Mittwoch, 24. April 2024

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Ramelow zu rot-rot-grünen Bündnissen
"Es gibt immer noch Bananen in Thüringen"

Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, sieht in der Berliner Wahl noch kein Signal für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene. Er verwies jedoch auf die Erfolge seiner Länderkoalition: "Das ewige Gerede vom Linksbündnis, das das Land in den Ruin treibt, ist so alt wie der Kalte Krieg", sagte der Linken-Politiker im Deutschlandfunk.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 21.09.2016
    Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsident, gestikuliert im Landtag.
    Sieht Thüringens Regierung als Erfolgsmodell: der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow im Interview mit dem Deutschlandfunk. (dpa / picture-aalliance / Martin Schutt)
    Laut Ramelow müsse die SPD zunächst grundsätzlich einen Kurs einschlagen. "Erstmal sollte die SPD in Berlin entscheiden, wie es weitergeht", sagte Thüringens Ministerpräsident. In Mecklenburg-Vorpommern hätten sich die Sozialdemokraten schließlich erneut für eine gemeinsame Koalition mit der CDU ausgesprochen, auch wenn rechnerisch ein Bündnis mit der Linkspartei möglich ist.
    Starkes Jahr für Thüringen unter Rot-Rot-Grün
    Ramelow kritisierte, dass im Bund viel Geld für Rüstung, aber wenig für Bildung übrig sei. Er verlangte Grundsatzdiskussionen über Hartz IV und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie über die Werte der NATO, die bald auch unter der Führung der Präsidenten Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan stehen könne.
    Ramelow beklagte "das ewige Gerede vom Linksbündnis, das das Land in den Ruin treibe". Diese Floskel sei so alt wie der kalte Krieg, dabei sei das Jahr 2015 für Thüringen extrem gut verlaufen. "Es gibt immer noch Bananen", sagte er ironisch. Die Zahl der Arbeitsplätze hätte zugenommen, die Menschen hätten mehr Geld. Der CSU-Politiker Michael Frieser hatte in der Diskussion um die AfD ein Linksbündnis als "eigentliche Gefahr" bezeichnet.
    Wegen der AfD: "Demokratie auf der Probe"
    "Mit der AfD wird die parlamentarische Demokratie in Deutschland auf eine extreme Probe gestellt", sagte Ramelow. Ein Problem dabei sei, dass im Bundestag nicht mehr erkennbar sei, wer dem links-liberalen Block angehöre und wer dem bürgerlich-konservativen.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: In Berlin beginnen heute die Sondierungsgespräche. Der Wahlsieger SPD lädt zuerst die CDU ein, also den alten Koalitionspartner. Allerdings ist definitiv keine Große Koalition mehr möglich. Es wird ein Dreierbündnis geben müssen und das wahrscheinlichste derzeit: Rot-Rot-Grün. Es wäre die zweite Länderkoalition in dieser Farbgebung und ist das unter Umständen auch ein Trend für den Bund?
    Wir fragen nach bei dem, der die bisher einzige rot-rot-grüne Länderkoalition anführt: Bodo Ramelow, linker Ministerpräsident von Thüringen. Guten Morgen!
    Bodo Ramelow: Guten Morgen!
    "Das ganze Jahr 2015 ist für Thüringen extrem gut gelaufen"
    Büüsker: Herr Ramelow, in Berlin warnt Frank Henkel vor einem linken Bündnis. Gestern hat der CSU-Abgeordnete Michael Frieser hier im Deutschlandfunk gesagt, ich zitiere: "Alle Welt schreit im Augenblick von der Gefahr einer AfD und eines Rechtsrucks dieser Gesellschaft und die eigentliche Gefahr ist doch, dass gegebenenfalls wirklich ein Linksbündnis in diesem Land droht." - Herr Ramelow, wie sehr muss sich Deutschland vor einem Linksbündnis im Bund fürchten?
    Ramelow: Vor knapp zwei Jahren hieß es, wenn in Thüringen eine solche Landesregierung zustande käme, würde die Welt untergehen. Es würde das Kapital Thüringen verlassen, das scheue Kapital würde über den Rennsteig nach Bayern flüchten. - Ja, und es gibt immer noch Bananen und die Arbeitsplätze haben zugenommen, die Arbeit hat zugenommen, die Leute haben auch mehr Geld in der Lohntüte gehabt.
    Das ganze Jahr 2015 ist für Thüringen extrem gut gelaufen, ich behaupte nicht wegen unserer Landespolitik, aber ich behaupte, dass unsere Landespolitik Teil eines erfolgreichen Weges ist. Und dieses ewige Gerede von dem Linksbündnis, das das Land in den Ruin treibt, das ist so alt wie der Kalte Krieg und man hat das Gefühl, dass manche Leute im Süden Deutschlands immer noch nicht begriffen haben, dass sie auch Teil des Problems sind, in dem wir heute stecken.
