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Reaktion auf Pegida
Raus aus der Schockstarre

Hetze bekommen Künstler zu spüren, die sich nach den sogenannten Spaziergängen der Pegida für eine weltoffene Stadt einsetzen oder ihr Gesicht zeigen für einen Dialog. Die Initiative Dresdner Kulturschaffender und das Bündnis "Dresden für alle" haben gemeinsam zu einer Neuauflage des "Dresdner Neujahrsputzes" aufgerufen.

Von Heike Schwarzer | 12.01.2015
    Anti-Pegida-Demonstranten in Dresden mit Warnwesten und Besen. Dresdner Künstler fegten am 5. Januar 2015 mit einem Kehraus - einem Neujahrsputz - den Platz der Pegida-Kundgebung symbolisch sauber.
    Anti-Pegida-Demonstranten in Dresden mit Warnwesten und Besen. Dresdner Künstler fegten mit einem Kehraus - einem Neujahrsputz - den Platz der Pegida-Kundgebung symbolisch sauber. (imago/epd)
    Eigentlich machen sie am liebsten Musik, sagt Alfred an der Tuba.
    "Uns ist sehr wichtig, dass es rockt."
    Aus allen Ecken der Welt, Hauptsache wild und straßentauglich.
    "Wir spielen unverstärkt, wir können uns auch bewegen, das können nicht viele."
    Die Jungs der Banda Comunale mit ihrem kleinen Ableger Yellow Umbrella, eigentlich wollen sie proben an diesem Abend und müssen doch wieder diskutieren, über Pegida und ihre Stadt. Ein bunter Haufen von Profi- und Hobbymusikern - und alle Dresdner, ja, irgendwie schon. Peter:
    "Wir sind viele Zugezogene, auch Dresdner, auch mit Migrationshintergrund aus Russland, Polen, Spanien und sind gelebtes Multikulti, was es ja angeblich nicht gibt und nicht funktioniert. Bei uns schon."
    So richtig erklären können sie nicht, was gerade passiert, aber wer kann das schon: diese sogenannten Spaziergänge der Pegida, voller Hass, voller Ängste und Menschenverachtung und dann die Schockstarre der Dresdner Kulturszene, wochenlang.
    "Wir mussten es mehr oder weniger selbst auf die Beine stellen."
    Eine Demo anmelden, ja, wie geht das eigentlich? Doch das passende Lied war kein Problem. 23.000 Klicks am ersten Tag im Netz. Und: der Shitstorm auf der Facebook-Seite von Pegida.
    Neujahrsputz in Dresden
    Zum Neujahrsputz am Montag nicht gegen, sondern nach dem Marsch der Pegida kamen Tausende Dresdner, mit Besen und in Warnwesten, dankbar für den spürbaren Reinigungseffekt.
    "Wir wollen etwas Symbolisches machen, was ohne Transparente funktionieren sollte, nur mit Musik, wir erobern unsere Stadt zurück! Die Leute waren begeistert, diese Stimmung, einfach gemeinsam mit guter Laune den Platz zu entern nachdem Pegida da war und ihn symbolisch auszufegen, das hat sehr gut getragen und wir hoffen, dass es das auch in Zukunft tun wird."
    Es sind nicht die einzigen, die sich schämen, sagt Annamateur, die "Wunderstimme von Dresden",
    "Es klingt völlig übertrieben, ich habe kein Bedürfnis die Stadt zu verlassen, aber ich kenne einige Künstler, die sagen, ich schäme mich, ich fühle mich hier nicht wohl, ich werde wahrscheinlich wegziehen. Das ist schon bedrückend."
    Annamateur selbst hat ein Faible für Chaos und Ordnung und feilt gerade an einem neuen Dresdner Abend, der beides zusammenbringt. Und irgendwie auch Pegida.
    "Und es ist auch so, dass es allgegenwärtig ist, dass es Thema ist."
    Spätesten jeden Montag. Die Banda tut es, auch Annamateur geht wieder demonstrieren, schwenkt Transparente mit ihren Texten und Diskussionen mit Pegida-Leuten geht sie auch nicht aus dem Weg. Wenn es passt zwischen Konzerten in Bremen oder Hamburg. Pegida holt sie sowieso ein:
    "Die Reaktionen von Taxifahrern in Hamburg sind dann: Sie kommen aus Dresden? Oh, da will ich nicht mehr hin."
    Internationales Interesse
    Das Kulturhaus Scheune am Donnerstagabend. Michael Bittner, Buchautor und Kolumnisten der "Sächsischen Zeitung", ist gerade aus Berlin angereist, mit merkwürdigen Erfahrungen: Die internationale Presse interessiert sich für ihn, der britische "Observer" und der "Guardian", sogar der arabische Nachrichtensender.
    "Ich hab gestern ein Interview bei Al Jazeera gegeben, das war schon seltsam."
    Doch richtig wohlfühlt er sich damit nicht:
    "Anscheinend gibt es zu wenige Leute aus Dresden, die sich zu Wort melden, ich weiß nicht, was Uwe Tellkamp macht, hat er sich in seinem Turm eingeschlossen? Oder andere prominente Autoren, sie müssen sich ja nicht gegen eine Bewegung äußern, sondern einfach ihre Meinung sagen. Ich denke, es wäre schon an der Zeit."
    Eigentlich steht bei Bittner Party auf dem Programm: zehn Jahre Lesebühne Sax Royal. Und trotzdem, auch an diesem Abend geht es um Pegida:
    "Wir werden auch Texte machen über den Anschlag, den es gestern gegeben hat. Wir sind ja auch Satiriker und haben den Anspruch uns nicht mit idyllischen Geschichten aus dem Weltgeschehen wegzustehlen. Aber wir werden auch aus Trotz einfach feiern, um uns die Laune nicht von irgendwelchen Blödmännern vergellen zu lassen, die auf der Welt rumlaufen."
    Bittner, ein Lausitzer, wohnte zehn Jahre in Dresden, er redet geradeaus und schreibt, was er denkt. Er postet auf Facebook und auf seinem Blog. Er kennt die Reizthemen der Dresdner ganz genau: Waldschlösschenbrücke, Weltkulturerbe, 13. Februar. Pegida, jetzt, spaltet die ganze Stadt.
    "Es ist unglaublich, ich hab sicher 100 Nachrichten bekommen, positive wie Hasspost, die man versucht, alle zu beantworten. Bei den Meisten kann man sich auseinandersetzen."
    Doch bei manchen hilft nur der Papierkorb. Einschüchtern lässt er sich trotzdem nicht.
    "Nee, also ich schreibe was ich denke, wenn man in einer Demokratie Angst hat, das wäre ja furchtbar. Wenn dann Drohbriefe kommen. Ich habe ja noch den Vorteil, dass ich nicht komplett wehrlos bin."