Donnerstag, 28. März 2024

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Ralf Stegner zur Flüchtlingspolitik
"CSU-Politiker führen sich auf wie Halbstarke"

Ralf Stegner hat das Konzept der Union zu Transitzonen für Flüchtlinge erneut infrage gestellt. Der Vorschlag sei "nicht praktikabel, nicht verfassungskonform und nicht human - er taugt also nicht", sagte der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende im Deutschlandfunk.

Ralf Stegner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.11.2015
    Ralf Stegner, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD
    Ralf Stegner, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD (imago stock & people)
    "Wenn in Deutschland die Regierung nicht handlungsfähig ist, profitieren am Ende die Rechtsparteien", sagte Stegner. "Ich fordere die Union auf, zur Regierungsfähigkeit zurückzukehren." Im Streit in der Union hätten sich Politiker der CSU "wie Halbstarke" aufgeführt. Die von der Union geforderten Transitzonen bedeuteten für die Flüchtlinge Haftbedingungen, sagte Stegner. Im Kern sei dies auch Teil eines "Schäbigkeitswettbewerbs". Man wolle ein Signal setzen: "Die Leute werden nicht mehr so gut behandelt."
    Schnellere Verfahren wichtiger
    Die Union will mit den Transitzonen die Asylverfahren beschleunigen. Union und SPD hatten sich am Wochenende nicht auf Grundzüge einer neuen Flüchtlingspolitik verständigen können. Linkspartei und Grüne übten scharfe Kritik an der Großen Koalition. Es sei "ein Trauerspiel", dass sich Union und SPD weiter zerstritten zeigten, sagte Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.
    Die Transitzonen seien unpraktikabel, verfassungsmäßig zweifelhaft und bedienen eine Stimmungsmache, so Stegner weiter. "Wir haben Hunderte von Kilometern grüner Grenzen. Und die Transitzonen haben am Ende Haftbedingungen. Das ist so absurd, das zeigt doch eigentlich, wo das Problem liegt." Die SPD habe mit den Einreisezentren den besseren Vorschlag gemacht. Die Menschen würden zur Registrierung gebracht, ein Datenaustausch fände statt und es gebe schnellere Asylverfahren. "Das ist es doch, was vordringlich passieren muss." Er frage sich, warum Flüchtlinge monatelang auf Termine warten müssten. "Das kann nicht richtig sein."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir kommen noch einmal auf den Koalitionsgipfel gestern zu sprechen. Offiziell hat dieser Gipfel kein Ergebnis gebracht. Am Vormittag gestern um elf Uhr war das Dreiergespräch im Kanzleramt zu Ende. SPD-Chef Sigmar Gabriel ist dann ins Auto gestiegen und abgefahren. Aber die Spitzen der beiden Unions-Parteien CDU und CSU haben anschließend noch mehrere Stunden weiterverhandelt und dann ein gemeinsames Positionspapier verfasst. Darin ist jetzt ausdrücklich von Transitzonen die Rede, die jetzt an den Grenzen nach Österreich eingerichtet werden sollen. - Ralf Stegner ist stellvertretender SPD-Vorsitzender. Schönen guten Morgen!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Stegner, war das guter Stil, einfach weiterzuverhandeln, nachdem Sigmar Gabriel schon weg war?
    Stegner: Na das zeigt vor allen Dingen, wo das Problem liegt. Wenn CDU und CSU zehn Stunden miteinander reden müssen, dann sieht man ja, was da los ist. Herr Seehofer hat der Kanzlerin Ultimaten gestellt, von Verfassungsbruch gesprochen, Herr Uhl von der CSU hat gesagt, die Grenzen werden geschlossen mit oder ohne Frau Merkel. Da haben die schon Gesprächsbedarf. Bei denen ging es ja eher zu wie in so einer sizilianischen Familie und nicht wie bei Schwesterparteien in Deutschland.
    "Egal wie man das dreht, es sind am Ende Haftbedingungen"
    Armbrüster: Aber die beiden Familien haben sich jetzt geeinigt und auf einmal ist jetzt Ihre SPD im Zugzwang. Was machen Sie, wenn sich Merkel und Seehofer jetzt gemeinsam für Transitzonen einsetzen?
