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Raketenabwehrsystem Meads
"Hier geht es tatsächlich eher um Industriepolitik"

Die Anschaffung des Luftabwehrsystems Meads sei letztlich eine rüstungs- und industriepolitische Entscheidung gewesen, sagte der Sicherheitspolitik-Experte Marcel Dickow von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Die Frage nach der sicherheitspolitischen Notwendigkeit sei viel zu wenig diskutiert worden.

Marcel Dickow im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 10.06.2015
    Das Raketenabwehrsystem MEADS
    Die Bundeswehr will ihre "Patriot"-Raketen durch das "MEADS"-System ersetzen (picture-alliance / dpa / MEADS International / Bernhard Huber)
    Luftverteidigungssysteme seien zwar wichtig in Auslandseinsätzen, bei denen der Gegner über "erhebliche militärische Fähigkeiten" verfüge. Dies sei jedoch in den meisten Auslandseinsätzen der letzten Jahre nicht der Fall gewesen, kritisierte Dickow: "Da geht es eher um einfache Geschosse, Mörser, Granaten und so weiter, und gegen genau diese Bedrohung ist Meads nicht konstruiert."
    "Gute Ansätze"
    Der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin bezeichnete Meads für derartige Bedrohungen als "überdimensioniert" und äußerte Zweifel an einer realistischen Einschätzung der Kosten. Trotzdem sehe er in der möglichen Vertragsausgestaltung gute Ansätze: "Es ist an der Zeit, dass wir aus den Fehlern lernen, die bei großen Rüstungsprojekten gemacht wurden."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Rüstungsprojekte sind ja eine heikle Angelegenheit. Die Kosten, die laufen oft genug aus dem Ruder, und bei Auslieferung steht oft die Erkenntnis, das Waffensystem hat überhaupt nicht die Fähigkeiten, die es eigentlich haben sollte. Die Flugdrohne Euro-Hawk hätte dem damaligen Verteidigungsminister de Maizière beinahe das Amt gekostet. Das Sturmgewehr G36 bringt den jetzigen Innenminister als auch Verteidigungsministerin von der Leyen aktuell enorm in Bedrängnis.
    Jetzt hat die Ministerin mitgeteilt, die Bundeswehr schafft zwei Waffensysteme an: das Luftabwehrsystem Meads und vier moderne Kampfschiffe. Die Opposition moniert also, bei der Entscheidung für Meads sei man eher dem Wunsch der Industrie gefolgt als den sicherheitspolitischen Notwendigkeiten.
    Wir haben Agnieszka Brugger von den Bündnisgrünen gerade gehört. Marcel Dickow, er ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, und ihn habe ich gefragt, ob an dieser Kritik etwas dran ist.
    "Luftverteidigungssystem steht nicht oben auf der Prioritätenliste"
    Marcel Dickow: Es ist zumindest verwunderlich, dass während das Verteidigungsministerium einen Weißbuch-Prozess startet, das in 2016 ein solches Weißbuch produziert, solche doch bedeutenden Rüstungsentscheidungen schon vorher getroffen werden. Insofern sollten wir uns noch mal tatsächlich fragen, ob eine sicherheitspolitische Notwendigkeit gegeben ist, und wenn ja, ob sie Priorität hat, und ich sehe diese Diskussion zumindest im Bundestag und auch im Verteidigungsministerium in den letzten Monaten nicht gegeben.
    Heckmann: Und Sie melden da durchaus Zweifel an?
    Dickow: Es geht ja bei knappen Kassen und bei begrenzten Mitteln immer darum, was die Bundeswehr tatsächlich braucht, für die Landesverteidigung, aber auch für die Auslandseinsätze, und da ist ein Luftverteidigungssystem sicherlich wichtig, aber es steht im Moment in meinen Augen nicht unbedingt ganz oben auf der Prioritätenliste.
    Heckmann: Weshalb nicht?
