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Razzien gegen Islamisten
"Für mehr Sicherheit brauchen wir mehr Europa"

Die gestrigen Razzien gegen mutmaßliche islamistische Terroristen sind nach Ansicht des Bundesverbandes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) ein großer Erfolg. Jetzt müssten sich aber die europäischen Sicherheitsbehörden besser vernetzen, verlangte der Vize-Chef des BDK, Sebastian Fiedler, im Deutschlandfunk. Das sei ein Gegenmodell zu geschlossenen Grenzen.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Peter Kapern | 05.02.2016
    Sebastian Fiedler, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).
    Sebastian Fiedler, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Der Zugriff gegen die mutmaßliche Terrorzelle ist laut Sebastian Fiedler der "Idealfall". Es habe eine gute Kooperation der Sicherheitsbehörden und ein frühzeitiges Zugreifen gegeben. Problematisch sei allerdings, dass die griechischen Behörden offenbar gestohlene Ausweisdokumente nicht erkannt hätten, obwohl diese bekannt waren.
    Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus müssten sich in Zukunft die europäischen Sicherheitsbehörden besser abstimmen, forderte der BDK-Vize. Wenn derzeit geschlossene Grenzen und mehr Nationalstaat gefordert werde, schwimme er bewusst gegen den Strom. Unter den Strafverfolgern finde sich niemand, der für weniger Europa plädiere, betonte Fiedler: "Für mehr Sicherheit brauchen wir mehr Kompetenzen für Europa. Das ist das Gegenmodell zu geschlossenen Grenzen." Dies sei vielleicht noch nicht verstanden worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Es fällt ja nicht so leicht, das Niveau der Erregung der jeweiligen Situation auf angemessene Weise anzupassen, auch uns Journalisten nicht. Gestern, da war die Razzia gegen einige mutmaßliche Islamisten in Deutschland gerade erst angelaufen, listeten einige Medien bereits angebliche Anschlagziele der Verhafteten auf. In Berlin wollten sie zuschlagen, hieß es, und es wurde der Eindruck erweckt, die Planungen seien schon weit vorangeschritten gewesen. So war das aber gar nicht, sagte heute früh der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen im Fernsehen. Claudia van Laak fasst die jüngsten Informationen um die gestrigen Verhaftungen zusammen.
    Bei uns am Telefon ist jetzt Sebastian Fiedler, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Tag, Herr Fiedler!
    Sebastian Fiedler: Hallo!
    Kapern: Herr Fiedler, was lernen wir aus den gestrigen Verhaftungen – dass die Gefahrenlage insgesamt überschaubar ist, weil die deutschen Sicherheitsbehörden die Situation ganz gut im Griff haben?
    Fiedler: Wir lernen mehrerlei: Zum einen lernen wir, dass es tatsächlich hier erfolgreich und gut gelungen ist, und man kann daher Herrn Dr. Maaßen nur zustimmen. Im Grunde, das ist ein Idealfall, so wie es jetzt gelaufen ist. Idealtypisch, das heißt, möglichst frühzeitiges Zugreifen, gute Kooperation zwischen den Ländern, offensichtlich guter Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten und der Polizei. Das ist der große Erfolg jetzt, glaube ich, an dieser Maßnahme zunächst einmal. Man lernt aber auch daraus, wo tatsächlich die Gefahren liegen, und das ist uns, glaube ich, hier deutlich geworden. Da greift es etwas zu kurz, jetzt nur den Blick nach Deutschland zu richten, weil die Fälle, die Herr Maaßen skizziert hat, die zeigen, dass es zum Beispiel an einer problematischen Administration der griechischen Behörden gelegen hat, dass seinerzeit Ausweispapiere mit geklauten Dokumenten, die dort erstellt worden sind, in Griechenland nicht sofort erkannt worden sind, obgleich sie in Enttarnungssystemen gewesen sind. Das heißt, wir müssen den Wert darauf legen, uns auch innerhalb Europas hier entsprechen besser zu vernetzen.
    Kapern: Aber gleichwohl könnte man die Erkenntnis auch umdrehen und sagen, angesichts der Tatsache, dass die deutschen Sicherheitsbehörden dort ein weiteres Mal sehr erfolgreich waren, muss man vielleicht auch sagen, dass die in letzter Zeit so häufig beschworene Sicherheitslücke, die im Zuge der Flüchtlingskrise da entstanden sein soll, dann vielleicht am Ende doch nicht so groß ist, wie man glaubt.
