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Ramadan
Wie liberale Muslime und Aleviten fasten

Der islamische Fastenmonat Ramadan zählt zu den fünf Säulen des Islams. Rund die Hälfte der Muslime in Deutschland macht mit. Doch gerade in den heißen Sommermonaten kann es in Nordeuropa zur Qual werden, von Sonnenaufgang bis -untergang auf alle Speisen und Getränke zu verzichten. Gibt es liberale Kompromisse? Wie lässt sich ein Gebot neu deuten?

Von Mechthild Klein | 02.07.2015
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    Nach dem Fasten kommt das Zuckerfest (dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    "Es ist unter praktizierenden Muslimen durchaus so, wenn es jemand nicht schafft oder noch nicht so weit ist, diese religiösen Pflichten zu erfüllen, immer in einem Rechtfertigungsdruck den anderen gegenüber ist."
    Arne List, praktizierender Muslim und Sprecher des Liberal-Islamischen Bundes
    "Jemand, der nur äußerlich der Religion nachgeht, ist ja nicht unbedingt ein besserer Gläubiger als jemand, der offen damit umgeht, dass er das einfach nicht tut. Die liberale Position ist, da niemanden zu fragen, warum er nicht fastet, sondern das als individuelle Entscheidung von jedem einzelnen anzunehmen und niemanden zu verurteilen, der das nicht tut."
    Es gibt Muslime, die zu Ramadan nur auf das Rauchen verzichten oder auf das Mittagessen. Denn im Islam zählt die gute Absicht und nicht der Buchstabengehorsam, sagt Arne List vom Liberal-Islamischen Bund. Doch das ist keine allgemein akzeptierte Haltung im traditionellen Islam.
    Auch die 18-stündige Fastendauer im Sommer im Nordeuropa ist Thema unter liberalen Muslimen, weil „das eine Zeit ist, die sehr schwer ist, durchzuhalten zu fasten. Man muss sich das so vorstellen, wenn man berufstätig ist: Man kann erst am Abend nach 22 Uhr wieder essen. Dann ist man vielleicht zwei Stunden dabei, geht dann ins Bett und muss dann drei Stunden später wieder aufstehen zum Frühstück, weil das vor der Morgendämmerung passiert sein muss. Und wer sich da konsequent dran hält, der hat sehr schnell ein Problem mit Übermüdung, aber man geht ja auch hungrig und durstig in den Tag - das ist schon sehr anstrengend."
    Immer mehr Muslime fragen sich: Lässt sich das nicht nivellieren? Aber von den muslimischen Gemeinden in Deutschland kommen keine Antworten. Wie wäre es, die Fastenzeiten zum Beispiel nach Mekka oder Ägypten auszurichten? In diesen muslimischen Ländern, die näher am Äquator liegen, ist nicht nur die tägliche Fastenzeit kürzer, dort wird auch das Arbeitstempo und die Produktivität generell herunter gefahren.
    Aleviten fasten zweimal im Jahr
    Eine Gruppe, die in Deutschland zu Ramadan gar nicht fastet, das sind die Aleviten. Etwa jeder Dritte türkischstämmige Deutsche bekennt sich zu diesem Glauben. Aleviten wurden in der Türkei viele Jahrhunderte lang verfolgt. Gläubige verschwiegen daher oft ihre Zugehörigkeit zum Alevitentum.
    "Es gibt bei den Aleviten zwei Fastenzeiten, und die richten sich nach unterschiedlichen Kalendern."
    Handan Aksünger, Junior-Professorin für das Alevitentum an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg.
    "Wir haben das Hizir-Fasten, dreitägig, zirka in der Mitte des Monats Februar. Hizir gilt als ein Schutzpatron, der der gesamten Gesellschaft, der Menschheit und Menschen in Not zu Hilfe eilt. Damit verbunden gibt es gegenwärtig Entwicklungen, dass Schülerinnen und Schüler im alevitischen Religionsunterricht etwa Hilfspakete basteln und dann an Flüchtlingsheime abgeben oder auch in Kinderheime gehen, den Kindern einen schönen Tag bereiten. Es geht darum, den Mitmenschen zu helfen, für sie da zu sein und die Zeit gemeinsam zu verbringen."
    Im Monat Oktober wird das Muharram-Fasten zelebriert, wo ebenfalls tagsüber nicht gegessen oder getrunken wird.
    "Da geht es darum, zwölf Tage lang, zu Ehren der zwölf Imame zu fasten. Und insbesondere an das Leid von Imam Hussein zu erinnern, der in der Kerbela-Wüste um 680 umgekommen ist mit seinen Gefolgsleuten, sein Sohn aber hat überlebt. Es ist eine Trauerzeit, aber ohne sich Leid zuzufügen, also keine Passionsspiele. Es geht, darum, sich mit sich selbst und der Gemeinschaft zu versöhnen, Streitigkeiten zu beseitigen, gut zu Nachbarn, Mitmenschen etc. zu sein."
    "Der Mensch soll selbst entscheiden"
    Jegliches Fasten gilt jedoch als freiwillig, betont Professorin Aksünger.
    "Es gibt nicht die Pflicht, man muss fasten. Denn alles, was nicht aus reinem Herzen kommt und auf Freiwilligkeit basiert, erfüllt den Sinn nicht."
    So steht es Aleviten frei, auf andere Dinge wie Süßigkeiten zu verzichten. Oder sie überlegen, wie sie in den zwölf Tagen miteinander umgehen. Oder sie spenden an Bedürftige anstatt zu fasten.
    Der liberale Ansatz sei im Alevitentum von Anfang an enthalten, denn es gelte die eigene Religion immer zu hinterfragen. Alles mit dem Ziel, ein vollkommener Mensch zu werden, im Einklang mit den Mitmenschen und mit Gott.
    "Das heißt, dass der Mensch selbst entscheiden kann und soll auch, nach den eigenen Bedingungen auch, wie er dem Fasten nachgehen kann."