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Rainer Brambach
Der existenzielle Dichter

Zum 100. Geburtstag des Schweizer Dichters Rainer Brambach erscheint nun die allererste Biografie über ihn. Er war ein dichtender Autodidakt - viel dokumentarisches Material über ihn existiert nicht.

Von Beate Tröger | 27.02.2017
    Altes Buch mit vergilbten Seiten und angestoßenen Kanten am Buchdeckel, aufgenommen am 2.4.2012. Foto: Jens Kalaene dpa/lbn
    Es gibt nur wenig dokumentarisches Material über Rainer Brambach. Ein Teil wurde vernichtet, als ein Kleinflugzeug über seinem Haus abstürzte und alles in Flammen aufging. (dpa / Jens Kalaene)
    //Lebenslauf
    Wasserfläche / Wasserwurzel / Wasserjunge / Wassermann / Wassergreis / Plumps! / Wasserringe / Wasserfläche.//
    "Lebenslauf" heißt dieses Gedicht von Rainer Brambach aus dem Jahr 1977. In Variation zur liturgischen Bestattungsformel "Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub" wird darin das Element Erde gegen das Element Wasser getauscht. Der Mensch erscheint so als Wesen, das aus dem Wasser kommend wieder zu Wasser wird. Das verleiht den wenigen Worten eine quasi-religiöse Bedeutung. Ein typisches Beispiel für Brambachs Lyrik, die oft auf's Existenzielle abzielt, ohne sich aufzuplustern.
    Zugleich aber ist mit dem Gedicht "Lebenslauf" rein faktisch natürlich noch nicht viel gesagt über die wechselvolle Biografie von Rainer Brambach, der sich als Einzelgänger Namen und Anerkennung erschrieb. Brambach, ein dichtender Autodidakt, machte nur wenige Worte über sich. In einem Vortrag vom 19. Februar 1962 – dem einzigen, den er je hielt – beschrieb er sein Leben einmal so:
    "Ich bin im Jahr 1917 in Basel geboren, besuchte während acht Jahren die Primar- und Sekundarschule und wurde – außer im Singen und Turnen – mit einem miserablen Zeugnis versehen zum staatlichen besoldeten Berufsberater geschickt, der mich und meinen Ausweis stirnrunzelnd betrachtete und nach wenigen Minuten herausfand, dass eine Flachmalerlehre das einzig richtige für mich sei."
    Dokumentarisches Material ist verloren gegangen
    Wer darüber hinaus mehr über den Schweizer Dichter erfahren will, kann nun die Biografie von Isabel Koellreuter und Franziska Schürch lesen, die allererste über den 1917 geborenen Rainer Brambach überhaupt: Aus Anlass seines 100. Geburtstags kommt sie sorgfältig recherchiert daher, sachlich im Ton und ohne zu viel Gefühligkeit. Zudem weisen Koellreuter und Schürch schon im Vorwort auf Lücken hin, die notwendig bleiben müssen: Teils, weil kein dokumentarisches Material existiert, teils, weil es von Brambach selbst und durch einen merkwürdigen Unglücksfall 2007 vernichtet wurde.
    "Private Erinnerungen bewahrte seine letzte Lebensgefährtin Ulea Schaub auf. Am 23. Juli 2007 stürzte ein Kleinflugzeug in Basel ab, just auf ihr Haus. Der gesamte Dachstock ging in Flammen auf, mit ihm Fotoalben, Briefe und Dokumente von Rainer Brambach."
    Ein Flugzeugabsturz, der fast zeichenhaft wirkt – wie ein Nachhall auf den Tod Brambachs: Denn auch der Dichter starb am 13. August 1983 durch einen fatalen Sturz. Schon länger litt er unter Herzschwäche. Bei einem Ausflug kippte er dann plötzlich vom Fahrrad und war tot.
