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re:publica 2019
Werden die Europawahlen im Netz entschieden?

Über soziale Medien lassen sich politische Botschaften, aber auch Desinformation und Propaganda schnell verbreiten. Inwiefern könnte das die Europawahlen gefährden? Auf der re:publica diskutierte @mediasres mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, Journalistin Karolin Schwarz und Social-Media-Analyst Luca Hammer.

Moderation: Stefan Fries | 07.05.2019
Eine Tasse mit der Flagge Europas Schreibtisch, an dem eine Person am Laptop sitzt.
Über Tweets, Posts oder Videos lassen sich politische Botschaften im Netz schnell und einfach verbreiten. Das bietet auch Angriffsfläche für Manipulation. (imago / photothek / Ute Grabowsky)
Ein kurzer Tweet oder eine professionell produzierte Videobotschaft: Das Netz eröffnet Möglichkeiten, die politische Akteure früher nicht hatten. Um Meinungen zu verbreiten, sind sie nicht mehr auf die klassischen Medien angewiesen. Und sie können ihre eigentliche Identität verschleiern.
Die US-Präsidentschaftswahl und das Brexit-Referendum legen nahe: Akteure setzen Desinformation und Propaganda in die Welt, teils werden diese mit Social Bots verbreitet, deren Absender nicht mehr klar sind. Hinter einigen Kampagnen soll Russland stecken. Experten warnen, dass auch die Europawahlen durch Desinformation und Manipulation gefährdet sind.
Untergraben die Möglichkeiten des Netzes die Demokratie? Werden Wahlen gar im Netz entschieden?
@mediasres diskutiert live auf der re:publica in Berlin mit:

