Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Rassistische Verirrung
Deutsches Ende der Physik

Vor rund hundert Jahren haben Quanten- und Relativitätstheorie die Sicht auf die Welt komplett verändert. Plötzlich war die ungewöhnliche Bahn des Merkur ebenso zu erklären wie die Kernfusion im Innern der Sonne.

Von Dirk Lorenzen | 25.07.2017
    Die Bahn des Merkur konnten die Vertreter der "Deutschen Physik" nicht erklären
    Die Bahn des Merkur konnten die Vertreter der "Deutschen Physik" nicht erklären (NASA)
    Doch anders als in der klassischen Physik lassen sich nicht mehr alle Phänomene in einem Experiment direkt überprüfen. Mit der Unschärferelation, dem Welle-Teilchen-Dualismus, der Raum-Zeit und der nicht-euklidischen Geometrie hatte die Physik eine neue Ebene der mathematischen Abstraktheit erreicht.
    In Deutschland lehnten einige antisemitische Forscher diese Entwicklung vehement ab. Sie störten sich an der Unanschaulichkeit der neuen Theorien, die manche gar für Verschwörungen hielten.
    So prominente Physiker wie die beiden Nobelpreisträger Philipp Lenard aus Heidelberg und der Oberpfälzer Johannes Stark mühten sich, mit Hilfe der "Deutschen" oder "Arischen Physik" die Merkurbahn mit den klassischen Gesetzen der Physik zu erklären - oder den Aufbau der Atome mit veralteten Teilchenmodellen.
    Lenard schrieb 1936 in einem Vorwort zu einem seiner Lehrbücher, "dass Wissenschaft, wie alles, was der Mensch hervorbringt, rassisch und blutsmäßig bedingt" sei.
    Zwar stand die Mehrheit der Physiker dieser Ideologie ablehnend gegenüber, doch Lenard und Stark hatten viel Einfluss auf die Besetzung von Stellen und die Verteilung von Forschungsgeldern.
    Mit dem Ende der NS-Zeit war der Spuk der "Deutschen Physik" sofort vorbei. Lenard und Stark haben in der Wissenschaft nie weder Fuß gefasst.