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Reaktion auf jüngste Vorfälle
Gewaltakte heizen Debatte über Anonymität im Netz an

Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl will nicht hinnehmen, dass sich Attentäter wie der Amokläufer von München Waffen anonym über das Internet beschaffen können. Die Bundesregierung müsse eine Initiative starten, damit die Identität von Internetnutzern besser festgestellt werden kann. Uhl stößt damit nicht auf ungeteilte Zustimmung.

26.07.2016
    Ein Mann mit Strohhut, Sonnenbrille und Notebook auf dem Schoß
    In den Sozialen Netzwerken haben sich die Vorteile der Anonymität längst in ihr Gegenteil verkehrt (picture alliance/dpa/Britta Pedersen)
    Es müsse "Schluss sein mit der Verherrlichung der Anonymität im Netz", sagte Uhl dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die illegale Beschaffung der Waffe im Fall des Münchener Amokläufers habe gezeigt: "Hier entwickelt sich etwas in die völlig falsche Richtung." Uhl fordert von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), noch vor der Bundestagswahl die Gesetzeslage zu ändern. "Zumindest die anonym erfolgte Beschaffung von Waffen und Rauschgift" müsse entscheidend erschwert werden.
    Der Münchener Attentäter hatte sich die Pistole im sogenannten Darknet besorgt. Der Zugang ist nur über eine Anonymisierungssoftware möglich, die Spuren verwischt, die normalerweise beim Surfen hinterlassen werden. In diesem Teil des Internets ist es deswegen so gut wie unmöglich, die Identität von Händlern und Käufern illegaler Waren aufzudecken. "Es darf doch wohl nicht wahr sein, dass man sich jede Waffe dieser Welt durch anonymes Surfen im Internet beschaffen kann", kritisierte Uhl.
    Zustimmung bekommt er von seinem CDU-Kollegen Ansgar Heveling. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es sei wichtig, den illegalen Waffenhandel intensiver zu bekämpfen. Insbesondere müssten auch die anonymen Zahlungsströme im Internet ausgetrocknet werden.
    Debatte schwappt auch auf legalen Bereich des Internet über
    Der Journalist und Autor Alexander Krützfeldt hält es dagegen für falsch, nach den jüngsten Gewalttaten nun die Möglichkeiten zu begrenzen, unerkannt im Internet zu surfen. Im DLF-Interview sagte er, Anonymisierungssoftware sei wichtig für Dissidenten, Nichtregierungsorganisationen und Reporter. Als Beispiele für Nutzer nannte Krützfeldt den Enthüller Edward Snowden, aber auch Hacker, die auf diese Weise Inhalte über den Arabischen Frühling 2011 online gestellt hätten.
    Die Debatte über weniger Anonymität im Netz umfasst aber längst nicht nur den schwer zugänglichen Bereich des Darknet. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will eine generelle Auseinandersetzung mit der Frage nach Anonymität im Netz. Anlass sind zunehmende Hasskommentare in sozialen Netzwerken und eine Verrohung der Gesellschaft, die der Minister beklagt. Im Interview mit mehreren Zeitungen erklärte er: Vermummung im Netz sei falsch. Richtig sei dagegen das Bekenntnis zum Namen, weil es zur Mäßigung im Umgang mit der Sprache führe.
    Piraten sehen Angriff auf Bürgerfreiheit im Netz
    Die Piratenpartei läuft Sturm gegen den Vorstoß des Innenministers, spricht von einem Angriff auf die Freiheit der Bürger im Netz. In einer Pressemitteilung erklärt sie, " der Innenminister will den Bürgern an ihr Recht auf anonyme Kommunikation". De Maizière halte Anonymität in der Kommunikation – gerade im Internet – für keinen Fortschritt für die demokratische Kultur. Die Position der Piraten: "Kein weiterer Schritt in Richtung Totalüberwachung und Polizeistaat."
    Die Einstellung der Mehrheit der Deutschen treffen die Piraten damit nicht – zumindest, wenn man einer Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag des "Stern" vertraut. Demnach befürworten 60 Prozent der Bundesbürger den Zwang zur Angabe des echten Namens bei der Anmeldung in Foren oder Sozialen Netzwerken. Knapp 90 Prozent der Befragten sind zudem dafür, dass die Strafverfolgungsbehörden gegen die Verfasser von Hass- und Hetzbeiträgen im Internet vorgehen.
    Studie: Klarnamen-Pflicht führt nicht zu weniger Hetze
    Eine aktuelle Studie der Universität Zürich hat allerdings ergeben, dass immer weniger Hasskommentatoren im Netz den Schutz der Anonymität suchen. Die Forscher haben mehr als 500.000 sozialpolitische Kommentare untersucht. Sie wurden zwischen 2010 und 2013 in rund 1.600 Online-Petitionen des deutschen Portals openpetition.de verfasst. Demnach trat die Mehrheit der Autoren von hetzerischen Bemerkungen unter ihrem Klarnamen auf.
    Die Forscher gehen davon aus, dass Nutzer, die nicht anonym bleiben, authentischer wirken und beliebter sind. Darüber hinaus könnten Kommentatoren mit Klarnamen andere Nutzer leichter überzeugen und mobilisieren. Die Abschaffung der Anonymität führe daher nicht automatisch zum Verschwinden von Hass-Stürmen, sondern möglicherweise gar zu deren Zunahme, so die Projektleiterin.
    (tj/tgs)