    "Die parlamentarische Demokratie wird in Deutschland auf eine extreme Probe gestellt"
    Büüsker: Dann gucken wir gleich vielleicht noch mal ausführlicher nach Thüringen. Kurz noch der Blick zurück nach Berlin. Rot-Rot-Grün ist da ja eigentlich nur deshalb möglich, weil die CDU so viel verloren und die AfD so stark zugelegt hat. Wie sehr können Sie sich unter diesen Voraussetzungen über diese Option überhaupt freuen?
    Ramelow: Die ganze Entwicklung in den letzten Landtagswahlen hat gezeigt, dass die AfD ein Potenzial an Wählerinnen und Wählern wieder an die Wahlurne bringt, worüber wir uns als Demokraten, wenn wir uns ernst nehmen, eigentlich freuen müssten.
    Aber es wird eben auch deutlich, dass mit der AfD eine Partei auf die Tagesordnung getreten ist, die eine Neinsager-Partei ist. Sie verweigert sich jedem inhaltlichen Diskurs, wenn es darum geht, Gestaltungsoptionen zu übernehmen, und die parlamentarische Demokratie wird in Deutschland auf eine extreme Probe gestellt.
    Das Problem dieser Entwicklung ist auch, dass in Berlin (und zwar im Bund) eine Große Koalition regiert, bei der nicht mehr deutlich wird, wer ist eigentlich dem linksliberalen Block zuzuordnen und wer wäre dem bürgerlich-konservativen Block zuzuordnen. Und ehrlich gesagt, der CSU-Mann, den sie gerade zitiert haben, der sollte sich wieder mal mit Franz-Josef Strauß auseinandersetzen, der gesagt hat, rechts neben der CDU/CSU darf es nur noch die Wand geben.
    "An der Börse entsteht nicht Solidarität. An der Börse entsteht Profit"
    Büüsker: Jetzt haben Sie eben gesagt, die AfD verweigert sich jeglichem inhaltlichem Diskurs. Das würde manch anderer Politiker auch von Ihrer Parteikollegin Sahra Wagenknecht sagen.
    Ramelow: Nein. Das will man offenkundig auch überhaupt nicht verstehen, welche Vorschläge und welche exzellenten Analysen Sahra Wagenknecht liefert. Ich erlebe immer wieder, wenn Sahra Wagenknecht sich zu finanzpolitischen Fragen äußert und generell darauf hinweist, wohin eine Politik geht, die zulässt, dass die großen Finanzunternehmen dieser Welt immer mehr uns in eine Sackgasse manövriert haben, in der die Boni der Banker das Wichtigere war als Lösungen für kleine und mittelständische Betriebe, und wenn das Spekulieren im Vordergrund steht, dann geht viel, viel mehr verloren.
    Ich sage nur mal das Stichwort Karstadt, ein wirklich stolzes Unternehmen, bei dem ich mal vor vielen Jahrzehnten gelernt habe. Was aus diesem Unternehmen geworden ist. Und wenn man sich vergleichbare Entwicklungen anguckt, sieht man, dass an der Börse eben nicht Solidarität entsteht. An der Börse entsteht nur Profit.
    "Gibt es nicht Alternativen in der Weltfriedensarchitektur?"
    Büüsker: Herr Ramelow, das heißt, Sie sehen in den Äußerungen von Sahra Wagenknecht gerade mit Blick auf die Außenpolitik auch kein Hindernis für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene?
    Ramelow: Ich will mal einen Versuch unternehmen, sie einzuladen zu einem Diskurs. Wenn die NATO eine wertebasierte Gemeinschaft ist, die unsere Werte auch mit militärischen Mitteln verteidigt, dann würde ich gerne wissen, welche Werte verteidigt die NATO gerade mit Herrn Erdogan, wenn NATO-Flugzeuge in Coban und Roshawa auf die JPG-Stellungen - das sind die einzigen, die am Boden gegen den IS kämpfen und die Jesiden dort verteidigen -, wenn diese mit NATO-Flugzeugen angegriffen werden, ist das noch unsere Wertegemeinschaft?
    Und, was Gott verhüten möge, sage ich jetzt mal als gläubiger Christ, dass Trump nicht gewählt wird. Aber falls er gewählt werden würde, was ist eine Wertegemeinschaft dann wert, wenn ein Herr Trump und ein Herr Erdogan bestimmt, wie der Kurs in der NATO ist? Deswegen ist doch die Frage, wohin entwickelt sich die NATO und gibt es nicht Alternativen in der Weltfriedensarchitektur, warum soll die nicht von links …
    "Erst mal sollte in Berlin die SPD entscheiden, wie es weitergeht"
    Büüsker: Herr Ramelow, wenn ich das richtig verstehe, dann werden vor einem rot-rot-grünen Bündnis erst mal ganz extrem anstrengende Grundsatzdiskussionen stehen?