    Stegner: Nein, das hätte die Union gerne. Wenn Sie sich dieses Papier betrachten, was das Ergebnis dieser Sonntagsarbeit war, dann ist das richtig dünn. Und zu sagen, das Vordringlichste seien diese Transitzonen, also etwas, was jedem klar ist, dass das gar nicht funktionieren kann - wir haben Hunderte von Kilometern grüner Grenze in Deutschland zu unseren Nachbarstaaten und dann soll man Transitzonen schaffen, die ja de facto Haftbedingungen sind. Egal wie man das dreht, es sind am Ende Haftbedingungen. Exterritorial soll das sein. Das was an Flughäfen für ganz wenige Menschen funktioniert, will man jetzt an Landgrenzen machen. Das ist so absurd und zu sagen, das sei das Vordringlichste, zeigt doch eigentlich, wo das Problem liegt, und eigentlich können wir uns das überhaupt gar nicht leisten. Die SPD hat einen Vorschlag gemacht, was man praktisch tun könnte, indem man nämlich diejenigen, die zu uns kommen, zur Registrierung bringt, indem wir also Zentren machen, wo Menschen registriert werden, Datenaustausch stattfinden kann, schnelle Verfahren begonnen werden können. Das ist das, was doch vordringlich in Deutschland passieren muss, und dass die Union sich nicht damit beschäftigt, sondern mit ihrem Schwesterstreit, das ist deswegen bitter, weil wenn in Deutschland die Regierung nicht handlungsfähig ist, dann profitieren davon am Ende die Rechtsparteien. Das kann man sich nicht wünschen.
    Armbrüster: Herr Stegner, wir haben darüber ja vor gut einer halben Stunde mit Gerda Hasselfeldt von der CSU gesprochen. Sie hat gesagt, ausdrücklich, es handelt sich nicht um Gefängnisse, weil diese Gebiete, diese Transitzonen ja nicht komplett umzäunt sind. Das heißt, die Menschen, die dort drin sind, können jederzeit zurück in das Land, aus dem sie gekommen sind, also zum Beispiel nach Österreich.
    "Eine Art Schäbigkeitswettbewerb"
    Stegner: Sie kommen aber aus Ländern, wo sie vorm Bürgerkrieg davongelaufen sind, die meisten übrigens. Es kommen kaum noch welche aus den Balkan-Staaten. Das zeigt übrigens, wie untauglich das ist. Und es nützt doch nichts, unseren Nachbarländern jetzt die Probleme zuzuschieben. Wir haben doch lange genug zugeguckt, wie das in Lampedusa und anderswo gewesen ist, und jetzt haben wir die Probleme, wenn die Flüchtlinge an unseren Grenzen sind. Das zeigt übrigens, dass wir in Deutschland ohnehin wenig Möglichkeiten haben, weil die Kernfrage, die gelöst werden muss, die Bekämpfung der Fluchtursachen und ein europäisches Verteilsystem sind. Aber gerade weil das so ist, müssen wir das, was in Deutschland dann wenigstens gehen würde, nämlich die Verfahren zu beschleunigen, machen, aber da versagt das Bundesinnenministerium. Der Datenaustausch funktioniert nicht und die Kommunen stöhnen, weil eben nicht nur die Menschen verteilt werden, die hier bleiben und integriert werden, sondern auch ganz viele andere. Das heißt, das Problem muss doch angegangen werden in der Sache und nicht mit Vorschlägen, die nichts taugen und die eigentlich nur der Stimmungsmache dienen, und das weiß jeder, der sich damit beschäftigt. Deswegen verstehe ich nicht, warum man unseren Vorschlägen nicht folgen möchte.
    Armbrüster: Herr Stegner, muss denn nicht auch die SPD anerkennen, dass diese Einwanderung nach Deutschland über die österreichische Grenze in großen Teilen völlig unkontrolliert verläuft und dass man hier neue Formen der Kontrolle finden muss?
    Stegner: Darum geht es doch nicht, ob wir das anerkennen oder nicht. Wir wollen auch das in geordneteren Verhältnissen haben. Das geht aber nur mit den Nachbarn und ein Teil der geordneten Verhältnisse würde auch darin bestehen, dass wir endlich für eine Registrierung und für einen Datenaustausch in Deutschland sorgen. Das gelingt uns aber nicht. Alles andere zu glauben, wir könnten da ernsthaft wieder Zäune bauen oder Mauern bauen - und das müssten wir bei Hunderten von Kilometern grüner Grenze -, das funktioniert doch nicht. Und schauen Sie: Diese Zentren, die die Union sich vorstellt, diese Transitzonen, die haben ja wohl offenbar den Effekt, das Signal von Frau Merkel in die Welt zu konterkarieren. Man will zeigen, die werden hier nicht mehr so gut behandelt. Das ist so eine Art Schäbigkeitswettbewerb. Wer würde denn in eine solche Transitzone kommen, wenn er die Möglichkeit hätte, anderswo über die grüne Grenze zu gehen? Das stimmt doch hinten und vorne nicht zusammen. Es ist nicht praktikabel, es ist nicht verfassungskonform, es ist nicht human, es taugt also nichts und deswegen fordere ich die Union wirklich auf, zur Regierungsfähigkeit zurückzukehren, mit uns über praktische Maßnahmen zu reden. Denn die CSU, die führen sich doch auf wie Halbstarke in der Regierung, und das kann man nicht richtig und gut finden.
