Thomas Wagner: "Die Angstmacher. 1968 und die Neue Rechte"

Warum wir mit den Rechten reden sollten

"Die Angstmacher"
Buchcover: "Die Angstmacher" und eine Mauer © Aufbau Verlag/picture alliance/dpa/Foto: Holger Hollemann
Von Florian Felix Weyh · 09.09.2017
Als ehemaliger Redakteur der "Jungen Welt" mit einer linken Weltsicht, ruft Thomas Wagner zum Dialog auf. Mit "Die Angstmacher" liefert er dafür auch das nötige Rüstzeug, um die intellektuellen Konstrukte der Neuen Rechten zu sezieren.
Thomas Wagner: "Die Haltung zum Nationalsozialismus ist schon sehr lange eine sehr distanzierte, eine ablehnende. Die Heroen, auf die man sich bezieht, die konservativen Vorgänger rekrutieren sich eher aus der dem konservativen Widerstand gegen die Nazidiktatur. Das ist Stauffenberg, der Stauffenberg-Kreis. Oder eben auch Weiße Rose, Sophie Scholl. Die Lieblingsautorin von Ellen Kositza, sagt sie immer wieder, ist Sophie Scholl."
Das sagt Thomas Wagner. Und er schreibt: "Im Verlaufe meiner Recherche zu diesem Buch habe ich exklusive Gespräche mit Vertretern verschiedener Generationen der Neuen Rechten geführt. Dabei stellte ich mir die Frage, ob es tatsächlich eine gute Idee sei, rechte Intellektuelle vom politischen Diskurs auszuschließen, wie es immer wieder geschieht. Ist der offen geführte Streit nicht der viel bessere Weg, um mit ihnen umzugehen?"

Die Neue Rechte strebt die kulturelle Hegemonie an

Wagner jedenfalls redet mit ihnen, mit Ellen Kositza und Götz Kubitschek, den beiden rechten Leitintellektuellen auf ihrem Rittergut Schnellroda. Und mit Martin Sellner, "dem redegewandten und einen auf sympathische Weise einnehmenden Kopf und Aushängeschild der Poprechten". Der hat mit seinem aus Frankreich adaptierten Label der "identitären Bewegung" einen Coup gelandet. Seit der Flüchtlingskrise sickern deren Begrifflichkeiten weit ins bürgerliche Lager ein.
Genau das hat sich die Neue Rechte von linken Theoretikern abgeschaut: Man muss die kulturelle und mediale Hegemonie erringen – Begriffsprägungen sind wichtiger als Präsenz auf der Straße, auch wichtiger als eine parlamentarische Vertretung. "Metapolitik" nennt das die Neue Rechte, und bei Martin Sellner scheint die Metamorphose vom völkischen Schreihals zum smarten Stichwortgeber am auffallendsten gelungen: "War Sellner tatsächlich ein Neonazi? ´Ja, ich denke das kann man so sagen`, lautet seine überraschend klare Antwort."

Woher das Konzept "Ethnopluralismus" stammt

Die Neue Rechte ist um – bisweilen strategisch wirkende – Transparenz bemüht. Dass einer von ganz rechts kommt wie Sellner und sich jetzt einen moderaten Anstrich gibt, scheint dabei seltener als die Wege von links nach rechts und vice versa. Ehemals studentenbewegte SDS-Mitglieder, die heute weit rechts stehen, kennt man einige; weitgehend unbekannt ist dagegen der kürzlich verstorbene Soziologe Henning Eichberg. Ihm verdankt die Neue Rechte einen zentralen Begriff. Eichberg fuhr in den 70ern zu Forschungsarbeiten nach Südostasien.
Thomas Wagner: "Wo er mit indonesischen und deutschen Kolleginnen und Kollegen Konzepte der Entwicklungshilfe untersuchen sollte. Das hat er gemacht und in dem Zusammenhang einen wissenschaftlichen Aufsatz publiziert, in dem er den Begriff ´Ethnopluralismus` eher beiläufig verwendet. Den gleichen Aufsatz hat er dann später in einer gekürzten Fassung in einer rechtsradikalen Publikation veröffentlicht."
Eichbergs ursprünglich wissenschaftlicher, dann von ihm selbst politisierter Begriff des "Ethnopluralismus" mauserte sich im politischen Raum zur Kampfvokabel: Ethnien, besagt er, sollten sich nicht vermischen, sondern in ihren Kulturräumen verbleiben.

