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Raúl Castros Kulturpolitik
Dosierte Freiheit für Kubas Künstler

Unter Raúl Castros Präsidentschaft gab es spektakuläre Kulturevents auf Kuba - von einem Rolling-Stones-Konzert bis zu einer Modenschau von Karl Lagerfeld. Doch diese Taktik ist typisch für die kubanische Kulturpolitik: Auf kurze Phasen der Öffnung wird der Raum des Erlaubten wieder eingeschränkt.

Von Peter B. Schumann | 19.04.2018
    Die Rückenansicht einer jungen Frau mit groß aufgemalten Rolling Stones-Lippen
    Beim Konzert der Rolling Stones in Havanna, Kuba, im März 2016 (imago images / ZUMA Press)
    Die Rolling Stones in Havanna - das war 2016 eine kulturpolitische Sensation, zwei Jahre nach dem Beginn der Annäherung zwischen Kuba und den USA. Aus Hollywood kamen sie damals, um TV-Serien und Filme auf der Insel zu drehen. Madonna rauschte heran, um die Revolution in Augenschein zu nehmen. Und Karl Lagerfeld scheute sich nicht, seine Luxusmarke Chanel auf dem kommunistischen Eiland zu präsentieren.
    Es war der Höhepunkt einer kulturellen Öffnung, die niemand für möglich gehalten hatte, als Raúl Castro die Regierungsgeschäfte von seinem schwer erkrankten Bruder Fidel ein Jahrzehnt zuvor übernahm. Aber sie sollte auch nicht lange dauern. Auf dem VII. Parteitag im selben Jahr reagierte der Staatspräsident auf die Invasion westlicher Glamour-Kultur mit erneuter Abschottung:
    "Wir müssen mit Argumenten, mit Festigkeit und aus Überzeugung die Absichten bekämpfen, hier Modelle einer kleinbürgerlichen Ideologie einzuführen, des Individualismus und Egoismus, des Gewinnstrebens, der Banalität und des exzessivem Konsums. Gegen diese subversive Politik müssen wir uns entschieden wehren. Und die Kenntnis der Geschichte Cubas und der nationalen und kulturellen Werte verstärken."
    Kubas Regierung verlor Film-Produktionsmonopol
    Diese Taktik ist typisch für die kubanische Kulturpolitik: Auf kurze Phasen der Öffnung wird der Raum des Erlaubten wieder eingeschränkt aus der Angst des Regimes, er könnte von den Kulturschaffenden aufgestoßen und dadurch unkontrollierbar werden. Doch ohne ihre mutigen Versuche, die Grenzen der Toleranz auszuloten, wäre die Kultur der Insel längst in der Bedeutungslosigkeit versunken. Dabei hat Kulturminister Abel Prieto immer gern behauptet:
    "Wir verbieten nichts, denn Verbote machen erst das obskure Objekt der Begierde attraktiv."
    Im letzten Jahrzehnt ließ das Regime die kulturpolitischen Zügel tatsächlich etwas schleifen, denn die Regierung musste sparen. Sie kürzte deshalb die Kulturetats beträchtlich und verlor beispielsweise im Filmbereich ihr Produktionsmonopol. Den neuen Freiraum füllten seither die Filmleute mit einer Vielzahl privat finanzierter und durchaus gesellschaftskritischer Spiel- und Dokumentarfilme. Und sie begannen als erste das heiße Thema Zensur öffentlich zu diskutieren. Enrique Colina, ein namhafter Regisseur:
    "Wir lehnen jede Art von Zensur ab, denn wir hatten genug davon und wollen nicht in die alten Zeiten zurückfallen. Jetzt heißt es konsequent zu sein und jeden zu unterstützen, der unter Zensur leidet, denn wir sind alle Cremata."
    Kurz zuvor hatte der 'Nationalrat der szenischen Künste' Juan Carlos Crematas Inszenierung von Ionescos altem Hit 'Der König stirbt' abgesetzt, das Ensemble aufgelöst und Cremata selbst Berufsverbot erteilt. Die Betonköpfe der Partei hatten in dem sterbenden Theaterkönig allzu starke Parallelen zu dem verstorbenen Fidel Castro entdeckt.
    Die Schikane ist geblieben
    Die Künstlerin Tania Bruguera hat mehrere Stufen von Zensur erlebt:
    "Zuerst haben die Zensoren die Reaktion des Publikums auf fertige Werke getestet und erst danach eingegriffen. Dann haben sie sie begutachtet, bevor das Publikum sie zu sehen bekam, und nicht selten ganze Ausstellungen geschlossen. Schließlich kamen sie bereits ins Studio, um uns zu kontrollieren und so mögliche Skandale vorab zu vermeiden. Und zuletzt besuchten sie mich zu Hause, um mich vor meinen Aktivitäten zu 'schützen' - wie sie sagten." Heute werden oppositionelle Kulturschaffende und überhaupt Dissidenten meist nicht mehr für Jahre weggesperrt wie in der Regierungszeit von Fidel Castro, sondern auf solche Weise schikaniert. Entmutigen lassen sich davon die wenigsten.
    In der letzten Zeit ist sogar die Zahl unabhängiger, das heißt offiziell nicht gewünschter Kulturprojekte gestiegen. So wurde 2017 das "Museum der Dissidenz" eröffnet und ihm eine Abteilung für 'politisch unbequeme Kunst' angegliedert. Für den 5. Mai ist die "00Biennale" angekündigt, ein Gegenfestival zum offiziellen Kunstereignis. Ihre Veranstalter wurden bereits zur Staatssicherheit zitiert und verwarnt. Solche oppositionelle Aktionen dürfte auch Miguel Díaz-Canel, der Nachfolger der Castro-Brüder, nicht dulden. Jedenfalls deutet bisher nichts darauf hin, dass er die konfliktreiche kubanische Kulturpolitik ändern würde.