    "Verfassungsmäßig zweifelhaft"
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns über Ihre Vorschläge sprechen, die Vorschläge der SPD. Sie wollen Einreisezentren schaffen.
    Stegner: Ja.
    Armbrüster: Was genau ist der Unterschied zu Transitzonen?
    Stegner: Der Unterschied ist, dass es erstens sich nicht um Haft handelt, zweitens nicht exterritorial ist, sondern überall in Deutschland stattfindet, von Passau bis Neumünster, überall, auch an der Grenze, aber auch in den anderen Aufnahmestellen, und dass diese Registrierung auch die Voraussetzung dafür ist, dass man die vollen Sozialleistungen bekommt und dass man auch in den Verfahren eine vernünftige Chance hat. Wer sich nicht registrieren lässt muss damit rechnen, dass er keine guten Chancen im Verfahren hat und auch nicht die Sozialtransfers bekommt. Denn auch wir sagen ja: Die, die nicht verfolgt sind und nicht aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind, die müssen zurückkehren in die Länder, aus denen sie gekommen sind. Da gibt es ja keinen Unterschied. Aber wir wollen das eben auf eine Art und Weise machen, die praktikabel ist, die human ist und die mit Recht vereinbar ist. Und was ich von der CDU und der CSU höre, sind eigentlich nur Vorschläge, die unpraktikabel sind, die verfassungsmäßig zweifelhaft sind und die überhaupt nichts nützen, außer die öffentliche Stimmungsmache zu beflügeln, und davon hat wirklich niemand was.
    "Es kommen kaum noch Menschen aus den Balkan-Staaten"
    Armbrüster: Sie haben jetzt auch gerade von den Flüchtlingen gesprochen, die man zurückführen muss. Müsste man nicht eigentlich, wenn man wirklich konsequent europäisches und deutsches Recht anwendet, sagen, alle Menschen, die über die österreichische Grenze zu uns kommen, müssen eigentlich zurückgeschickt werden, denn sie kommen aus Österreich und damit aus einem sicheren Herkunftsland?
    Stegner: Dieses ganze Konzept ist doch gescheitert. Das sieht man doch daran, dass kleine Länder das gar nicht stemmen können. Wir müssen natürlich die Außengrenzen sichern, aber wir haben innerhalb von Europa das Schengener Abkommen, haben wir Bewegungsfreiheit und brauchen wir eine Einigung zwischen den Ländern. Es kann nicht sein, dass Schweden und Deutschland auf Dauer die Hauptlast tragen. Das sagen wir schon seit Wochen. Aber gerade weil das mit der europäischen Einigung und mit der Bekämpfung der Fluchtursachen und mit der Verbesserung in den Flüchtlingslagern so kompliziert ist, gerade deswegen muss das, was wir in Deutschland tun, dann jedenfalls sinnvoll sein, und das ist es eben nicht. Und Sie müssen noch etwas anderes bedenken: Es kommen ja kaum noch Menschen aus den Balkan-Staaten. Es kommen zu 90 Prozent Menschen aus den Bürgerkriegsgebieten, aus Syrien, aus Eritrea, aus Afghanistan, aus Pakistan, dem Irak. Und das heißt: Nicht mal die Gruppe, die die CSU anspricht, ist hauptsächlich betroffen. Und die Frage, die ich eigentlich stellen müsste, was spricht denn gegen unseren Vorschlag und warum kriegt das Bundesamt und der de Maizière das nicht endlich hin, dass die Verfahren beschleunigt werden, dass der Datenaustausch endlich funktioniert. In Holland dauert das zweieinhalb Wochen, bei uns sechseinhalb Monate. Manchmal warten die Bewerber monatelang, auch nur einen Termin zu kriegen für ihre Anhörung. Das kann nicht richtig sein. Mein Eindruck ist, dass die Union ablenkt davon, dass sie nicht das umsetzen will, was Bund und Länder verabredet haben, sondern jeden Tag einen neuen Vorschlag macht und einer ist zweifelhafter als der andere.
    Armbrüster: ... sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der SPD-Vize Ralf Stegner. Vielen Dank, Herr Stegner, für das Interview heute Morgen.
    Stegner: Sehr gerne. Tschüss, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.