    Dickow: Luftverteidigungssysteme sind wichtig in Auslandseinsätzen, wenn der Gegner selbst über erhebliche militärische Fähigkeiten verfügt, das Beispiel der Patriot-Systeme in der Türkei gegenüber der Luftflotte Assads. Aber in den meisten Auslandseinsätzen, über die wir in den letzten Jahren nachgedacht haben oder die jetzt auf der Agenda stehen, haben wir es doch eher mit asymmetrischen Gegnern zu tun, die in der Regel nicht über eine Luftwaffe verfügen, die nicht über Raketen verfügen. Da geht es eher um einfache Geschosse, Mörser, Granaten und so weiter, und gegen genau diese Bedrohung ist Meads nicht konstruiert.
    "Debatte über Priorität zu kurz gekommen"
    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, dass man auf Meads im Prinzip verzichten könnte?
    Dickow: Ich würde sagen, wir sollten eine Debatte darüber führen, was bei knappen Kassen und begrenzten Mitteln tatsächlich Priorität haben sollte. Es sind ja einige Entscheidungen getroffen worden. Der taktische und der strategische Lufttransport, das ist etwas, was man bei jedem Auslandseinsatz und auch in der Landesverteidigung braucht, und solche Prioritäten sollten wir, denke ich, wenn wir über Luftverteidigung sprechen, auch setzen. Zumindest sollten wir darüber diskutieren, und das scheint mir in letzter Zeit zu kurz gekommen zu sein.
    Heckmann: Jetzt hat aber der Generalinspekteur Wieker gesagt, dass die Bedrohung, die ausgeht, beispielsweise von Drohnen, die eingesetzt werden von gegnerischer Seite, nur als ein Beispiel, ja ungeheuer zugenommen habe. Das überzeugt Sie nicht?
    Dickow: Das ist ein Teil der Bedrohungslage, die wir sehen. Drohnen sind nun ein sehr technisch gesehen einfaches Beispiel, weil sie im Moment noch sehr langsam fliegen, weil nicht alle Länder über Drohnen verfügen, und wenn, dann sind sie so klein, dass sie eher keine Bedrohung darstellen. Da sehe ich im Moment noch keine ausreichende Begründung.
    Der Schutz von Feldlagern zum Beispiel im Auslandseinsatz scheint mir da doch deutlich wichtiger und dafür ist Meads sozusagen als System zwischen einer strategischen Raketenabwehr auf der einen Seite und einer Feldlagerabwehr auf der anderen Seite, also Meads als System in der Mitte, für solche Bedrohungen scheint mir das System doch überdimensioniert zu sein.
    "Industriepolitik spielt immer eine Rolle bei Rüstungsvorhaben"
    Heckmann: Bisher war die Bundeswehr ja mit Patriot-Abwehrraketen ausgestattet. Da verstehe ich Sie richtig, dass Sie vielleicht dazu plädiert hätten, diese stattdessen zu modernisieren?
    Dickow: Ja das ist letztlich eher eine rüstungspolitische und vielleicht auch eine industriepolitische Entscheidung. Da geht es ja darum, ob man sich eher für Meads entscheidet, oder für Patriot. Technisch gesehen, militärtechnisch gesehen, spielt das wahrscheinlich keine Rolle, zumal die Anforderungen ohnehin so definiert wurden im Vorfeld, dass dann ja auch das Ministerium eigentlich zu dem Schluss gekommen ist, dass man beides machen kann und beides seine Vor- und Nachteile hat.
    Hier geht es tatsächlich eher um Industriepolitik und darum, ob Geld, das für ein solches System ausgegeben wird, auch im Lande bleiben kann, und das ist bei Meads definitiv gegeben, weil mit MBDA eine deutsche Firma daran beteiligt ist, und bei einem Upgrade des Patriots-Systems wäre das nicht der Fall gewesen.
    Heckmann: Das heißt, Sie würden die Kritik teilen, in der es heißt, dass eigentlich nicht sachliche Gründe Ausschlag gegeben haben für diese Entscheidung, sondern die Überlegung, ob man bestimmte Industriezweige, die in Deutschland beheimatet sind, unterstützt?
