Donnerstag, 18. April 2024

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Re-Issue des ersten Bronski-Beat-Albums
Mehr als nur "Smalltown Boy"

35 Jahre nach dem ersten Bronski-Beat-Auftritt wird "The Age of Consent" wiederveröffentlicht. Die schottische Band war der erste offen schwule Pop-Act – und zu seiner Homosexualität zu stehen, war 1983, als die Band ihren ersten Auftritt hatte, alles andere als selbstverständlich.

Von Jenni Zylka | 03.11.2018
    Jimmy Somerville bei seinem Auftritt am 18.08.2018 beim Rewind Music Festival in Buckinghamshire bei London 2018 Rewind Festival: South in Buckinghamshire, UK *** Jimmy Somerville performing at the Rewind Music Festival in Buckinghamshire on 18.08.2018 at the London 2018 Rewind Festival South in Buckinghamshire UK PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY
    Unverkennbare Liebe zur Disco: Der Sänger Jimmy Somerville (imago stock&people / APress)
    Ein Junge rennt vor der Enge des Elternhauses davon. Vor allem aber vor der Intoleranz einer Umgebung, die sein Schwulsein nicht akzeptiert. Bronski Beats Synthiepoptrack "Smalltown Boy" wurde 1984 ein internationaler Hit für die Band aus Glasgow, und die Platte, auf der er zu finden ist, ein Schlüsselalbum nicht nur für schwule Hörer. "The Age of Consent", das soeben remastered und mit zusätzlichen, bislang unveröffentlichten Bonustracks wiedererschienen ist, bietet auch nach 35 Jahren umwerfende Tanzqualität zu substanziellen Texten.
    Es war das erste Mal, das Popmusik eindeutig die Rechte von Homosexuellen thematisierte. Und das nicht mal im Fummel, sondern in Bomberjacke, Jeans – und im Falsett. Der mittlerweile 57-Jährige, sehr medienscheue Sänger Jimmy Somerville erinnerte sich 2015: "Ich wusste, dass ich diese Stimme habe noch bevor ich anfing zu singen, aber weil ich in dieser Zeit gar nicht mit meiner Sexualität klarkam, und dachte, das klingt nicht maskulin genug, unmännlich, hatte ich ein bisschen Angst. Als Kind wollte ich nie berühmt oder ein Popstar werden, darum nutzte ich das alles als Vehikel für meine politischen Absichten. Und als wir berühmt wurden, konnte ich nicht mehr zurück."
    Hymnen für Toleranz, Gerechtigkeit und Freiheit
    Doch nicht nur "Smalltown Boy" beschäftigte sich mit Politik und Gesellschaft. In "No More War" singt Sommerville gegen den Krieg. Und der Eingangssong der Platte, "Why?", der Bronski Beats zweiter internationaler Top-Ten-Hit wurde, ist mit seinem unverkennbaren Bläsersatz und der berührenden Zeile, "You and me together fighting for our love", eine glühende, tanzwütige Hymne für Toleranz, Gerechtigkeit und die Freiheit, seine sexuelle Ausrichtung leben zu dürfen. Entgegen herrschender Meinungen oder Gesetze.
    "Das Schutzalter für homosexuellen Sex war ja in England 21 damals, also fünf Jahre Unterschied zu so genannten normalem Sex. Und in Schottland, wo Jimmy Somerville, der Sänger von Bronski Beat, herkommt, aus Glasgow, war bis 1981 schwuler Sex noch illegal. Diese Band hat sich zwei Jahre später geformt, formiert, und drei Jahre später dieses Album veröffentlicht, und es war wirklich eigentlich eine total stolze politische Geste." Das sagt der Berliner Musikjournalist Jan Kedves.
    Die britische Band Bronski Beat, bestehend aus Steve Bronski, Larry Steinbachek und Jimmy Somerville. posieren ca. 1990 vor einem Plakat IN Köln: AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT 1 the British Tie Bronski Beat consisting out Steve Bronski Larry and Jimmy Somerville pose Approx 1990 before a Billboard in Cologne date estimated 1
    Die britische Band Bronski Beat: Steve Bronski, Larry Steinbachek und Jimmy Somerville (v.l.n.r.) (imago stock&people / Horst Galuschka)
    1984, das Jahr in dem "The Age of Consent" erstmals veröffentlicht wurde, dessen Titel natürlich das angesprochene Schutzalter meint, war auch das Jahr, in dem das HI-Virus als Ursache für Aids identifiziert wurde. Auf der ganzen Welt brandmarkte man homosexuelle Männer daraufhin als Unglücksbringer und nannte die Immunschwächekrankheit verächtlich "Schwulenseuche". Nur langsam änderte sich die Haltung der heteronormativen Gesellschaft. 1988 erzählte Jimmy Somerville in einem Fernsehinterview: "Die Medien haben die Menschen, die an Aids gestorben sind, hängenlassen – sie werden als Junkies oder Schwuchteln gesehen. So etwas sagen nur Leute, die uns nicht als Menschen wahrnehmen. Ich will klarstellen, dass da wirklich Menschen sterben, keine Statistiken oder Zahlen. Das sind Menschen, die da sterben."
    Aber es war eben nicht nur die politische Relevanz, die "The Age of Consent" zu einer besonderen, einer mutigen, einer ewigen Platte macht. Auch der Sound, programmiert und produziert von Steve Bronski und dem 2016 verstorbenen Larry Steinbacheck, war neu – gleichzeitig zart und hart, voller Sehnsucht, aber auch voller gradliniger, cooler Beats. Zusammengehalten von Somervilles ungewöhnlich hohem Gesang und einer unverkennbaren Liebe zur Disco. Zu Donna Summer sowieso.
    Lobgesang auf das Anderssein
    Jan Kedves: "Was ich auch total interessant finde, dass das musikalisch ja auch auf die 70er und auf Disco Bezug nimmt, die schnelleren Songs auf dem Album würde man als 'High Energy' bezeichnen, die vollsynthetische Weiterentwicklung von Discomusik der 70er-Jahre. Die Musik hat eine totale Härte eigentlich, und die reibt sich aber an diesem fast schon zerbrechlichen Falsettgesang - also das macht, glaube ich, auch den Appeal jenseits der Texte und jenseits der politischen Botschaft, das macht den Reiz dieser Musik aus."
    Wie sehr Bronski Beat und "The Age of Consent" bis heute nachhallen, das kann man vielleicht daran erkennen, wie stark die Stücke in unser kollektives musikalisches Bewusstsein eingedrungen sind. Ob schwul, hetero oder alles andere: Partys, Dancefloors und Paraden zehren noch immer von den Songs, dem Sound und der Message. Jimmy Somerville verließ nach "The Age of Consent" die Band und war zunächst mit den Communards erfolgreich, blieb danach als Solokünstler jedoch eher in der Geheimtipp-Ecke. Eine seiner vielen Coverversionen findet sich bereits auf "The Age of Consent": "It ain’t necessarily so" aus Gershwins "Porgy and Bess". Bei Bronski Beat ist es – natürlich - ein Lobgesang auf das Anderssein - in der Popmusik, wie im Leben.