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Rainer Stinner: "Eine große Blamage für das Verteidigungsministerium"

Das Bundesverteidigungsministerium hat sich beim Thema "Bombodrom" nach Einschätzung des FDP-Politikers Rainer Stinner blamiert. Bis zuletzt habe das Ministerium behauptet, das Gelände in der Kyritz-Ruppiner Heide sei zur Pilotenausbildung unabdingbar notwendig, sagte Stinner.

Rainer Stinner im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.07.2009
    Friedbert Meurer: Freude bei den Anwohnern über die Entscheidung der Hardthöhe, auf das Bombodrom, das sogenannte Bombodrom, einen Luftwaffenübungsplatz zu verzichten. Ich begrüße am Telefon Rainer Stinner. Er ist Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags und FDP-Bundestagsabgeordneter. Guten Morgen, Herr Stinner!

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Meurer: Die Menschen jubeln in der Region. Sie vermutlich jubeln nicht, Herr Stinner?

    Stinner: Nun, natürlich kann ich den Jubel der Menschen dort verstehen, der unmittelbar Betroffenen, dass sie diesen Übungsplatz abgewendet haben. Aber zunächst einmal müssen wir feststellen, es ist eine große Blamage und eine Niederlage des Verteidigungsministeriums und des Ministers persönlich, denn bis zuletzt hat ja das Ministerium gesagt, dass dieser Platz unabdingbar notwendig ist zur Ausbildung unserer Piloten. Und mit dieser Entscheidung ist das Problem natürlich nicht gelöst, dass wir tatsächlich eine Luftwaffe haben, die irgendwo üben muss, und die Reaktionen der beiden anderen Regionen, wo wir jetzt noch Plätze haben - nämlich in Siegenburg in Bayern und in Nordhorn/Niedersachsen -, ist ja sehr deutlich. Beide haben gestern erklärt, Bürgermeister und Landräte jeweils, dass damit dann auch es unzumutbar ist, dass bei ihnen geflogen wird. Das Ganze zieht eine Kette hinter sich.

    Meurer: Diese Entscheidung von gestern, Entschuldigung, Herr Stinner, ist es nicht auch eine Blamage für die FDP, die doch lange für das Bombodrom war?

    Stinner: Wir haben uns lange überzeugen lassen von der inhaltlichen Argumentation. Es ist völlig richtig, dass die Betroffenen das jeweils anders sehen. Das ist aber überall in Deutschland so, bei jedem größeren Infrastrukturprojekt, dass die unmittelbar Betroffenen dagegen sind. Wir haben uns lange davon überzeugen lassen, dass die Bundeswehr tatsächlich einen Übungsplatz entsprechend braucht. Aber nachdem nun sämtliche Unterstützer in den letzten Wochen abgebrochen sind, ist das klar, dass das wohl nicht mehr haltbar war.

    Meurer: Auch die FDP in den betroffenen Bundesländern ist ja relativ frühzeitig davon abgesprungen und es kam zu einem Riss in Ihrer eigenen Partei.

    Stinner: Auch das ist durchaus ein Konflikt gewesen. Wie gesagt, das Phänomen ist immer, dass die unmittelbar Betroffenen gegen solche Infrastrukturmaßnahmen sind.

    Meurer: Haben Sie den Widerstand unterschätzt?

    Stinner: Ich glaube oder wir haben unterschätzt, wie eindeutig die Gerichte hier entsprechend geurteilt haben, denn das ist ja eine lange Kette von Niederlagen des Verteidigungsministeriums in der Gerichtsbarkeit. Das zieht sich über viele Jahre hin. Es sind, glaube ich, 17 Prozesse gewesen, die dort anhängig gewesen sind, und das ist dann eben doch eine deutliche Entscheidung, und der muss man sich beugen. Aber wie gesagt, das Problem, was wir haben, ist nicht gelöst. Das Problem nämlich, dass wir eine Bundeswehr haben, dass wir eine Luftwaffe haben, dass wir glauben, gesellschaftlich glauben, politisch glauben, dass wir diese Luftwaffe brauchen. Und jetzt ist die Frage, wir haben eine Luftwaffe, aber wir können nicht üben mit ihr, in Deutschland jedenfalls nicht.

    Meurer: Wie lautet Ihre Antwort auf das Problem?

    Stinner: Ja gut, das Problem ist, dass natürlich jetzt das Verteidigungsministerium dafür sorgen muss, dass wir Übungsplätze finden. Die werden aber nur im Ausland zu finden sein. Das heißt, wir verlagern unsere deutschen Probleme ins Ausland. Ob das auf Dauer so sinnvoll tragbar ist, muss man sich auch fragen lassen.

