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Raus in die Stadt

Beim Osnabrücker Festival für zeitgenössisches Theater wurden neun Uraufführungen gezeigt. Der Zuschauer wurde auf unterschiedlichen Routen unter anderem mit dem Bus an einem Abend zu den verschiedensten Spielorten gebracht. Für Michael Laages war die fünfte Ausgabe der "Spieltriebe" ein starker Jahrgang.

Von Michael Laages | 10.09.2013
    Wunderlicher könnte die Reise durch Osnabrück kaum beginnen; wunderlicher als mit zwei Mücken auf der Krim.

    In dem vor bald 20 Jahren geschriebenen Roman "Aus dem Leben der Insekten" von Viktor Pelewin wird der Auf-, Um- und Abbruch der Nachwendezeit in Russland gespiegelt; auf biologisch sehr speziellem Niveau. Das heißt: anhand sehr menschlich agierender Insekten, eben einer heimischen Mücke von der Krim und einer aus den USA und auf Weltmarkteinkaufstour.

    Außerdem treten Mistkäfer, Fliegen und philosophierende Nachtfalter auf; und die Evolution frisst (natürlich) ihre Kinder. Alexander Franks Inszenierung im Großen Haus vom Osnabrücker Theater ist eine sehr verspielte und sehr schräge Fantasie über Mensch und Tier und das eine im anderen. Und umgekehrt.

    Dann hat der Intendant Ralf Waldschmidt das Wort.

    Und wir streben nach draußen.

    Per Bus gab’s schon grandiose Osnabrücker Spiel-Orte zu erkunden; etwa vor Jahren das einstige Heerlager der englischen Besatzer. Jetzt landet die "rote Route" auf dem Betriebsgelände einer weltweit präsenten und in Osnabrück ansässigen Speditionsfirma, die wie die Lufthansa den Kranich im Logo trägt; und sogar gleich zwei davon ... und der Ort passt prima zum ersten Thema unterwegs: Europa.


    Per Bus gab’s schon grandiose Osnabrücker Spiel-Orte zu erkunden; etwa vor Jahren das einstige Heerlager der englischen Besatzer ... jetzt landet die "rote Route" auf dem Betriebsgelände einer weltweit präsenten und in Osnabrück ansässigen Speditionsfirma, die wie die Lufthansa den Kranich im Logo trägt; und sogar gleich zwei davon ... und der Ort passt prima zum ersten Thema unterwegs: Europa.

    Carsten Golbeck hat die szenische Lesung eines eigenen Textes eingerichtet, der die Geschichte des uneinig-geeinten Kontinents als schrille Fabel um Marketing und Politik erzählt; vorerst mit ungewissem Ausgang, dafür aber mit einer ungemütlichen Vision. Frau Merkel (hier: Murkel) verkündet dem örtlichen Bürgermeister die Umbenennung.

    Auch über "Neuland" wird ja abgestimmt in knapp zwei Wochen ... eine Tanz-Performance folgt, die das Publikum von oben betrachtet: aus drei Etagen-Rängen über dem kleinen Spiel-Quadrat am Boden. So viel Perspektive war nie – und zum Glück folgt mit Johannes Schrettles Bank- und Psycho-Krimi "Die Kunden werden unruhig" das stärkste Stück der "roten Route": ein mit viel Distanz erzähltes Grusical über Geldmarkt und Kunden, Publikum und Theater. Schrettles Text sei schon jetzt mal notiert als potenzielles "Stück des Jahres" für Mülheim und Theatertreffen – Nick Hartnagels Inszenierung steht ab nächster Woche im Osnabrücker Spielplan.

    Mit David Gieselmann stark überkonstruierter Schnellsprech-Komödie "Die Phobiker" hat Osnabrück schließlich noch einen starken Autor in die Spur geschickt – wenn auch dessen jüngster Text trotz gewohnter Pointen-Sicherheit etwa doppelt so lang ist wie für die Story nötig; Christian Brey, bekannt als Regisseur vor allem aus Stuttgart, hat aber allemal eine veritabel halsbrecherische Brummkreiselei hinbekommen.

    Die fünfte Ausgabe der "Spieltriebe" war unzweifelhaft ein starker Jahrgang; und die Highlights bilden den Grundstock für ein Theaterjahr in Osnabrück.