    Fiedler: Das weiß ich nicht. Ich bin weit davon entfernt, jetzt eine große Sicherheitslücke zu beschwören, um damit Panik zu verbreiten. Das ist ja nicht der entscheidende Punkt. Sie können natürlich nicht aus einem erfolgreichen Zuschlagen daraus gleichzeitig schließen, dass wir nun dadurch hundertprozentige Sicherheit hergestellt haben und dass es in allen übrigen Fällen auch gelingt. Davon bin ich weit entfernt, weil wir natürlich am Ende des Tages dort noch nachhaltige Probleme haben und nachhaltige Hausaufgaben zu tun haben, weil wir das Personal jetzt hier intensiv eingesetzt haben in diesem Bereich. Das bedeutet aber zeitgleich, dass es uns in anderen Bereichen fehlt, weil wir es ja nicht nur mit Problemen im Bereich des islamistischen Terrorismus, sondern auch ganz massiv und zunehmend im rechtsextremen Bereich beispielsweise zu tun haben. Der Blick wäre tatsächlich zu kurz.
    "Es gibt ein Gegenmodell zu geschlossenen Grenzen"
    Kapern: Welche Hausaufgaben schweben Ihnen da konkret vor?
    Fiedler: Wenn wir mal oben anfangen, was ich gerade versucht habe, deutlich zu machen – was wir ganz besonders benötigen, ist eine Diskussion darüber, wie wir innerhalb der Europäischen Union, innerhalb der Sicherheitsarchitekturen dort aufgestellt sind, denn eins muss man deutlich machen: Es gibt ein Gegenmodell zu geschlossenen Grenzen, und das lautet eine Stärkung unserer Fahndungskapazitäten, unserer Ermittlungskompetenten ganz maßgeblich, ein Vernetzen der entsprechenden Informationslage, also die entsprechenden Datensysteme müssen zusammengehören, und – das erscheint mir ganz, ganz wesentlich – eine endlich aufkommende Diskussion darüber, dass wir in diesen schwerwiegenden Kriminalitätsformen einen Konsens brauchen. Das heißt, ein klares mehr Europa, wir brauchen eine Diskussion über eine europäische Strafprozessordnung für die schwerwiegenden Delikte, wir brauchen eine operative Befugnis für diesen Bereich, für Europol, eine echte europäische Staatsanwaltschaft und eine Anklageinstanz beim Europäischen Gerichtshof.
    Kapern: Jetzt schwimmen Sie aber gegen den Strom, Herr Fiedler, denn die allgemeine Stimmung in Deutschland und nicht nur hier, noch viel mehr in anderen Ländern, die zeigt ja in eine andere Richtung, lautet eher Grenzen dicht machen, Schotten runter, abschotten gegenüber anderen Ländern, zurück zum Status quo ante.
    Fiedler: Das tue ich ganz bewusst, hier gegen den Strom zu schwimmen, wenn es denn tatsächlich so ist. Innerhalb der Strafverfolgung werden die wahrscheinlich niemanden finden, der für weniger Europa oder für mehr nationale Souveränität plädieren will. Das Gegenteil ist der Fall. Die einzigen, die an den Schlagbäumen im Moment noch stehen, sind die Strafverfolger. Die Verbrecher, die genießen das freizügige Europa nach wie vor, deswegen brauchen wir doch gerade, wenn wir die Sicherheit hier steigern wollen, eine größere Zusammenarbeit, eine bessere Vernetzung und höhere Kompetenzen für europäische Institutionen in diesem Bereich. Das ist genau gerade das Gegenmodell zu den geschlossenen Grenzen. Nur wir diskutieren es offensichtlich nicht hinreichend stark genug, weil es vielleicht auch noch nicht genug verstanden ist.
    Kapern: Herr Fiedler, lassen Sie uns doch kurz noch mal zurückkommen auf den gestrigen Fall. Sie haben genau so wie Hans-Georg Maaßen, der Verfassungsschutzchef, eben darauf hingewiesen, dass es dort gelungen sei, so früh wie möglich einzugreifen und Anschlagspläne zu unterbinden. Andererseits gibt es Informationen darüber, dass diese Leute, die da gefangen genommen worden sind, inhaftiert worden sind, über Monate beobachtet worden sind, bevor die Polizei zugeschlagen hat. Da scheint mir ein Widerspruch drin zu stecken. So frühzeitig hat man dann ja gar nicht zugegriffen.
