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Rasches Wachstum, rascher Tod

Umwelt. - Bisher schien es, dass die Wälder vom steigenden Kohlendioxidgehalt der Luft profitieren, weil das CO2 ein Rohstoff für ihre Photosynthese ist. Eine aktuelle Studie gießt jetzt allerdings viel Wasser in den Wein: Ein Schweizer Ökologe hat durch Simulationen ermittelt, dass die Chancen hoch sind, dass jung ins Kraut geschossene Bäume auch schnell wieder sterben. Damit wäre der positive Effekt der schnell gewachsenen Wälder ebenso schnell wieder verpufft.

Von Volker Mrasek | 16.12.2010
    Die Erdatmosphäre wäre heute noch stärker mit Kohlendioxid beladen, gäbe es nicht Ozeane und Wälder. Rund die Hälfte der CO2-Emissionen von Kraftwerken, Industrie, Haushalten und Verkehr verschwindet immer noch Jahr für Jahr im Meer beziehungsweise in der Biosphäre an Land. Und dort vor allem in Naturwäldern, den grünen Lungen der Erde. Ihre Bäume leben von Kohlendioxid. Für sie ist die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre wie zusätzlicher Dünger, der ihr Wachstum fördert ...

    "Wenn jetzt das CO2 weiter ansteigt, gibt es Leute, die hoffen, daß dadurch die Aufnahme an CO2 durch die Biosphäre noch größer wird, das heißt, daß uns geholfen wird, unsere Emissionen zum Verschwinden zu bringen."

    Darüber freuen würde sich auch Harald Bugmann gewiss. Nur mag der Professor für Waldökologie an der ETH Zürich neuerdings nicht mehr so recht daran glauben. Sicher, es stimmt: Der "CO2-Düngeeffekt" für die Vegetation läßt sich eindeutig nachweisen. Satellitenbilder zeigen gebietsweise üppiger gewordene Wälder, die mehr Kohlenstoff speichern. Doch langfristig könnte dieser positive Effekt wieder verpuffen, warnt der Ökologe:

    "Meine Studie deutet darauf hin, daß wir vielleicht einen Prozess vergessen haben in unseren Abschätzungen, der diese Kohlenstoff-Absaugefunktion der Biosphäre massiv reduziert respektive auf Null bringen könnte."

    Der Prozess, auf den Harald Bugmann jetzt in einem Fachartikel hinweist, ist das vorzeitige Altern der mit CO2 gedüngten Waldbäume. Sie bezahlen das beschleunigte Wachstum mit einem kürzeren Leben, ...

    "dadurch, daß die Bäume, die unter einem erhöhten CO2-Gehalt heranwachsen, beispielsweise eine Holzqualität haben, die schlechter ist, als wenn sie nicht gedüngt worden wären. Und dann deswegen früher umfallen."

    Auch scheinen solche Bäume verwundbarer gegenüber Schädlingen zu sein.

    "Und dann wird das CO2 wieder früher in die Atmosphäre freigesetzt."

    In Bugmanns Computermodell war das jedenfalls so. Darin simulierte der Forscher, wie sich sechs verschiedene Waldtypen in der Schweiz unter dem Einfluß der CO2-Düngung entwickeln – bei Wachstumsraten, die um zehn bis 30 Prozent erhöht sind. Die Ergebnisse seien repräsentativ für europäische Naturwälder, sagt der Ökologe:

    "Die bisherigen Abschätzungen gehen eben davon aus, daß das Absterben nicht beschleunigt ist. Was dann netto mehr Kohlenstoff-Speicherung entsprechen würde. Und meine Studie zeigt, daß das Absterben früher eintreten könnte. Und wenn das so ist, dann wird das zum Nullsummenspiel. Dann nützt die Düngung zu Beginn des Kreislaufs überhaupt nichts."

    Fachkollegen halten Bugmanns Studie für bemerkenswert. Hank Shugart, Professor für Naturwissenschaften und Forstökologe an der Universität von Virginia in den USA:

    "Unsere Studien deuten in die gleiche Richtung. Von Forstbäumen wussten wir schon: Rasches Wachstum bedeutet raschen Tod. Denn die Bäume konkurrieren dann stärker miteinander. Harald Bugmanns Studie erweitert unser Wissen in diesem Punkt. Sie legt nahe, daß es den Effekt auch in Naturwäldern gibt. Also dort, wo der meiste Kohlenstoff gebunden ist – am Amazonas zum Beispiel."

    Bugmann selbst räumt ein, daß es ein großes Dilemma mit seiner Modellstudie gibt: Ihr Ergebnis läßt sich schwerlich überprüfen. Dazu müsste man Waldbäume über ihre ganze Lebensspanne beobachten, bis zum möglichen, frühzeitigen Absterben – ein Experiment, das Generationen von Ökologen beschäftigen und viel zu lange dauern würde. Der Zürcher Forscher empfiehlt, lieber auf das Vorsorgeprinzip zu setzen:

    "Da ist ein Faktor am Horizont. Es ist plausibel anzunehmen, daß er so wirkt. Und er vernichtet uns die zusätzliche Kohlenstoff-Speicherung in der Biosphäre. Also sollten wir vorsichtig sein, auf diese zusätzliche Speicherung zu bauen. Beispielsweise, wenn es um Emissionsreduktionsziele geht. Das ist die politische Dimension der ganzen Sache."

    Mit anderen Worten: Industrie- und Entwicklungsländer sollten nicht falsche Hoffnungen in den CO2-Düngeeffekt und die Selbstheilungskräfte der Natur setzen, sondern ihre Verpflichtungen zum Klimaschutz eher noch ernster nehmen.