sopran.