Kein biologscher Rassismus mehr

Thomas Wagner: "Es wird in der wissenschaftlichen Literatur so beschrieben, dass es darum ginge, den Rassismus auf eine nicht mehr rassenbiologische Grundlage zu stellen, dass man sozusagen kulturelle Konzepte stattdessen verwendet. Das heißt aber auch, dass das Konzept der Rassenmischung - dass das schlimm sei! - nicht mehr so richtig 1:1 klappt. Denn wenn’s sozusagen um kulturelle Einheiten geht, die sich möglichst nicht vermischen sollen, das ist ne andere Kategorie. Dann wär sozusagen auch der Übergang von dem einen in den anderen kulturellen Kontext prinzipiell möglich."
"Ethnopluralismus bedeutet", erklärt dann Götz Kubitschek im Gespräch mit Thomas Wagner, "dass wir den ethnokulturellen Ausdruck der anderen würdigen, und nicht vorhaben, in irgendeiner Weise missionarisch, prägend, formend oder vereinnahmend zu wirken. Diese Haltung impliziert, dass man hofft, dass die anderen auch ethnopluralistisch sind und uns in Ruhe lassen."
Eine Modernisierung rechter Isolationsideen, abzüglich des ehedem vorhandenen biologistischen Anteils. Der in Dänemark lebende Henning Eichberg war im Alter dann Mitglied einer linken Partei, obwohl er ursprünglich aus der rechtsradikalen Wiking-Jugend kam.

Der Philosoph Arnold Gehlen als Stichwortgeber

Das scheint kein Zufall, denn auch in den Sphären der Theorie berühren sich die Ränder. Das lässt sich am Hausphilosophen der Neuen Rechten erkennen, nämlich an Arnold Gehlen, frühes NSDAP-Mitglied und dennoch in den 50er-und 60er-Jahren vom Bürgertum wohlgelitten. Adorno debattierte mit Gehlen öffentlich, aber nicht nur das:
Thomas Wagner: "Der marxistische Philosoph Georg Lukács hat zentrale Kategorien von Gehlen in seiner Ästhetiktheorie übernommen, ich hab mir das letztens noch mal angeschaut. In 40, 50 Stellen kommt Gehlen im Register vor. Das ging über die Vermittlung von Wolfgang Harich, einem ehemals bekannten Philosophen der DDR, einem Marxisten, der eine jahrzehntelange Brieffreundschaft mit Gehlen unterhielt."
Die in Gehlens Schriften steckende antiliberale und individualitätsfeindliche Haltung kommt all jenen entgegen, denen formale Strukturen und Institutionen mehr bedeuten als der Blick auf den Einzelnen. Staatsgläubige Marxisten treffen sich da mit rechten Apologeten von Volk und Nation. Und wo sich über die Jahrzehnte hinweg auch Formen des antibürgerlichen Polit-Happenings angeglichen haben, lassen sich Ähnlichkeiten von Neuer Rechter und 68er-Linke kaum bestreiten.

Linker Autor ruft zum Streitgespräch mit Rechts auf

Obwohl Thomas Wagner als ehemaliger Redakteur der "Jungen Welt" eine dezidiert linke Weltsicht hat, ist sein außerordentlich informatives Buch vollkommen unvoreingenommen, wissbegierig in der Sache und offen für Gedankenaustausch.
Selbstredend will er keine Werbung für die Neue Rechte machen, hält von Dämonisierungen allerdings gar nichts. Die Angst, man könne im Dialog mit rechts quasi über den Tisch gezogen werden, weil dort längst nicht mehr völkisch-dumpf, sondern manchmal durchaus brillant argumentiert werde, weist er von sich:
Thomas Wagner: "Ich halte intellektuelle Brillanz im engeren Sinne jetzt noch nicht so für wahnsinnig gefährlich. Es ist eine Herausforderung, die einem selbst – gleich, welche politische Position man einnimmt – doch dazu verhelfen kann, selbst besser zu werden, indem man versucht, dieser Brillanz etwas Adäquates entgegenzusetzen."
"Die Angstmacher" – ein im Gegensatz zum Buchinhalt eher panisch klingender Titel – liefert jedenfalls ein geeignetes Besteck, die intellektuellen Konstrukte der Neuen Rechten zu sezieren. Wer Wagners Buch gelesen hat, braucht weder den Kontakt, noch den Streit mit ihnen zu fürchten.

Thomas Wagner: "Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten"
Aufbau Verlag, 2017
352 Seiten, 18,95 Euro

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