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Ras Al Khaimah
Das etwas andere arabische Emirat

Ras Al Khaimah ist anders als Dubai und Abu Dhabi. Nur zwei Hochhaustürme gibt es bisher, stattdessen die längsten und schönsten Strände der Vereinigten Arabischen Emirate. Dank des Hajar-Gebirges ist es auch deutlich grüner.

Von Lottemi Doormann | 04.05.2014
    Das Dayah-Fort im Hajar-Gebirge
    Das Dayah-Fort im Hajar-Gebirge. (Deutschlandfunk/Lottemi Doormann)
    Mohamed Al Suwaidi lehnt in einem knöchellangen weißen Gewand in den bunten Kissen eines mit Teppichen ausgelegten Bootes. Auf der Fahrt zu der einzigen Perlenfarm des Mittleren Ostens sollen es seine Gäste bequem haben. Während sich das Boot den Lagunen nähert, in denen Austernnetze an Schalen verstreut im Wasser schaukeln, erzählt Mohamed von den Perlentauchern.
    "Früher war hier nur Wüste. Kein Öl, keine Landwirtschaft, nichts, nur das Meer. Fischen brachte kein Geld. Nur das Perlentauchen. Wenn der Sommer kam, stachen sie zum Tauchen in See, 45 Männer auf einem Boot, vier Monate und zehn Tage mitten im Meer, fern von ihren Familien. Das Boot hatte nur zwei Segel, und wenn kein Wind da war, mussten sie rudern. Sie tauchten vom frühen Morgen bis Sonnenuntergang, ohne Ausrüstung, Hunderte Male am Tag, nur mit einem Korb, in den sie rasch die Austern einsammelten. Es war ein gefährliches Leben, manchmal kamen Männer nicht zurück. Aber eine andere Arbeit gab es nicht."
    Und eines Tages war es damit vorbei. Die Verbreitung der billigeren Zuchtperlen aus Japan seit den 1930er Jahren ließ den Markt für Naturperlen zusammenbrechen. Erst Jahrzehnte später - im Jahre 2004 - gelang es, mit der Perlenzucht an die alte Tradition der Perlenfischerei wieder anzuknüpfen. Ausgerechnet in Zusammenarbeit mit den Japanern, die einst den Niedergang des Perlenhandels verursacht hatten.
    Bevor wir ins Boot gestiegen sind, durften wir dabei zuschauen, wie lebende Austern Stück für Stück per Hand mit einem winzigen Fremdkörper präpariert werden, bevor sie ins Meer gesetzt werden. Der japanische Direktor Daiji Imura ist mit an Bord und kündigt nun in gebrochenem Englisch einen ruhigen Ankerplatz an.
    In der Ferne fliegen Flamingos über einen leeren Strand. Kamele spazieren am Ufersaum entlang vor der Silhouette des dunkelbraunen Hajar-Gebirges. Während uns Datteln und Kardamom-Kaffee gereicht werden, wird ein Eimer mit Austern geholt.
    "Jedes Jahr im Januar öffnen wir 40.000 Austern. In 80 Prozent der Austern sind Perlen, 20 Prozent sind tot oder werden zurückgeworfen. Von den 80 Prozent Perlen sind zehn Prozent in Topqualität, 40 Prozent mittlere Qualität, der Rest ist für Schmuck unbrauchbar und wird für medizinische oder kosmetische Zwecke benutzt."
    Eine Mauer bis weit in den Oman
    "Heute können Sie Ihr Glück versuchen."
    Jeder darf sich eine Auster aussuchen und Mohamed öffnet sie für uns. Große Freude, als die erste Perle zum Vorschein kommt. In einer Muschel direkt aus dem Meer eine verborgene Perle zu finden, das ist ein ganz besonderes Erlebnis. Und am Ende dürfen alle ihre Perlen aus dem Arabischen Meer behalten.
    Mohamed Al Suweidi
    Mohamed Al Suweidi (Deutschlandfunk/Lottemi Doormann)
    Die Perlenfarm ist nicht das Einzige, was dieses Emirat an der Nordspitze der arabischen Halbinsel so besonders macht. Ras Al Khaimah ist anders als Dubai und Abu Dhabi. Nur zwei Hochhaustürme gibt es bisher, stattdessen aber die längsten und schönsten Strände der sieben Vereinigten Arabischen Emirate. Wer sich einen 20-Minuten-Trip mit einem Wasserflugzeug gönnt, sieht von oben viel Grün zwischen den Lagunen, üppige Palmenhaine, Mangrovenwälder und Gemüsegärten. Das Mehr an Grün verdankt Ras Al Khaimah seinen Bergen, dem bis zu 2000 Meter hohen Hajar-Gebirge, das sich wie eine Mauer bis weit in den Oman hinein zieht.
    Ein steiler Fußweg führt hinauf zu einer Festung, dem Dhayah Fort. Es liegt auf einer Bergkuppe über mächtig aufgetürmten Felsbrocken in der glühenden Mittagshitze, umringt von einer Mauer, von der man einen fantastischen Blick bis zum Meer hat. Unser Guide Kareel erklärt:
    "Dies ist ein sehr wichtiger Ort. Wegen des Wassers, das von den Bergen kommt, wenn es regnet. Es staut sich am Fuße des Berges, deshalb sind dort unten rundherum grüne Palmenoasen. Wer immer diesen Ort früher kontrollierte, hatte die Macht in Ras Al Khaimah. Wegen des Wassers, und auch wegen der Lagune, einem natürlichen Hafen, den man von hier oben überblickt - militär-strategisch ein wichtiger Punkt. So entstand hier schon im 16. Jahrhundert die erste Festung. Man sieht noch die alten Verteidigungsbauten und die Mauer zum Schutz der Farmer. Sie kamen hier herauf, um sich vor Angriffen zu schützen. Es war wie eine kleine Stadt, mit der Festungsanlage um die Palmenhaine herum."
    Lange widerstand das Fort Anfang des 19. Jahrhunderts den Angriffen der Briten. Es war die letzte Bastion vor der Straße von Hormus hinter den Bergen - jener Meerenge, die für die britischen Handelsflotten nach Indien eine große Bedeutung hatte.
    "Nach einem letzten Kampf kam es nach dem Sieg der Briten 1820 zu einem Friedensvertrag mit den Scheichs der Umgebung, der die spätere Gründung der Vereinigten Arabischen Emirate ermöglichte."
    Im Hajar-Gebirge von Ras Al Khaimah sind die Pfade noch unbefestigt und voller rutschigem Geröll. Wandern ist nicht ratsam. Aber eine Berg-Safari mit einem Fahrer, der sich in den Bergen auskennt, das kann man wagen. Ahmed Gkhan, in Ras Al Khaimah aufgewachsen, muss erst die Kette lösen, die den Weg aufwärts versperrt. Weil der Berg einen Besitzer hat, der dort oben wohnt. Den kennt Ahmed, nur er dürfe hier durch.
    200 Jahre alte Häuser
    Und los geht es mit dem Jeep so steil hinauf, dass einem schwindlig wird. Zwischen den bröckeligen Gebirgsflanken ist die Piste kaum erkennbar, manchmal verschwindet sie ganz. Nur ein paar trockene Schirmakazien krallen sich vereinzelt ins karge Gestein. Dann stoppt Ahmed auf einem schmalen Plateau. Die schroff aufragenden Berge leuchten ockerfarben im späten Nachmittagslicht.
    "Als höchsten Punkt haben wir hier den Jebel Jais. Er ist 1930 Meter hoch. Dies hier ist der sogenannte Beobachtungswall in 550 Metern Höhe, früher ein Platz, um die Stadt, die Berge oder die Briten zu überwachen, die Feinde eben."
    Bevor die Sonne untergeht, will uns Ahmed noch das Bergdorf zeigen. Es sind quaderförmige Häuser, gemauert aus grobem Kalkstein, mit einem Flachdach. Manche dicht beieinander in einer Talmulde, andere auf der Kuppe des ausgedehnten Hügels.
    "Sie sind geschätzte 150 bis 200 Jahre alt. Die Dächer waren aus Palmblättern, manche Balken aus Mangrovenholz. Aber diese Fenster und Türen stammen von Archäologen, um die Häuser zu erhalten. Damals hatten die Häuser keine Fenster, nur Löcher und eine Türöffnung, mit Kleidern verhängt, damit der Wind hereinkommen und zirkulieren konnte. Denn es gab keine Elektrizität. Etwa 50 bis 60 Menschen lebten in diesem Dorf namens Salhir in den Bergen."
    Ahmed, Mitte dreißig, ist schon in der neuen Zeit groß geworden. Er trägt westliche Kleidung und ist wie seine fünf Brüder und drei Schwestern in die kostenlosen Schulen des Emirats gegangen.
