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Raffelhüschen: Rentenversicherung ist für Armutsvermeidung gewappnet

Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei werden Millionen von Frauen mit 400-Euro-Jobs am Ende ihres Berufslebens in die Armut abrutschen. Diese Gefahr bestehe nur dann, wenn sie ihr ganzes Leben lang Minijobber bleiben, sagt dagegen Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg.

Bernd Raffelhüschen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 28.03.2012
    Tobias Armbrüster: Im Restaurant, in der Kneipe, in der Bäckerei – 400-Euro-Jobs sind inzwischen aus der deutschen Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Knapp 7,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten auf dieser Basis, 4,5 Millionen von ihnen sind Frauen. Was diese 400-Euro-Jobs so attraktiv macht: die Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen zahlen dafür weder Steuern, noch Sozialabgaben, es gilt für die Jobber also Brutto gleich Netto. Das ist für den Augenblick schön und gut, es kann für die Arbeitnehmer aber in Zukunft einige Probleme schaffen. Viele der 400-Euro-Jobber werden im Alter nämlich nur einen winzigen Rentenanspruch haben, das geht aus einer Antwort der Bundesregierung an eine Anfrage der Linkspartei hervor. Millionen von Frauen werden deshalb am Ende ihres Berufslebens wohl in die Armut abrutschen, mit Rentenansprüchen zwischen 140 und 180 Euro im Monat wohl gemerkt. Das sagt die Linkspartei. – Am Telefon ist jetzt Professor Bernd Raffelhüschen, er ist Rentenexperte an der Universität Freiburg. Schönen guten Tag, Herr Raffelhüschen.

    Bernd Raffelhüschen: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Raffelhüschen, Millionen Frauen von Armut im Alter bedroht – ist das die korrekte Schlussfolgerung aus diesen Zahlen?

    Raffelhüschen: Na ja, das Problem ist einfach, dass das mal wieder so ein Beispiel dafür ist, wie man mit Statistik im Grunde genommen verfälschen kann, denn tatsächlich müsste man hier einen Konjunktiv setzen, also Millionen Frauen wären von Armut bedroht, würden sie ihr ganzes Leben nur Minijobber bleiben. Und das ist die Rechnung, die damals gemacht worden ist, denn diese Anfrage ist ziemlich alt eigentlich schon.

    Armbrüster: Aber mehrere Studien haben ja belegt, dass viele 400-Euro-Jobber sich dauerhaft in diesen Minijobs einrichten und dass diese Minijobs gerade nicht das schaffen, was sie eigentlich sollten, nämlich eine Brücke zu schaffen zwischen Arbeitslosigkeit und einer richtigen Vollzeitbeschäftigung.

    Raffelhüschen: Die Studien sind mir so weit nicht bekannt. Ich weiß auch nicht so recht, wie ich denen trauen soll. Es sind immer wieder Zeitungsmeldungen dazu. Allerdings in der Wissenschaft ist unbestritten, dass Frauen, wenn sie alleinstehend sind, im Durchschnitt ca. 1.100 bis 1.200 Euro zur Verfügung haben und damit deutlich oberhalb der Armutsgrenze liegen, dass Frauen, die gemeinsam mit Männern leben, die also nicht nur einen 400-Euro-Job gehabt haben, sondern auch noch gleichzeitig vielleicht andere Ansprüche haben, vielleicht auch noch eine Witwenpension haben etc. pp, nochmals ganz anders dastehen. Also ich glaube, da reden die Medien ziemlich was herbei.

    Armbrüster: Aber das, wovon Sie jetzt sprechen, ist ja der Status quo, der Stand heute. Die Anfrage der Linkspartei richtete sich ja an das, was möglicherweise in 20 oder 30 Jahren auf uns und auf die Sozialversicherungssysteme zukommen kann.

    Raffelhüschen: Just deshalb habe ich gesagt, es könnte sein. Wenn es so sein würde, dass alle Frauen, die wir jetzt in 400-Euro-Jobs haben, ihr ganzes Leben nur 400-Euro-Jobs machen, dann könnten diese Zahlen richtig sein, aber das ist natürlich völliger Blödsinn.
    Um es mal konkret zu machen: Erstens muss man herausrechnen, welche Menschen 400-Euro-Jobs machen und schon Rentner sind. Das sind allerdings auch nicht arme Rentner, sondern es sind oftmals Rentner, die einen 400-Euro-Job einfach oben drauflegen auf eine Rente, weil sich entsprechend das besser lohnt. Also diese Statistiken sind völlig verfälscht.
    Man darf nicht wirklich die Rentenzahlung nehmen, sondern man muss die Alterseinkünfte insgesamt nehmen, und da muss man ganz klar sagen: Armut ist in Deutschland jetzt bestimmt kein Problem der alten, sondern eher der anderen, und Armut wird in Deutschland eher auch kein Problem sein, denn die Rentenversicherung wird das schon erledigen und den Job da machen.

    Armbrüster: Was macht Sie da so optimistisch?

    Raffelhüschen: Die Statistik halt. Wir können das ziemlich klar nachweisen, dass wir da auch kein Problem haben. Das Problem wird nicht ein Armutsrisiko sein im Alter, sondern das Problem ist ein Lebensstandard-Sicherungsproblem. Der Lebensstandard kann im Alter nicht mehr gehalten werden für den Fall, dass jemand im Jahre 2030 eben halt viele unterbrochene Perioden vorliegen hat, oder einige Jahre halt 400-Euro-Jobs gemacht hat.

    Armbrüster: Das heißt, die Sozialversicherungssysteme oder das Rentenversicherungssystem steuert in dieser Richtung auf eine Krise zu?

    Raffelhüschen: Nein. Das Rentenversicherungssystem steuert auf gar keine Krise zu. Ganz im Gegenteil: die Rentenversicherung ist sehr solide finanziert und nachhaltig finanziert jetzt. Was es allerdings nicht mehr kann ist: Es kann nicht mehr die Lebensstandard-Sicherung bringen, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten bekommen haben als alter.

    Armbrüster: Was muss der Staat dann machen?

    Raffelhüschen: Der Staat hat alles gemacht. Das meiste von den Reformen, die wir notwendigerweise haben machen müssen, sind getan. Wir haben den Menschen immer klar gemacht, wenn man länger lebt, dass man dann auch länger arbeiten muss. Das hat die Rente mit 67 ja schon ganz deutlich gemacht. Und es ist auch klar geworden, dass für die Armutsvermeidung die Rentenversicherung allemal gewappnet ist. Aber für die Lebensstandard-Sicherung muss man vielleicht mal mit seinem Arbeitgeber über betriebliche Altersvorsorge oder auch über andere ersetzende Formen der Altersvorsorge reden.

    Armbrüster: Ich will noch mal zurückkommen auf die 400-Euro-Jobs. Was macht Sie da so optimistisch, dass tatsächlich diese Frauen, von denen in dieser Anfrage der Linkspartei die Rede ist, tatsächlich innerhalb weniger Jahre aus den 400-Euro-Jobs herauswandern und sich stattdessen eine richtige, voll bezahlte Vollzeitstelle suchen?

    Raffelhüschen: Erstens mal bin ich mir ziemlich sicher, dass eine Karriere, eine Berufskarriere nicht 45 Jahre 400-Euro-Job aufweisen wird. Selbst wenn allerdings das der Fall sein sollte, dann sind einige von diesen Frauen vielleicht auch noch verheiratet und haben dann abgeleitete Renten noch für den Fall, dass sie dann nachher alleinstehend sind. Also das sind alles Milchmädchen-Rechnungen, das ist völliger Unfug, was da erzählt wird.

    Armbrüster: Aber welche Botschaft geht denn davon aus, wenn jemand 45 Jahre arbeitet, zum Beispiel mit einem 400-Euro-Job, und dann tatsächlich nur einen Rentenanspruch von einem Betrag zwischen 140 oder 180 Euro hat?

    Raffelhüschen: Also noch mal: Wer einen 400-Euro-Job über sein ganzes Leben hat und nur den, der kann natürlich nicht davon ausgehen, dass er im Alter eine auskömmliche Rente hat. Wer nur einen 400-Euro-Job hat und sonst keinen Versorger nebenbei, der hat auch in der Erwerbsphase ein Armutsrisiko, und das Armutsrisiko des 400-Euro-Jobbers liegt bei 100 Prozent. Er ist nämlich in der Sozialhilfe.

    Armbrüster: …, sagt Professor Bernd Raffelhüschen. Er ist Rentenexperte an der Universität Freiburg. Besten Dank, Herr Raffelhüschen, für das Gespräch heute Mittag.

    Raffelhüschen: Bitte schön, Herr Armbrüster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.