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Raffinierte Täuschungsmanöver

"Meine derzeitige Lage ist wohl - zumindest beschleicht mich dieser Verdacht - eine ironische Strafe." So erklärt sich zumindest der Hauptprotagonist aus Agualusas neuestem Werk, ein Gecko, der ehemals ein Mensch war, seine missliche Lage. Und das bleibt nicht die einzigste Skurrilität, die in "Das Lachen des Geckos" zu finden ist.

Wera Reusch | 06.10.2008
    Dieser Roman lässt sich am besten mit einem Wort charakterisieren – vertrackt. Er gehört zu den Büchern, die man nach der Lektüre verwirrt beiseite legt oder noch einmal liest, in der Hoffnung, Fährten zu finden, die man zunächst übersehen hat. Dabei hat "Das Lachen des Geckos" nichts mit einem Krimi zu tun. Doch der Reihe nach. Die Geschichte spielt im heutigen Angola. Im Mittelpunkt steht ein Antiquar namens Félix Ventura, der einer ungewöhnlichen Beschäftigung nachgeht: Er stattet Menschen, die ihre wahren Lebensläufe vertuschen oder korrigieren wollen, mit neuen Biographien aus. Ventura ist sozusagen ein "Verkäufer von Vergangenheiten", wie der Roman im portugiesischen Original heißt.

    "Es sei, sagte er, eine ganz neue Bevölkerungsschicht, die seine Dienste in Anspruch nehme. Die neue Bourgeoisie. Unternehmer, Minister, Landbesitzer, Diamantenhändler, Generäle, Leute also mit gesicherter Zukunft. Doch fehlt ihnen eine gute Vergangenheit, edle Vorfahren, Pergamente. Kurzum: Ein Name, der nach Klasse klingt und Kultur. Er verkauft ihnen Vergangenheit. Nagelneu. Entwirft Stammbäume. Verschafft ihnen Fotografien von Großeltern und Urgroßeltern, Gentlemen aus gutem Haus, edle Damen aus vergangenen Zeiten."

    So macht Félix Ventura zum Beispiel aus korrupten Ministern ehemalige Helden des Bürgerkriegs, deren Vorfahren bereits die portugiesischen Kolonialherren bekämpften. Der Antiquar sieht sich dabei nicht als Fälscher, sondern als jemand, der "Träume herstellt", wie er betont.
    "Ich glaube, das, was ich mache, ist eine entwickelte Form der Literatur", erklärte er. "Auch ich erfinde Zusammenhänge, entwickle Figuren, doch statt sie zwischen Buchdeckel zu pressen, gebe ich ihnen ein Leben und entlasse sie in die Realität."

    Félix Ventura vernähe minutiös Realität mit Fiktion, heißt es an einer Stelle im Roman. Das Ganze entgleitet ihm jedoch, als einer seiner Kunden die ausgedachte Vita für bare Münze nimmt. Nachdem Ventura ihn mit einer komplett neuen Identität ausgestattet hat, reist José Buchmann – welch sinnfälliger neuer Name – durch die Welt, um seine Familie ausfindig zu machen. Und siehe da, er findet Beweise für die reale Existenz der erfundenen Figuren. Aus Fiktion wird Realität. Der Roman spielt sehr souverän mit dem wechselseitigen Verhältnis dieser beiden Ebenen. Dem angolanischen Autor José Eduardo Agualusa scheint es großen Spaß zu machen, uns stets im Unklaren darüber zu lassen, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verläuft. "Félix erzählt von seiner Kindheit, als hätte er sie tatsächlich erlebt", heißt es da etwa. Unsere Identität ist konstruiert, unsere Erinnerung ausgedacht, so die Grundidee des Buches.

    "Die Erinnerung ist eine aus einem fahrenden Zug heraus betrachtete Landschaft. Wir sehen, wie das Morgenlicht über den Akazien aufgeht (…). Sehen die langsam weidenden Rinder, ein Paar, das Hand in Hand rennt, Kinder, die um einen Fußball herumtanzen (…). Dinge, die vor unseren Augen ablaufen. Wir wissen, sie sind echt, doch sie sind weit entfernt, wir können sie nicht greifen. Manche sind schon so weit entfernt, und der Zug fährt so schnell weiter, dass wir nicht sicher sind, ob sie tatsächlich geschehen sind. Vielleicht haben wir sie nur geträumt."

    Der Ich-Erzähler ist übrigens kein Mensch, sondern ein Gecko. Er hört auf den Namen Eulalio und ist eine Art Haustier, mit dem der Antiquar abendliche Zwiegespräche führt. Der Gecko schildert nicht nur die verschiedenen Kunden, die mit ihren Anliegen bei Ventura vorstellig werden, sondern erinnert sich auch an sein eigenes früheres Leben – denn Eulalio war einst ein Mensch. Das klingt esoterischer als es im Roman erscheint.

    "Bisweilen kommt mir ein trauriger Vers in den Sinn, an dessen Urheber ich mich nicht erinnere. Wahrscheinlich habe ich ihn geträumt. Vielleicht der Refrain eines Fado, eines Tango, eines alten Samba, den ich als Kind hörte: "Die schlimmste Sünde ist, nicht zu lieben." Es gab viele Frauen in meinem Leben, aber ich fürchte, ich habe keine von ihnen geliebt. (…) Meine derzeitige Lage ist wohl – zumindest beschleicht mich dieser Verdacht – eine ironische Strafe. Entweder das, oder aber nichts weiter als Zufall."

    Ein reinkarnierter Gecko als Ich-Erzähler ist zwar sehr originell, ungewöhnlich ist im Übrigen auch, dass Félix Ventura ein afrikanischer Albino ist. Man fragt sich allerdings, ob Agualusa seinen Roman nicht etwas überfrachtet hat mit Skurrilitäten und undurchschaubaren Anspielungen. So verriet er in einem Interview, dass er in den Erinnerungen des Geckos an sein früheres Leben biographische Details des argentinischen Schriftstellers Jorge Luís Borges verarbeitet habe. Und um das Ganze noch weiter zu komplizieren, gibt es neben den Rückblenden des Geckos auf sein früheres Leben noch die Ebene der Träume, in denen er in menschlicher Gestalt den anderen Protagonisten des Romans begegnet. Man muss allerdings weder den komplexen Aufbau noch die literarischen Verweise durchschauen, um den verspielten Charakter des Romans genießen zu können. Er lädt dazu ein, sich in der mäandernden Struktur zu verlieren und sich verwirren zu lassen von Agualusas raffinierten Täuschungsmanövern, in denen sich Träume, Erinnerungen und Erfindungen ununterscheidbar mischen. Auf den allerletzten Seiten wechselt der Autor allerdings die Tonart: Plötzlich spielen konkrete politische Ereignisse aus dem angolanischen Bürgerkrieg eine zentrale Rolle, die zu einem regelrechten Showdown führen. Es scheint, als ob nach all den fiktionalen Experimenten am Ende doch das Realitätsprinzip die Oberhand gewinnen würde. Ein vertrackter Roman, wie gesagt.

    José Eduardo Agualusa: Das Lachen des Geckos
    Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
    A1 Verlag, München 2008, 181 Seiten, 17,80 Euro