    "Ich bin hier geboren und habe im Laufe der Jahre viele Veränderungen erlebt. Seine Hoheit Scheich Saqr hat viel für die Erhaltung und Modernisierung des Emirats getan. Da unten sehen Sie das neue Al Hamra, das wir unsere neue Hauptstadt nennen, wegen der modernen Gebäude, der Plätze, dem Golfclub und Jachthafen. Aber andere Gegenden sind immer noch sehr traditionell. Wir wollen das nicht vermischen. Alles zusammen ist Ras Al Kheimah, der versteckte Schatz."
    Ahmeds Vater ist Händler und betreibt in der Stadt einen Gemüseladen. Doch seine Mutter streift noch immer die Abaya über, den bodenlangen schwarzen Umhang, wenn sie aus dem Haus geht. Und Ahmed? Hat er eine Frau, Familie? Noch nicht, der Berg sei seine Freundin, sagt er und lacht. Und stoppt er an der spektakulärsten Stelle des Gebirges, gewaltig aufgetürmten Felsbrocken, von deren Spitze man in eine 200 Meter tiefe Schlucht blickt. Der "Grand Canyan" von Ras Al Khaimah.
    Auf der Fahrt zurück ist es stockdunkel, nur die Scheinwerfer huschen flackernd über die Piste. Ahmed ist stolz darauf, dass er im Gebirge jede Kurve kennt und weiß, wo gefährliche Abstürze lauern. Erleichterung, als er vor der Kette am Fuße des Berges hält. Ahmed steigt aus, öffnet sie, fährt durch und verschließt sie wieder. Den Schlüssel versteckt er in einem verborgenen Baumloch.
    Elfenbeinfarbene Moschee
    Freitagmittag, der Sonntag der Moslems. Schon von Weitem ist die Khutba, die Freitagspredigt des Imam, in der großen elfenbeinfarbenen Moschee zu hören. Vor dem säulengeschmückten Eingang zum Raum der Gläubigen stapeln sich Hunderte Sandalen und dazwischen wenige Turnschuhe.
    Auf dem roten Teppich unter der hohen Kuppel und einem großen Kronleuchter finden 500 Männer Platz. Der viel kleinere Gebetsraum der Frauen liegt seitlich an der Rückseite der Moschee, niedrig, schmucklos und der Eingang kaum sichtbar.
    Schließlich geht der Gesang des Imam in ein Sprechen über. Man solle gut zu den Frauen und Kindern sein, predigt er, und das Almosengeben nicht vergessen, die Wohlfahrtsspende zur Unterstützung der Armen. Dann ist das Freitagsgebet vorbei, und das Leben kehrt zurück auf die Straße. Ein Vater mit seinem halbwüchsigen Sohn, beide im weißen Feiertagsgewand, gesellt sich zu uns vor der Moschee.
    Er möchte uns sagen, wie sehr er sich darüber freue, dass wir hier sind und uns für die arabische Kultur interessieren, übersetzt man uns. Er heißt Aden Mahboub und arbeitet in der Bibliothek des Nationalmuseums von Ras Al Khaimah. Dann spreizt er Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand - ein Zeichen nach dem Beispiel des Scheichs von Dubai, sagt er. Es bedeute Liebe, Frieden und Glück für die Welt.
    Ein einzigartiger Ort für die Archäologie
    Anderntags treffen wir Aden Mahboub wieder - im Nationalmuseum, das keineswegs so aussieht, wie man sich ein Nationalmuseum in einem Emirat vorstellt. Um einen stillen Innenhof mit Schatten spendenden Bäumen in der Mitte gruppieren sich zweigeschossige Gebäude in traditioneller Architektur. Einst gehörten sie zu einem alten Fort, das von den Briten zerstört und vor 200 Jahren wieder aufgebaut wurde. Dort begrüßt uns Ahmad Hilal - einer der Archäologen, die sich um das alte Dorf im Gebirge gekümmert haben.
    "Ich bin gerade letzte Woche von einer Vermessung aus den Bergen zurückgekommen. Wir waren zwei Tage in acht- bis neunhundert Metern Höhe, um ein Gebiet von vier Quadratkilometern zu erforschen. Ras Al Khaimah mit seinen vielfältigen Landschaften, den Bergen, der Wüste, den Palmengärten, den landwirtschaftlichen Gebieten und der Küste ist ein einzigartiger Ort für die Archäologie, einmalig innerhalb der Emirate und Oman. Hier lebten permanent Menschen, weil es Wasser gab und all die anderen Ressourcen. Wir sprechen von einer 7000-jährigen Geschichte."
    Ahmed Jebel in den Jais-Bergen
    Ahmed Jebel in den Jais-Bergen (Deutschlandfunk/Lottemi Doormann)
    Das Schmuckstück des Museums ist ein originaler Windturm, der älteste noch funktionierende der Emirate, behutsam restauriert. Indem der kühle Seewind durch Öffnungen in den Innenraum geleitet wurde, diente er als eine Art Klimaanlage. Dieser Turm stammt noch aus der persischen Besatzungszeit, erbaut um 1740, als sich dort das alte Fort befand, das die Engländer später angriffen und zerstörten. Nach dem Wiederaufbau lebten die Herrscher von Ras Al Khaimah bis 1964 im Fort, danach war es Polizeihauptquartier, bis es schließlich in den Achtzigern dem Museum übergeben wurde.
    In den vielen Räumen des Forts findet man außer den archäologischen Sammlungen auch Exponate zur Alltagskultur der Beduinen und Perlentaucher. Einige der ältesten Fundstücke stammen aus dem verlassenen Fischerdorf Jazira Al Hamra, dem einstigen Wohnort der Perlentaucher.
    Eine staubige Geisterstadt
    Das alte Jazira Al Hamra gibt es noch, das Dorf der Perlenfischer und Händler, das schon im 14. Jahrhundert von einem Stamm namens Za'ab auf einer Halbinsel gegründet wurde. Die Siedlung lag an einer Lagune, die bei Flut vom Land abgeschnitten war. Vor 40 Jahren, nach dem Niedergang der Perlenfischerei, ließ die Regierung die Lagune zuschütten und errichtete darauf ein neues Dorf. Damals haben die meisten Bewohner ihr Heimatdorf verlassen. Zurück blieb eine der ältesten Küstensiedlungen der Emirate, eine staubige Geisterstadt, durch die man staunend spaziert, allen Trümmerhaufen und zerbröckelten Mauern zum Trotz.
    Sie sind noch da, die Häuser aus Korallenstein, deren mit Muscheln bedeckte Wände man immer wieder berühren möchte. Ganze Straßenzeilen sind erkennbar, und unser Guide Kareel erklärt, was dort damals war.
    "Hier war der Markt, der bis zur Küste reichte, all die Läden der Händler, die mit dem Verkauf der kostbaren Perlen reich wurden. Sie fuhren mit großen amerikanischen Straßenkreuzern durch die Hauptstraße, entweder mit großen Landrovern oder großen Cardillacs, die waren früher am häufigsten zu sehen."
    Wir betreten eines der zweistöckigen, mit arabischen Ornamenten verzierten Anwesen der Händler, die um einen Innenhof gruppiert waren, mit einem eigenen Brunnen in der Mitte. Manche hatten sogar im Haus einen Brunnen. Dieser hier funktioniert bis heute. Kareel bückt sich in seiner blütenweißen Dishdasha, um uns ein Schälchen Brunnenwasser zum Probieren zu reichen.
    "Salzig?" - "Aber nur wenig." - "Ja?" - "Sehr wenig." - "Diese gemauerte Wasserstelle ist für die Waschungen vor dem Gebet."
    Ziemlich groß war dieses Dorf, geschützt von einem jetzt halb zerfallenen Fort mit zwei Wachtürmen. Nahe am Meer ist auch die Moschee noch da, die älteste von Ras Al Khaimah, mit einem kegelförmigen Minarett aus Korallenstein. Und manchmal fährt hier immer noch ein großes Auto durch, als gebe es in Jazira Al Hamra noch etwas zu beschicken.
    Vielleicht wird es nicht mehr lange dauern, bis einer der letzten authentischen Orte aus der Zeit vor dem Ölboom verschwunden sein wird. Das neue Al Hamra, von dem Ahmed in den Bergen so geschwärmt hat, bedrängt das alte Fischerdorf schon von allen Seiten. Und neue touristische Großprojekte sind geplant, darunter drei Hotel-Pyramiden mit dem ersten All-inclusive-Resort der Vereinigten Arabischen Emirate. Die Gästezahlen steigen rapide, Ende 2013 überstiegen sie bereits die erste Million.
    Doch noch geht es in Ras Al Khaimah allen Zahlen zum Trotz eher beschaulich zu. Und so soll es auch in Zukunft bleiben. Nermin Abushnaf, Direktorin in der Tourismusabteilung der Regierung, verabschiedet uns mit den Worten:
    "Wir wollen kein zweites Dubai oder Abu Dhabi werden, denn dann würden wir unsere Identität verlieren."