    Den Tod hatte Rainer Brambach zuvor oft bedichtet. Sein Gedicht "Paul", das an einen im Zweiten Weltkrieg gefallenen Schulfreund erinnert, gehört zu den bekanntesten seines Werks:
    //Paul
    Neunzehnhundertsiebzehn / an einem Tag unter Null geboren, / rannte er wild über den Kinderspielplatz, / fiel, und rannte weiter, den Ball werfend über den Schulhof, / fiel, und rannte weiter, das Gewehr im Arm über das Übungsgelände, / fiel, und rannte weiter, an einem Tag unter Null / in ein russisches Sperrfeuer ... ... und fiel.//
    Brambach war der Sohn des deutschen Klavierbauers Franz Brambach und der Schweizer Köchin und Putzfrau Mina Brambach-Born, der 1917 in die Wirren des Ersten Weltkriegs hineingeboren wurde und in Basel in Armut aufwuchs. Die Mutter, die viele Gedichte rezitieren konnte, weckte wahrscheinlich früh sein Interesse für Sprache.
    Viele Stolpersteine in der Biografie
    Als Sohn binationaler Eltern musste sich Brambach dann dem komplizierten Schweizer Einbürgerungsverfahren unterziehen. Aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse und seiner mangelnden Motivation als Malerlehrling blieb ihm die Schweizer Staatsbürgerschaft jedoch lange verwehrt. Was umso schwieriger für ihn war, als er wegen des Schweizer Verfahrens die deutsche Staatsbürgerschaft hatte aufgeben müssen.
    Längst nicht der einzige Stolperstein dieser ungeraden Künstlerbiografie. Es folgten: Eine abgebrochene Malerlehre, ein Gefängnisaufenthalt, nachdem Brambach sich im Zweiten Weltkrieg dem Reichsarbeitsdienst verweigert hatte, dazu zwei gescheiterte Ehen. Ausgerechnet im Gefängnis aber wurde er zum leidenschaftlichen Leser, der Werke von Büchner, Celine, Cervantes, Hemingway, Francois Villon und anderen gierig verschlang.
    Daneben, so betonen Koellreuter und Schürch, weckten aber auch Freunde Brambachs Literaturbegeisterung. Etwa Armin Mohler, der spätere Sekretär von Ernst Jünger, der den jungen Querkopf nach Kriegsende zu ersten Gedichten ermunterte:
    Über das Feld im Morgenlicht / geht groß der Tod / und sieht mich nicht.
    Die wichtigsten Freunde und Förderer aber waren für Rainer Brambach wohl Günter Eich und Hans Bender. Mit dem in der Nachkriegszeit berühmt gewordenen Eich, dessen minimalistische Gedichte er bewunderte, korrespondierte Brambach ab 1950 20 Jahre lang intensiv.
    Doch vor allem Hans Bender unterstützte als Mitherausgeber der Literaturzeitschrift "akzente" den Dichter schon bald unermüdlich. Nicht genug, dass er zwölf Gedichte Brambachs bis 1983 in den "Akzenten" abdrucken ließ: Bender sorgte auch dafür, dass der Baseler Lyriker in Deutschland Verlagskontakte knüpfte und mit Preisen bedacht wurde.
    Der Protegierte wiederum dankte es seinem Freund aus Köln mit einem Gedicht aus dem Jahr 1962, das den Titel trägt: "Brief an Hans Bender". In Anspielung auf Bertolt Brechts "An die Nachgeborenen", heißt es hier:
    //Für dich der Tisch, das Papier und die verlässliche Feder –
    Für mich die Axt, ich mag Trauerweiden nicht. Was sind das für Bäume, die zu Boden zeigen, Hans, seit Straßburg neben mir unterwegs auf dieser Erde. //
    Anders als viele Lyriker sonst war Rainer Brambach ein ungewöhnlich teamfähiger Dichter. Immer wieder veröffentlichte er auch Gemeinschaftsgedichte - etwa die "Trinklieder" von 1974, die er zusammen mit Frank Geerk schrieb:
    //Rebenlied
    Woher kommen die Geschichten, woher kommen all' die Lieder? Singt und singt es immer wieder: Dichter trinken, Trinker dichten.//
    Isabell Koellreuter und Franziska Schürch gelingt mit ihrer Brambach-Biografie eine interessante Studie über einen Außenseiter, dessen Dichtung einerseits ernst und andererseits sehr lebensbejahend war. Diese Dichtung ist nicht zuletzt eine Aufforderung, die Freude an der puren Existenz nicht zu vergessen.
    Buchinfos:
    Isabell Koellreuter und Franziska Schürch: "Rainer Brambach – Ich wiege 80 Kilo und das Leben ist mächtig. Eine Biografie". Diogenes Verlag 2017, 238 Seiten, Preis: 24 Euro