    Ramelow: Nein, überhaupt nicht! Ich weiß gar nicht, was das mit Landespolitik zu tun hat. Sie reden ja mit einem Ministerpräsidenten, der diese Diskussion nicht führen muss und der sie auch nicht geführt hat und trotzdem Ministerpräsident geworden ist, weil im Senat von Berlin wird nicht über Außenpolitik entschieden.
    Büüsker: Aber wenn wir auf den Bund gucken und da über Optionen reden von Rot-Rot-Grün, dann müssen Sie …
    Ramelow: Entschuldigung! Der Ausgangspunkt unseres Gespräches war, dass Sie mich nach Rot-Rot-Grün in Berlin gefragt haben. Und wenn wir dann über den Bund reden, dann kann ich Ihnen sagen, erst mal sollte in Berlin die SPD entscheiden, wie es weitergeht. Dann darf ich darauf verweisen: In Mecklenburg-Vorpommern wäre auch eine andere Alternative möglich. Die SPD hat sich dort wieder für die CDU entschieden.
    Und ich sehe eine andere Diskussion in Deutschland erst möglich, wenn die SPD die Kraft hat, sich zu entscheiden, ein linksliberales Bündnis im Bund auch entstehen zu lassen. Dann können wir diese Grundsatzdiskussion auch führen und ich halte sie auch für dringend notwendig. Sie muss endlich geführt werden!
    "Deutschland gibt zu wenig Geld für Bildung aus"
    Büüsker: Wo sehen Sie denn grundsätzlich Überschneidungen mit der SPD?
    Ramelow: Die Frage, ob wir den Rüstungsetat erhöhen, wie es Frau Bundeskanzlerin im Moment landauf, landab sagt, die immer den Hinweis gibt, wir müssen nach amerikanischem Vorbild so viel Geld in unserer Gesellschaft mobilisieren, um Militärlogik aufzubauen, oder ob die Frau Bundeskanzlerin mal daran erinnert wird und das zum politischen Alltag wird, dass mehr Geld in die Bildung investiert werden muss.
    Deutschland gibt zu wenig Geld für die Bildung aus und ehrlich gesagt, als Linker weise ich darauf hin, dass Kinder, die in Armut groß werden, und Schulsysteme, die ausgrenzend wirken, die eigentliche Bedrohung unserer gesellschaftlichen Zukunft sind.
    Büüsker: Wie kompromissbereit ist denn Die Linke mit Blick auf die Macht? Was zählt mehr, linke Grundsatzpolitik oder tatsächlich ein Politikwechsel?
    Ramelow: Ich höre immer die Macht und überlege mir dann, wie in London die City und in Frankfurt die großen Türme entscheidend sind, wie die Macht in dieser Welt verteilt ist. Das, was wir bekommen können, ist Regierungsverantwortung und in der Regierungsverantwortung wird Die Linke sich einbringen, um deutlich zu machen, dass zum Beispiel Langzeitarbeitslose endlich eine Perspektive brauchen, dass zum Beispiel die Hartz-IV-Logik, die bislang ausgrenzend gewirkt hat, wieder überwunden wird dahingehend, dass man Menschen wieder begleitet in einen Arbeitsmarkt und dass wir dazu Modelle entwickeln müssen, und dass Behinderte, Gehandicapte den Weg in die Gesellschaft brauchen und nicht Gesetze, die sie weiter aus der Gesellschaft raushalten.
    Deswegen die Frage, welches Gesellschaftsbild haben wir eigentlich? Wollen wir, dass jeder mitgenommen wird? Wenn das im Vordergrund steht, ist Die Linke dabei, aktive Gestaltungspolitik und Verantwortung zu übernehmen.
    Büüsker: Und wenn wir jetzt vielleicht doch noch mal ganz zum Schluss des Gespräches auf den Bund gucken. Wie optimistisch sind Sie, dass nach der Bundestagswahl das tatsächlich auf Bundesebene möglich ist?
    Ramelow: Ich bin optimistisch, dass wir endlich anfangen, darüber zu reden, ob endlich eine Million Menschen aus der Leiharbeit wieder in reguläre Arbeit kommen, ob endlich wieder fünf Millionen mehr Vollzeit-Erwerbsarbeitsplätze entstehen, statt weiter in die Teilzeit abgedrängt zu werden. Ich bin optimistisch, dass wir endlich eine Diskussion haben, dass die Prekarisierung auch unserer wissenschaftlichen jungen Menschen an den Universitäten und Hochschulen beendet wird.
    Büüsker: Herr Ramelow, wir müssen leider zum Ende unseres Gesprächs kommen, weil die Nachrichten auf uns zurollen. Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass Sie heute Morgen hier im Deutschlandfunk Zeit für uns hatten. Bodo Ramelow war das, linker Ministerpräsident von Thüringen.
    Ramelow: Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.