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Rafik Schami wird 70
"Ich erzähle Rafik-Schamisch"

Der Ursprung aller Geschichten liegt bei Rafik Schami im mündlichen Erzählen. Er hat diese Tradition aus seiner Heimat Syrien mitgebracht, aus der er 1971 nach Deutschland floh. Mit seinen Erzählabenden füllt er ganze Schauspielhäuser, seine Bücher verkaufen sich hunderttausendfach. Einen Revolutionsroman will er nicht schreiben - dennoch ist Politik ein Thema. Heute wird der Schriftsteller 70.

Von Leonie Berger | 23.06.2016
    Der Schriftsteller Rafik Schami im Oktober 2012
    Rafik Schami kam 1971 als Student nach Deutschland (dpa / picture alliance / Erwin Elsner)
    Ein Mosaik mit vielen Mustern und Farben – das ist das Werk von Rafik Schami: Da gibt es helle Steine mit Märchen und Kinderbüchern, präzise geschliffene, manchmal scharfkantige Essays und die schimmernden, vielschichtigen Muster der opulenten Romane. Der Ursprung aller Geschichten liegt bei Rafik Schami im mündlichen Erzählen. Er hat diese Tradition aus seiner Heimat Syrien mitgebracht und sie sich in Deutschland anverwandelt:
    "Ich erzähle nicht Orientalisch. Ich erzähle Rafik-Schamisch. Meinen Stil habe ich so aufgebaut. Ich konnte mit Prinzen und Prinzessinnen nichts anfangen, die dauernd in Ohnmacht fallen, wenn sie sich verlieben. Was soll das? Ich erzähle von Damaskus von heute, ich erzähle von Deutschland von heute in der Form der mündlichen Erzählkunst. Es ist mein gutes Recht, ein Juwel aus der orientalischen Kultur zu retten. Es ist nicht zu Romantisieren – ich nehme die Erzählstruktur und verändere sie, damit sie lebendig bleibt."
    Die Faszination für Geschichten begleitet Rafik Schami seit seiner Kindheit. Es gab große Vorbilder wie Scheherazade aus 1001 Nacht, deren Geschichten er im Radio hörte. Und Erzähler, die ihm sehr nahe standen, wie der eigene Großvater, der die Kinder mit seinen abenteuerlichen Geschichten länger wach hielt als es dem Vater lieb war. Vorbilder, denen er nacheiferte.
    "Ich habe immer geträumt, wirklich. Als 12-Jähriger stand ich manchmal im Schlafzimmer, wo niemand da war und hab‘ erzählt, den Massen erzählt, die mich umjubelten. Ich stand auf dem Bett bis meine Mutter sagte: Du machst das Bett kaputt. Sie kam rein, weil ich ja gehüpft hab und so, ich wusste nicht, wie man erzählt auf der Bühne. Und ich lebe in diesem Traum jetzt, ich realisiere das, ich schreibe nur das, was ich will und Gott sei Dank: Der Erfolg ist nicht so schlecht wie sein Ruf, der Erfolg erlaubt mir das."
    Der Zufall brachte ihn nach Deutschland
    Bis zu dem großen Erfolg von heute war es ein weiter Weg. Rafik Schami floh aus Syrien, vor der Diktatur, dem Geheimdienst, der Zensur, aber er verließ das Land auf legalem Weg – als Student. Dass er 1971 nach Deutschland kam, war eher Zufall: Die Uni Heidelberg hatte ihm zuerst einen Platz angeboten. Rafik Schami studierte Chemie, wurde promoviert und landete in einem großen Pharmaunternehmen. Geschrieben hat er nebenher, bei langwierigen Versuchen, am Wochenende, nachts. Doch irgendwann war er am Ende seiner Kräfte.
    "Ich bin zum Arzt gegangen und der hat mit mir geschimpft. Er sagte: Was machen Sie mit sich? Und da habe ich erzählt, da hat er gesagt: Das geht nicht. Sie müssen sich entscheiden, mein Herr. Ich hatte keine Familie zu ernähren, ich hatte keine Kinder, meine Familie in Damaskus brauchte mich nicht, die sind wohlhabend. Aber jetzt so einen tollen Beruf, von dem viele träumen, so einen Beruf hinschmeißen? Und dann Schriftstellerei, das ist doch ein Hungerberuf. In einer fremden Sprache? Bist du verrückt geworden? Ich bin verrückt geworden."
    Sich für die Literatur entschieden zu haben, bezeichnet Rafik Schami als die beste Entscheidung, die er je getroffen hat. Sein Glück – und das seines Publikums. Zunächst erzählte er manchmal vor fünf Leuten, inzwischen füllt er mit seinen Erzählabenden ganze Schauspielhäuser. Seine Bücher verkaufen sich 100.000-fach. Warum? Weil Rafik Schami den Menschen das kindliche Staunen über die Welt in seinen Büchern zurückgibt. Im Mittelpunkt stehen dabei immer seine Figuren und ihre Lebensgeschichten, nicht die Politik.
    Kein Revolutionsroman, aber Artikel gegen Populismus
    "Meine Freunde haben mich genervt, in den letzten fünf Jahren, aus London, aus Paris, aus der Türkei, wo sie sitzen, diese intellektuellen Oppositionellen. Du musst doch als bekannter Autor einen Revolutionsroman… Ich schreibe keinen Revolutionsroman, das ist doch lächerlich! Ich kenne viel zu viele langweilige Revolutionsromane aus Russland, aus Kuba, aus Chile – das geht doch nicht! Das ist schwarz-weiß und die Helden sind nicht nur gut, sondern immer schöne Männer und schöne Frauen, das geht nicht. Das geht nicht auf. Ein Romancier muss Zeit haben und die Distanz halten."
    Dass Politik bei ihm trotzdem eine Rolle spielen kann, hat Rafik Schami nicht zuletzt in seinem jüngsten Roman "Sophia oder Der Anfang aller Geschichten" bewiesen, der 2010 kurz vor dem Arabischen Frühling spielt. Rafik Schami ist keiner, der den Mund hält, wenn es darauf ankommt. Er schöpft aus der eigenen Erfahrung und schreibt Artikel gegen Populisten, formulierte aber auch in einem Artikel zehn Erwartungen an die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, dem Land, das auch ihm die Freiheit gegeben hat zu sagen, was er denkt. Aber er wiederholt sich nicht. Schließlich hat er ja noch viele andere Geschichten zu erzählen.
    "Das ist ja mein Problem: Ich erfinde Figuren, die leben mit mir im Raum und die fangen an: Jetzt komm endlich, wir stehen und treten auf der Stelle seit Monaten. Du mit Deinen Flüchtlingen, komm, wir sind auch Flüchtlinge, Benachteiligte, komm, erzähl weiter, wir wollen weiterkommen…! Und diese Stimmen höre ich immer mehr jetzt."
    Rafik Schami ist ein Pseudonym – es bedeutet: Freund aus Damaskus. In Damaskus wurde er am 23.06.1946 geboren. 1971 kam er nach Deutschland und seit 1982 ist er freier Schriftsteller. Seine Werke wurden preisgekrönt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Zu den bekanntesten Büchern gehören Romane wie "Die dunkle Seite der Liebe" und "Sophia oder Der Anfang aller Geschichten", Kinderbücher wie "Der ehrliche Lügner" oder auch Essays und Erzählungen wie "Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat".