Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Ravel-Doppelpremiere in Köln
Seitensprung und Zauberspuk

Für Kölns Generalmusikdirektor Francois-Xavier Roth ist Maurice Ravels Musik eine Herzenssache. Bei der Premiere von dessen Einaktern erzielte er mit dem Gürzenich-Orchester wundersame Klangwirkungen. Und die Regisseurin Béatrice Lachaussée inszenierte vor allem „Das Kind und der Zauberspuk“ als fantasiereiche Märchenwelt.

Von Egbert Hiller | 27.09.2016
    Szenenbild aus der Oper "Die spanische Stunde" von Maurice Ravel im Kölner Staatenhaus
    Immer die Uhr im Blick: Ravels Operneinakter "Die spanische Stunde" in Köln (Paul Leclaire)
    "Ich denke, wir müssen auch nachdenken, wie machen wir Oper, und ich dachte, das ist vielleicht ideal hier im Staatenhaus, so eine Kombination zu zeigen, weil, das Publikum kann etwas sehr Experimentelles erleben, aber auch etwas sehr Schönes, Lustiges, Dichtes, mit vielen Geschichten, wirklich sehr lebendig, frisch und neu."
    Was an Repertoire für das Staatenhaus, der Ersatzspielstätte der Oper Köln, geeignet sein könnte, darüber macht sich Francois-Xavier Roth intensiv Gedanken. Das ist auch nötig, denn das Staatenhaus auf dem Kölner Messegelände hat seine Eigendynamik und versprüht eher den Charme einer Industriehalle als den eines Opernhauses. Maurice Ravels zwei Einakter "Die Spanische Stunde" und "Das Kind und der Zauberspuk" für den Saisonauftakt zu kombinieren, war eine gute Wahl, da das quirlige Geschehen und die extrem facettenreiche Musik des französischen Komponisten sich in diesem Raum nicht nur behaupten, sondern sich an ihm reiben, ja, ihn verwandeln können.
    Musik: Ravel, L’heure espagnole
    Die Zeit drängt
    "Von der Ästhetik her haben wir uns sehr vom Dadaismus und auch von der Bauhaus-Ästhetik inspirieren lassen und eben von einer etwas moderneren Art und Weise, die Dinge brechen zu wollen."
    Die junge französische Regisseurin Béatrice Lachaussée zeigt in "L’heure espagnole", "Die spanische Stunde", mit der Uhrmachergattin Concepción eine moderne, selbstbewusste Frau. Von ihrem Mann erwartet sie sexuell nichts mehr, aber sie verzweifelt auch an ihren potenziellen Liebhabern: der Schöngeist Gonzalvo, der sie mit blumigen Worten umgarnt, aber nicht zur Sache kommt, und der Bankier Don Inigo Gomez, der sich als ungelenker Trottel erweist. Dabei drängt die Zeit, und das kommt im als überdimensionales Uhrwerk gestalteten abschüssigen Bühnenbild von Nele Ellegiers großartig zur Geltung. Den Zuschlag bei Concepción erhält dann der kräftige Maultiertreiber Ramiro, der sich nicht lange bitten lässt. Es war wohl vor allem das Ironische, Humoristische und Schlüpfrige, das Ravel an dem Libretto von Franc-Nohain faszinierte.
    "Natürlich weiß man fast nichts von seinem Privatleben, und man wusste auch nicht, ob er Frauen geliebt hat oder Männer oder was weiß ich. Von daher ist es überraschend, dass er dieses Libretto vertont hat. Andererseits er wollte gleichzeitig die Opera buffa wieder ins Leben rufen."
    Musik: Ravel, L’heure espagnole
    Für eine Opera buffa ist Lachaussées Personenführung allerdings zu schematisch. Das Buffoneske und die Commedia dell’arte-Elemente noch stärker zu betonen, hätte das Profil der "Spanischen Stunde" schärfen können, gerade im Vergleich mit der Märchenoper "L’enfant et les Sortilèges", "Das Kind und der Zauberspuk".
    "Beide Stücke sind eigentlich eher abstrahiert. Dennoch sind wir auch auf diese Fantasiewelt eingegangen, also, das ist durchaus ein Märchen, und es gibt bei uns eine Teekanne und eine Prinzessin, das ist alles zu sehen."
    Brillante Märchenwelt
    Im zweiten Einakter lässt ein ungehorsames Kind seine Wut auf Hausaufgaben und die strenge Mutter gewaltsam an Gegenständen, Pflanzen und Tieren aus. Doch die gequälten Dinge und Kreaturen melden sich albtraumhaft zurück, konfrontieren das Kind mit den Folgen seines Handelns und bringen es zur Räson. Mit einem Kunstgriff schuf Lachaussée eine Verbindung zwischen beiden Werken, indem das Kind bereits ganz am Ende der "spanischen Stunde" auftaucht und zerstörerisch in die Welt der Erwachsenen und deren Befindlichkeiten eindringt. Schade nur, dass dennoch die Chance vertan wurde, beide Opern auch auf einer tieferen inhaltlichen Ebene zu verknüpfen, zumal Zeitgeschichtliches bei Ravel unterschwellig immer eine Rolle spielt. "Die spanische Stunde" wurde 1911, also kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Paris uraufgeführt, "Das Kind und der Zauberspuk" zwar erst 1925 in Monte Carlo – das Libretto schrieb die Schriftstellerin Colette aber kurz vor und während des Ersten Weltkriegs. Im übertragenen Sinne mochte das Kind auch die unbedarfte Jugend repräsentieren, die in einen mörderischen Krieg zog. Und wenn dieses Kind am Ende in äußerster Bedrängnis nach der Mama ruft, dann mögen auch die Schreie der traumatisierten Soldaten im Schützengraben mitschwingen. Lachaussées Inszenierung blieb indes ganz der Märchenwelt verhaftet, die sie aber brillant realisierte.
    Musik: Ravel, L’enfant et les sortiléges
    Maßgeblich getragen wird der Doppelabend von Ravels zauberhafter Musik. Zwar wird auch durchweg ansprechend gesungen, allen voran Katrin Wundsam als Concepción in "Die spanische Stunde" und Marie Lenormand als das Kind im "Zauberspuk". Doch zum Ereignis geriet vor allem die Leistung des Gürzenich-Orchesters Köln, das mit ungeheurer Detailverliebtheit wundersame Klangwirkungen erzielte, herbe stilistische Kontraste genüsslich auskostete und in beiden Stücken einen sinnlich-prallen wie hintersinnigen musikalischen Kosmos eröffnete. Da war auch zu spüren, wie sehr Kölns Generalmusikdirektor das Schaffen seines Landsmanns Maurice Ravel am Herzen liegt. Noch einmal Francois-Xavier Roth:
    "Es ist ganz unglaublich, was er in den zwei Werken – also 40, 45 Minuten für ’L’heure espagnole’ und ein bisschen mehr, 50 Minuten für ’L’enfant et les sortilèges’ – für einen riesigen Apparat einsetzt, und nicht nur das Orchester, sondern auch auf der Bühne mit den zwei Chören. Also, es ist total verrückt, und das hat sehr viel mit Ravel zu tun, er braucht ein verrücktes Orchester."
    Musik: Ravel, L’enfant et les sortiléges