    Fiedler: Keineswegs, das Gegenteil ist der Fall. Sie müssen dabei zugrunde legen, dass Sie hier über unterschiedliche Behörden reden. Der Verfassungsschutz hat keine Kompetenz der Strafverfolgung in diesem Bereich, sondern ist gerade dafür zuständig, Vorfeldbeobachtungen zu machen. Dahingegen sieht es aufseiten der Kriminalpolizei vollkommen anders aus: Wir können selbstverständlich erst dann Verhaftungen oder strafprozessuale Maßnahmen durchführen, wenn es eine hinreichend dichte Verdachtslage gibt. Das heißt, im Grunde genau so muss es laufen. Der Verfassungsschutz muss seine Augen und Ohren möglichst offen haben, und in dem Moment, wenn sich tatsächlich ein Szenario so verdichtet, dass man tatsächlich auch mit strafprozessualen Maßnahmen dort agieren kann, dann muss man, in der Tat, frühzeitig hineingehen. Das ist keineswegs ein Widerspruch.
    Kapern: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass bei der konspirativen Arbeit dieser Gruppe, der die Behörden da auf die Spur gekommen sind, es eine Verdichtung gegeben hat in jüngster Zeit?
    Fiedler: Da gehe ich nicht nur von aus, sondern andernfalls wären strafprozessuale Maßnahmen überhaupt gar nicht möglich gewesen. Das heißt, es sind ja immerhin gerichtliche Beschlüsse dafür erforderlich, um zu durchsuchen und um Festnahmen durchzuführen und Ähnliches. Daran können Sie ablesen, dass es selbstverständlich hier zu einer verdichteten Beweislage gekommen ist.
    "Wir müssen hier unsere Augen und Ohren nach wie vor offen haben"
    Kapern: Wie viele seiner Kämpfer hat der IS wohl nach Deutschland eingeschleust in den letzten Monaten?
    Fiedler: Das ist eine hellseherische Frage. Die kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann Ihnen nur beantworten, dass wir hier unsere Augen und Ohren nach wie vor offen haben müssen. Wichtig erscheint mir dafür, die Dinge, die Herr Maaßen angekündigt hat beziehungsweise offeriert hat. Es ist so, dass wir nun über bestimmte Szenarien wissen. Das ist anfänglich abgestritten worden, dass mit den Migrationsbewegungen auch möglicherweise sich IS-Terroristen dort einschleusen könnten. Das wird nun offensichtlich anders kommuniziert, zu recht anders kommuniziert, weil wir entsprechende Erkenntnisse darüber haben.
    Kapern: Herr Fiedler, der Berliner Innensenator Henkel hat gestern nach den Verhaftungen davor gewarnt, hysterisch zu werden. Was ist derzeit größer – die Anschlagsgefahr oder die Gefahr, in Hysterie zu verfallen?
    Fiedler: Das darf man nicht auf die gleiche Waage legen. Ich glaube, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Das heißt, man kann einer Hysterie begegnen, indem man der Bevölkerung erklärt, dass die Sicherheitsbehörden ihr Bestes tun, kann aber gleichzeitig entsprechend darauf drängen, dass die Situation sich zukünftig auch verbessert, indem wir deutlich machen müssen, welche Verbesserungen im Bereich der Sicherheitsarchitektur noch nach wie vor erforderlich sind. Das heißt, vor Panikmache bin ich tatsächlich weit entfernt. Gleichzeitig lege ich den Finger weiter in die Wunde und sage, dass wir zu Verbesserungen kommen müssen, und das betrifft keineswegs nur den Bereich des islamistischen Terrorismus, sondern wir haben ja nun wirklich auch noch mit vielen, vielen anderen Kriminalitätsproblemen zu tun.
    Kapern: Sagt Sebastian Fiedler, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, heute Mittag im Deutschlandfunk, und für dieses Interview, Herr Fiedler, sage ich Ihnen vielen Dank! Einen schönen Tag noch!
    Fiedler: Sehr gerne! Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.