Eine Hand steckt einen Umschlag in eine Wahlurne vor der Europafahne. Symbolfoto.
Werden die Europawahlen im Netz entschieden? (dpa / ZB / Peter Endig)
Zwar seien derzeit - vor der Europawahl - mehr Angriffe auf Parteien zu beobachten, das Problem der Desinformation spiele aber nicht nur vor den Wahlen eine Rolle, sondern langfristig, meint die Journalistin und Faktencheckerin Karolin Schwarz.
Thematisch gehe es in Falschmeldungen häufig um innere Sicherheit und Klimawandel. Ziel der Verbeiter sei einerseits das Polarisieren, andererseits gehe es auch darum, das Vertrauen in politische Institutionen, Forschung oder Medien zu untergraben.
Die meisten Falschinformationen werden laut Social-Media-Analyst Luca Hammer von regulären Accounts geteilt, teils bediene auch eine Person mehrere Accounts. Seltener werde hingegen mit Social Bots gearbeitet.
Besonders stark könne man dieses Phänomen bei Twitter sehen - bei Facebook, Youtube und Instagram sei die Beobachtung auf Grund fehlender Programmierungsschnittstellen hingegen schwieriger.
"Das kann den Ausgang einer Wahl definitiv manipulieren"
Für SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ist daher auch bei der Wahlwerbung im Netz die Transparenz ein wichtiger Faktor: "Es muss für die Menschen nachvollziehbar sein, was Werbung ist, es muss mit der Wahrheit gearbeitet werden und es muss nachvollziehbar sein, wer dort kommuniziert", so Klingbeil im re:publica-Gespräch mit @mediasres.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (2.v.l.) auf der re:publica 2019 im Gespräch mit Deutschlandfunk-Moderator Stefan Fries. Neben ihnen stehen der Social-Media-Analyst Luca Hammer und die Journalistin Karolin Schwarz. 
Wahlen würden heute im Netz "mindestens mitentschieden", meint SPD-Politiker Lars Klingbeil (2.v.l.) (Deutschlandradio / Simon Detel)
Er selbst sei schon Ziel von Desinformations-Kampagnen geworden, so der SPD-Politiker. Beispielsweise seien gefälschte Zitate aus einem Interview verbreitet worden: "Es war professionell gestaltet, es sah wirklich aus wie eine Zitat-Kachel des Deutschlandfunks". Die Verbreitung laufe so schnell, dass man mit der Richtigstellung nicht mehr hinterher komme - "das kann den Ausgang einer Wahl definitiv manipulieren".
Solche Desinformations-Strategien gibt es laut Faktencheckerin Schwarz schon seit Jahren - "lange vor der Wahl Donald Trumps". Besonders häufig seien die Grünen von Desinformation mit falschen Zitaten betroffen. Viele falsche Zitate, Fotos oder Artikel würden immer wieder aufgegriffen und seien praktisch "nicht aus dem Netz zu tilgen", so Schwarz: "Wo die Deutschen im Recycling gut sind, das ist bei den Falschmeldungen".
"Gefühlte Wahrheiten" werden weiterverbreitet
Bei Twitter etwa gebe es "eine Art Netzwerk von 15. bis 30.000 Accounts", die immer wieder Falschmeldungen verbreiten würden, schätzt Social-Media-Analyst Hammer. Ein großes Problem hierbei sei es, dass die Wahrheit überhaupt keine Rolle mehr spiele: "Sogar die Akteure selbst sagen teilweise, dass sie wissen, dass es nicht wahr ist. Aber sie verbreiten, weil: Es könnte ja so sein." Hier würden "gefühlte Wahrheiten" verbreitet, die zum eigenen Weltbild passen, meint Hammer.
Hinsichtlich dieser Problematik hätten auch die Parteien lange versagt, meint SPD-Generalsekretär Klingbeil. Es sei ein großer Fehler gewesen, sich in der Social-Media-Arbeit auf das Mitteilen zu konzentrieren - statt von Anfang an auf einen Dialog zu setzen.
Hier versuche die SPD nun nachzubessern und in die Diskussion einzusteigen und Falschinformationen richtigzustellen - gerade wenn man beobachte, dass auf den eigenen Kanälen in den Kommentaren gezielt Unwahrheiten verbreitet würden. Zudem "gehört es mittlerweile auch dazu", so Klingbeil, auf den eigenen Kanälen Accounts zu blocken oder zu sperren.
In Einzelfällen lohne sich dennoch die Debatte, findet Journalistin Schwarz, denn viele Leute würden in den Kommentarspalten zwar nicht selbst schreiben aber mitlesen: "Es braucht definitiv Community Management, gerade auf den Kanälen, auf denen die Kommentare öffentlich sind".
Journalistin Karolin Schwarz (r.) auf der re:publica 2019 im Gespräch mit Deutschlandfunk-Moderator Stefan Fries (2.v.l.). Neben ihnen stehen der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (l.) und der Social-Media-Analyst Luca Hammer (2.v.r.).
Die Debatte um Desinformation sollte langfristiger geführt werden, meint Journalistin Karolin Schwarz (Deutschlandradio / Simon Detel)
Auf der Suche nach Lösungen gegen Desinformation
Eine der wichtigsten Fragen im Kampf gegen Desinformation ist laut Klingbeil, wie man Filterblasen im Netz aufbrechen könne: "Eigentlich müsste man Facebook zwingen, das man auch mal unterschiedliche Meinungen in der Timeline findet".
Social-Media-Analyst Luca Hammer sieht hier jedoch ein Problem bei der Definition von Diversität in der Timeline. Dennoch sind aus seiner Sicht auch die Plattformen in der Verantwortung, "Möglichkeiten zu schaffen, dass die hochwertigen Inhalte auch auffindbar sind". Denn die Richtigstellungen würden bislang noch nie so viele Leute erreichen wie die Falschmeldung.
Auch nach Ansicht von Karolin Schwarz sind technische Lösungen hier wichtig. Darüber hinaus müssten sich die Menschen aber auch selbst engagieren, wenn sie Falschmeldungen erkennen: "Ich kann als Faktencheckerin auch nur ein Informationsangebot liefern, aber es muss auch weiterverbreitet werden".
Niemand sei "immun" gegen Falschmeldungen, so die Journalistin: "Das hat auch nichts mit Dummheit zu tun, weil oft Emotionalisierung im Spiel ist".