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DFG-Vorläufer
Vor 100 Jahren gründete sich "Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft"

An der DFG, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, und ihrem milliardenschweren Etat kommt heute kaum ein Wissenschaftler vorbei. Am 30. Oktober 1920 wurde die Vorläuferin gegründet, die "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft" - als ein Kind des verlorenen Ersten Weltkriegs, das sich bald braun besudelte.

Von Monika Köpcke | 30.10.2020
    Logo der Deutschen Forschungsgemeinschaft
    Hervorgegangen aus der "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft": Die DFG (Reiche, Dietmar)
    In der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin kamen am 30. Oktober 1920 namhafte Würdenträger zusammen. Sie vertraten Universitäten, Akademien und Forschungsgesellschaften. An diesem Tag riefen sie einen neuen Verein ins Leben: Die "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft". Gegründet, so hieß es in der Satzung: "...um die der deutschen wissenschaftlichen Forschung durch die gegenwärtige wirtschaftliche Notlage erwachsene Gefahr völligen Zusammenbruchs abzuwenden."
    Die deutsche Professorenschaft narzisstisch gekränkt
    Die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg setzte auch der deutschen Wissenschaft schwer zu. Laborausstattungen, die Anschaffung von Fachliteratur oder die Veröffentlichung eigener Publikationen - all das scheiterte oftmals am Geld. Was ebenso schwer wog: Weil sich zahlreiche Gelehrte während des Krieges zu nationalistischen Pamphleten hatten hinreißen lassen, verhängten die alliierten Westmächte einen Boykott gegen deutsche Wissenschaftler. Die deutschen Professoren fühlten sich in ihrer Würde gekränkt. Im Kaiserreich hofiert und gefördert, lag der Mehrheit von ihnen die Weimarer Republik nicht am Herzen. Der Wissenschaftshistoriker Rüdiger vom Bruch:
    "Traumatisierend wirkten für deutsche Professoren, für Wissenschaftler der Verlust der bisherigen Sicherheiten, materiell, in den Wertorientierungen, in der Achtung in der Gesellschaft. Und vor allen Dingen die Niederlage des Reichs 1918 hat ein nationales Sendungsbewusstsein provoziert: Auch dieses abgeschnittene Reich, das gerade in seiner Wissenschaftskultur vom Ausland abgeschnitten war, es kann eigentlich nur durch wissenschaftliche Arbeit einen Wiederaufstieg erlangen"
    Emsiger Drittmittel-Eintrieb
    Passend zu diesem Selbstverständnis bezog die Notgemeinschaft ihren Sitz im Berliner Stadtschloss. Von hier aus trieb sie in beharrlicher Lobbyarbeit sowohl staatliche Fördermillionen als auch Geld von Wirtschaft und Industrie ein. Während die Mittel anfangs in den Wiederaufbau der Infrastruktur flossen, konzentrierte man sich bald auf die Förderung einzelner Forschungsprojekte. Und das überaus erfolgreich: Während der Weimarer Republik gingen immerhin 16 Nobelpreise nach Deutschland. 1929 gab sich die Notgemeinschaft einen neuen Namen:
    "Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der deutschen Wissenschaft", kurz: DFG.
    Forschungsschwerpunkt Rassenkunde
    Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, arrangierte man sich schnell und reibungslos. Der vor drei Jahren gestorbene Historiker Rüdiger vom Bruch leitete von 2000 bis 2006 die erste große Studie über die Rolle der DFG im Nationalsozialismus:
    "Von einer spezifisch nationalsozialistischen Organisation kann man bei der DFG nicht reden, aber sie brauchte nicht gleichgeschaltet zu werden. Die Leitung der deutschen Forschungsgemeinschaft - hochkonservativ, autoritär im Grundmuster - war natürlich sehr leicht bereit, sich den neuen Bedingungen anzupassen".
    Visualisierung eines Flavivirus mit einem Transmissionselektronenmikroskop
    Wenn Nationalismus zur wissenschaftlichen Norm wird
    Deutsche Wissenschaftler haben sich meist aus freien Stücken in der Forschung des NS-Staats engagiert. Historiker sind mittlerweile darüber einig: Nach 1933 wurden die Forscher keinesfalls von nationalsozialistischen Funktionären und Politikern für ihre Ziele missbraucht. Sie bombardierten die Behörden geradezu mit ihren eigenen, neuen Projektvorschlägen. .
    Ohne politischen Druck wies die DFG-Führung im November 1933 die Universitäten auf die zukünftigen Förderschwerpunkte hin:
    "Forschungen, die der Rasse, dem Volkstum und der Gesundheit des deutschen Volkes gewidmet sind"
    Aufnahme des deutschen Physikers und Nobelpreisträgers Johannes Stark 
    Umstrittener Forscher vor 145 Jahren geboren - Johannes Stark und die unsägliche "Deutsche Physik"
    Johannes Stark bekam im Jahr 1919 den Nobelpreis für Physik verliehen, diskreditierte sich aber während der NS-Zeit mit antisemitischer Hetze und seiner unrühmlichen Rolle in der "Deutschen Physik".
    "Radikalisierung der Wissenschaft im Dienste des Regimes"
    Die DFG finanzierte historische, linguistische oder volkskundliche Studien, die den deutschen Dominanzanspruch in Osteuropa untermauern sollten. Sie förderte Anthropologen und Mediziner, die KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene als menschliche Versuchstiere benutzten. 1945 aufgelöst, wurde die DFG nur sechs Jahre später in der Bundesrepublik wiedergegründet. Bis heute ist sie mit einem Jahresetat von über drei Milliarden Euro zum größten Drittmittelgeber für die deutsche Wissenschaft herangewachsen. Erst im Jahre 2000 ließ ihr damaliger Präsident Ernst Ludwig Winnacker die Verstrickung in das NS-Regime erforschen. Sein Resümee:
    "Ich muss gestehen, dass ich als bitter und beklemmend finde, dass wir in der DFG keine Spur von Gegenwehr finden. Kein Wort gegen die Entfernung von jüdischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen von den Hochschulen, kein Wort gegen die Dienstbarmachung der Agrar- und Geisteswissenschaften für die verbrecherischen Ziele der Vertreibung im Osten Europas. Keine Nachfrage zur Durchführung und zu den Zielen medizinischer Versuche. Stattdessen wurde die Radikalisierung der Wissenschaft im Dienste des Regimes offenbar fraglos mit vollzogen."