    Dickow: Ich würde sagen, dass das auch sachliche Gründe sind, und solche Gründe, Industriepolitik, Technologiepolitik, spielen ja immer eine Rolle bei Rüstungsvorhaben, und das ist absolut legitim. Aber das sollte man auch entsprechend kommunizieren. Es geht hier in keiner Linie darum, welches System fähiger ist. Wahrscheinlich sind beide Systeme so fähig, dass man eher von einer Goldrand-Lösung sprechen würde. 80 Prozent der Fähigkeiten eines Systems würden wahrscheinlich auch ausreichen und wären billiger.
    Aber solche Überlegungen wie Industriepolitik sind immer bei Rüstungsprojekten da und sie sind auch legitim, denn es geht ja auch um so was wie strategische Unabhängigkeit in bestimmten Technologien, es geht um Arbeitsplätze. Man muss es auf den Tisch bringen und dann müssen die Argumente in beide Richtungen, pro und contra, diskutiert werden, und das scheint mir im Moment noch nicht der Fall zu sein.
    "Es wird versucht, aus Fehlern vergangener Rüstungsprojekte zu lernen"
    Heckmann: Herr Dickow, viele Rüstungsprojekte in der Vergangenheit sind ja finanziell total aus dem Ruder gelaufen. Diesmal legt man aber eine realistische Kostenschätzung zugrunde. Kann man dieser Ankündigung trauen, oder könnte sich da ein neues Milliarden-Grab auftun?
    Dickow: Das Problem ist, dass man immer erst im Nachhinein abschätzen kann, ob die Kostenschätzung realistisch war. Ich habe meine Zweifel auch in diesem Fall. Ich sehe, dass versucht wird, aus Fehlern vergangener Rüstungsprojekte zu lernen. Die Definition von Meilensteinen, Rückfalloptionen, Strafzahlungen bei Nichterfüllung oder nicht rechtzeitiger Erfüllung, das sind alles Instrumente, die es übrigens auch schon in anderen Verträgen gegeben hat, aber die konsequent angewandt werden müssen.
    Ich sehe einen guten Willen und ich denke, das ist auch richtig. Es ist an der Zeit, dass wir aus den Fehlern lernen, die bei Großprojekten und auch bei großen Rüstungsprojekten gemacht wurden. Am Ende entscheidet die Frage, ob die Politik und natürlich auch die Ministerien, in diesem Fall das Verteidigungsministerium, über die ganze Projektlaufzeit hinweg am Ball bleiben. Ich denke, hier wird es sich erst zeigen müssen, ob es ein Grab wird, ein Millionen- oder Milliarden-Grab, oder ob es tatsächlich dann vielleicht das erste große Rüstungsprojekt wird, das in der Zeit kommt, das nicht sehr viel teurer wird und das am Ende das kann, was von vornherein gefordert war.
    Heckmann: Ursula von der Leyen war ja mit dem Anspruch angetreten, den Sumpf zwischen Industrie und Beschaffungswesen in der Bundeswehr trockenzulegen. Ist sie da - letzte Frage an Sie, Herr Dickow - auf einem guten Weg, oder ist das noch viel zu früh zu beurteilen?
    Dickow: Das scheint mir zu früh zu sein, um das zu beurteilen. Das was wir jetzt über die mögliche Vertragsausgestaltung wissen, deutet in eine richtige Richtung in meinen Augen. Es gibt ja viele Projekte, aus denen man da lernen kann. Wenn man sich das Transportflugzeug A400M anschaut, dann hat es da auch einen relativ guten Vertrag gegeben und erst im Nachhinein sind die Dinge schiefgelaufen. Ich sehe gute Ansätze, aber es wird sich erst zeigen müssen.
    Heckmann: Marcel Dickow war das, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr Dickow, danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.
    Dickow: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.