Sonntag, 21. April 2024

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Rap vom Busfahrer
Übermütiges Album des Electro-House-Duos Digitalism

Vor fünf Jahren haben Jens Moelle und Ismail Tüfekçi das bisher letzte reguläre Studioalbum "I love you, dude" herausgebracht. Diesen Freitag erschien das dritte Digitalism-Album, das zwar überwiegend im gewohnten Electro-Dance-Sound angesiedelt ist, aber keiner Marketingstrategie folgen soll. Weswegen auch mal der Fahrer eines Tour-Busses eine Rap-Einlage besteuern darf.

Von Bernd Lechler | 14.05.2016
    Jens Moelle und Ismail Tüfekçi von dem Elektro-Duo Digitalism
    Jens Moelle und Ismail Tüfekçi von dem Elektro-Duo Digitalism. (Imago / Future Image)
    "Wenn man das Licht ausmacht, dann ist da gar nichts, da kann man sich Sachen vorstellen, oder man muss einfach aus nichts irgendwas machen, und das ist unheimlich kreativ."
    Jens Moelle spricht vom fensterlosen Studio im Hamburger Bunker, in dem die meiste Musik von Digitalism entsteht.
    "Also je weniger Inspiration da ist, desto besser eigentlich, weil dann wird man gezwungen, selber was zu erstellen"
    Und ohne Erwartungen vom Label, ohne Deadline und ohne Konzept flossen die Ideen offenbar reichlich: Mit fünfzehn Tracks über achtzig Minuten ist "Mirage" geradezu maßlos. Im besten Sinne.
    "Diesmal sind auch sehr viele lange Stücke entstanden, wo wir einfach nicht aufhören konnten: Es geht immer weiter, und dann kommt wieder was ganz Neues um die Ecke, fast wie bei so einer Liveshow. Also wenn man einfach nicht aufhört rum zu jammern."
    Hip-Hop-Ausreißer auf einem Dance-Album
    Dancefloor-Banger Marke Daft Punk gibt es einige. Natürlich auch gesungene Tracks - euphorischen Indie-Elektropop mit angriffslustigen Titeln wie "Battlecry". Dazwischen lehnen sie sich Richtung Rock oder winken Kraftwerk zu, drosseln mal das Tempo zu Sphärenklängen, oder bringen ganz unerwartet einen Hip-Hop-Track. Den Rapper muss man nicht kennen:
    "Das ist unser Busfahrer, Tony Wilson"- genannt Tennessee Tony, der ihnen auf einer US-Tour immer mit seinen angeblichen Rap-Qualitäten in den Ohren lag.
    "Dann war das halt unser letzter Tag in den Staaten, und dann mein ich so: 'Tony, du hast zwei Minuten, Rap zu singen.' Und dann hat er draufgesungen, aufgenommen per iPhone, und irgendwann waren Jens und ich im Studio und ich bin so die Memos durchgegangen und meinte so: 'Ey, guck mal!' Und wir waren beide so fasziniert, dass es eigentlich zuerst ein Interlude werden sollte, aber dann haben wir entschieden, das ist so ein witziger Song, eine Hommage an uns und auch das, was auf Tour passiert ist, das hat es widergespiegelt."
    Auch das passt zu diesem Duo: Ein Hip-Hop-Ausreißer auf einem Dance-Album, der keinem Konzept entspringt, keiner Marktforschung, sondern eher reinem Übermut. Dass die Arbeit diesmal besonders rasch lief, lag nicht zuletzt daran, dass Jens Moelle mit seiner Frau inzwischen teilweise in London lebt. Hat nicht geschadet.
    "Nein eigentlich nicht! Das sieht man jetzt auch am Produkt, weil jeder hat was vorbereitet und man war zielstrebiger. Also man hat wirklich anstatt sechs Wochen an einem Track hat man wirklich nur drei, vier Tage gearbeitet maximal, und dann war es auch fertig. Dass man danach nochmal Feinheiten macht, das ist was anderes, aber das Grobe stand."
    Eine Band, wie die Hamburger Elbbrücken
    Den Erfolg von Digitalism, die Remixe für Depeche Mode, die Club-Hits, die Festival-Engagements, schildern die beiden eher als Reihe von Zufällen, nicht als Ergebnis einer Strategie. Andererseits rümpfen sie über die ganz populären Kollegen keineswegs die Nase: David Guetta nennen sie liebevoll den Otto Waalkes des Dancefloor, der mit den anderen Mainstream-Bolzern wie Avicii oder Calvin Harris schon zu was nütze sei.
    "Wir profitieren wirklich alle davon, weil es ist halt so: Die Leute sehen die großen Stars, und dann befassen sie sich auch mit den anderen Genres."
    "Ja, wie elektronische Musik für Einsteiger quasi, und dann kann man sich weiter damit befassen und findet noch interessantere Künstler."
    Solche wie Digitalism, meint er wohl. Die leisten sich auch auf diesem hörenswerten dritten Album weiterhin ihr Markenzeichen, sich nicht für einen Stil, ein Modell zu entscheiden. Und fühlen sich dabei wie ein Stück Hamburger Hafenarchitektur.
    "Wir haben letztens gesagt, wir sind halt die Elbbrücken, weil wir das wissen. Also, wir sind halt nicht richtig Indie-Elektronik oder Post-Punk, und wir sind halt auch nicht richtig Techno oder House, sondern wir sind halt die Brücke dazwischen. Und dazu stehen wir auch."