    Meurer: Es gibt ja jetzt schon, glaube ich, 70 Prozent aller Übungsflüge etwa, Sie wissen es wahrscheinlich genauer, finden jetzt schon im Ausland statt.

    Stinner: Ja, richtig.

    Meurer: Wo ist das Problem?

    Stinner: Nein, das Problem ist natürlich, dass auf Dauer ein Land, das eigene Streitkräfte unterhält, wenn es gesellschaftlich nicht mehr in der Lage ist, diese Streitkräfte auch im eigenen Land üben zu lassen, dann ist irgendwo doch ein Widerspruch da, und das werden dann irgendwann auch die Partner merken, das ist sicherlich das Problem dabei.

    Meurer: Also eine Imagefrage?

    Stinner: Nein, eine Frage des Gesamtverständnisses. Ich glaube, wir kommen hier an ein Grundproblem in Deutschland, was wir auch bei Themen wie Afghanistan oder Piraterie immer mitbekommen. Es fehlt in Deutschland eine breit angestoßene Diskussion, ein breit angestoßenes Verständnis dafür, was die Bundeswehr für Funktionen hat und welche Rolle die Bundeswehr für die Gesamtgesellschaft eigentlich haben soll. Diese Diskussion wird leider nicht geführt, sie wird auch nicht angestoßen. Wir hatten zum Beispiel das Weißbuch im Jahre 2006 von der Bundesregierung verabschiedet, das wäre eine Möglichkeit gewesen, eine breite gesellschaftliche Diskussion anzustoßen, das ist leider nicht geschehen. Und daran mangelt es in Deutschland, und da kommen wir auf solche Probleme.

    Meurer: Um das mal ganz präzise anzusprechen, Herr Stinner. In der Wittstocker Heide sollte ja geprobt werden, sollten deutsche Kampfjetpiloten die Möglichkeit erhalten, ihre Raketen abzufeuern auf Ziele am Boden. Sind Sie dafür, dass die Bundeswehr im Einsatz so etwas tut, beispielsweise in Afghanistan?

    Stinner: Sie muss es zumindest können. Ob sie es dann tut, ist eine andere Sache, das ist eine Entscheidung, die jeweils vor Ort getroffen werden muss im Rahmen der Erfüllung des Auftrages, aber sie muss es zumindest können. Um es zu können, muss sie üben.

    Meurer: Da fröstelt es eben viele, die das zur Kenntnis nehmen müssen.

    Stinner: Ja, mich fröstelt aber auch, wenn ich sehe, dass deutsche Soldaten in Afghanistan erschossen werden, weil sie nicht die richtige Unterstützung haben. Da fröstelt es mich.

    Meurer: Wie sehr brauchen die deutschen Soldaten in Afghanistan die Unterstützung von Kampfjets?

    Stinner: Wir merken, dass deutsche Soldaten in den letzten Wochen und Monaten erstmals diesen sogenannten Close Air Support, das heißt die Luftunterstützung angefordert haben. Das ist zum Teil nur ein reines Überfliegen, das nennt man auf Englisch "Show of Force", das heißt zu zeigen, dass man da ist, aber zum Teil auch einen Einsatz von Bordkanonen. Solche Situationen können vorkommen. Ich möchte jedenfalls, dass wir in der Lage sind, das durchzuführen. Wenn wir eine Bundeswehr haben und wenn wir die Bundeswehr in gefährliche Einsätze einsetzen, dann möchte ich, dass wir der Bundeswehr auch die Mittel geben, diese militärischen Einsätze zu bestehen und jedenfalls nicht, dass unsere Soldaten in Gefahrensituationen gebracht werden, um Leib und Leben gebracht werden, weil wir als Gesellschaft nicht bereit sind, ihnen die richtigen Mittel zu geben.

    Meurer: Brauchen wir einen neuen Verteidigungsminister, der das der Bevölkerung klarmachen kann?

    Stinner: Ich glaube, dass es richtig ist, dass die Bundesregierung, der Verteidigungsminister das jedenfalls sehr viel deutlicher sagt als bisher. Ich habe immer bemängelt, dass das Verteidigungsministerium, der Minister insbesondere, in der Vergangenheit diese deutliche Ansage, dass tatsächlich wir Soldaten in gefährliche Situationen schicken, wo sie nicht nur schützen, helfen und vermitteln - das sollen sie auch tun -, aber wo sie eben auch kämpfen. Und die Bundeswehr, das ist der einzige Teil der Gesellschaft, der dafür ausgerüstet, ausgebildet und auch völkerrechtlich ermächtigt ist. Und das muss der Bevölkerung sehr, sehr klargemacht werden.