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Reaktionen auf EU-Sanktionen
"Das wird die deutsche Wirtschaft treffen"

Die Spirale von Sanktionen und Gegen-Sanktionen bringe keine Seite weiter, sagte Michael Harms, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer in Moskau, im DLF. Der Vertrauensverlust in den Wirtschaftsbeziehungen beider Länder sei immens.

07.08.2014
    Michael Harms, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russische Auslandshandelskammer in Moskau, spricht bei einem Treffen
    Michael Harms kritisiert die Sanktions-Spirale (picture alliance / dpa / Grigoriy Sisoev)
    Russland hatte auf die Wirtschaftssanktionen des Westens mit dem Einfuhrstopp von Obst sowie Fleisch- und Milchprodukte. Für die Ernährungswirtschaft sei Russland einer der wichtigsten Exportmärkte. "Das wird die deutsche Wirtschaft treffen", sagte Michael Harms, Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russische Auslandshandelskammer in Moskau, im Deutschlandfunk. Er rechnet mit deutlichen Einbußen bei den Herstellern.
    Russland habe als Investitionsstandort und Handelspartner sehr stark an Vertauen verloren. "Mit diesen Sanktionen und Gegen-Sanktionen sind wir in eine Spirale hineingeraten, vor der wir immer gewarnt haben", so Harms. Schlimmer aber sei der generelle Vertrauensverlust in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Fehlende Planungssicherheit sei das Schlimmste, was der Wirtschaft passieren könne. "Da leiden beiden Seiten drunter", sagte Harms.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt, weil Moskau den Konflikt in der Ostukraine maßgeblich schüre. Die Europäische Union hatte ja lange gezögert, zum einen, um weiter eine diplomatische Lösung mit Moskau zu erreichen, zum anderen, um nicht der eigenen Wirtschaft zu schaden. Jetzt kommt der Konter aus Moskau! Die russische Regierung will keine Lebensmittel mehr aus dem Westen importieren beziehungsweise so wenig wie möglich. Auf den ersten Blick wirkt das eher wie eine niederschwellige Reaktion Moskaus, Wladimir Putin hatte seinen Bürgern versprochen, dass Sanktionen nicht der eigenen Bevölkerung schaden sollen.
    Russland verbietet also die Einfuhr von Gemüse, Obst und Schweinefleisch unter anderem aus der Europäischen Union und den USA. Das klingt nach recht moderaten Sanktionen. Michael Harms ist der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, mit ihm bin ich jetzt in Moskau verbunden, guten Tag, Herr Harms!
    Michael Harms: Guten Tag!
    Meurer: Hätte es schlimmer kommen können?
    Harms: Ja, es hätte natürlich oder es kann immer schlimmer kommen. Es betrifft erst mal jetzt nur einen ausgewählten Kreis von Waren und eine ganz bestimmte Branche, aber wir dürfen trotzdem nicht vergessen, dass Russland außerhalb der EU für die deutsche Ernährungswirtschaft einer der wichtigsten Exportmärkte ist. Wir exportieren für ca. 1,5 Milliarden Euro nach Russland und es wird natürlich unsere Exporteure aus diesem Bereich schon sehr deutlich treffen.
    "Es wird deutliche Einbußen für unsere Hersteller und Exporteure geben"
    Meurer: Das heißt, gehen jetzt diese 1,5 Milliarden Euro Umsatz in Russland verloren für die deutsche Wirtschaft?
    Harms: Nicht komplett. Der Schweinefleischexport war ja auch schon bislang von keinen Sanktionen, aber von Exportstopp betroffen, weil es da angeblich phytosanitäre Probleme gab. Wir müssen jetzt noch mal exakt analysieren, die gesamte Warennomenklatur ist, glaube ich, nicht betroffen. Aber wie gesagt, es wird deutliche Einbußen für unsre Hersteller und Exporteure geben.
    Meurer: Haben Sie schon eine Einschätzung, welche Branche da am schlimmsten betroffen ist?
    Harms: Es geht ja vor allen Dingen um die Fleisch- und Milchproduktion. Deutschland exportiert sehr viel Fleisch nach Russland, insgesamt, über alle Nomenklatura hinweg, aber auch sehr viel Käse wird exportiert, teilweise auch Gemüse, Spezialprodukte. Wenn das alles betroffen ist, sind das große Probleme.
    Aber ich glaube, was wir besonders bedauern und was für die gesamte deutsche Wirtschaft ein Problem ist, dass wir mit diesen Sanktionen und Gegensanktionen in diese berüchtigte Sanktionsspirale geraten sind, vor der wir eigentlich immer gewarnt haben.
    Meurer: Jetzt sagt ja die Bundesregierung, bevor wir vielleicht über die Spirale reden, die betroffenen Bauern, Hersteller, Händler können in Brüssel bei der Europäischen Union Entschädigung beantragen. Wie groß wird diese Entschädigung ausfallen?
    Harms: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Die Sanktionen sind jetzt zu frisch, es ist auch das erste Mal, dass Russland diese Einfuhrverbote verhängt hat mit explizit dieser Sanktionsbegründung. Früher waren das ja immer Einschränkungen, die sich auf Hygieneprobleme oder angebliche Hygieneprobleme bezogen haben. Es wird ja auch vor der WTO geklagt, mal sehen, vielleicht kann das Russland ja gar nicht durchhalten. Und wir müssen dann analysieren, wie sich die EU-Kommission dazu positionieren wird.
    Meurer: Also, der Schaden steht noch nicht fest, fraglich ist, wie und in welcher Höhe wird er entschädigt. Ist es so, Herr Harms, dass die Sanktionen, die die Europäische Union gegen Russland verhängt hat, vom Volumen her den deutschen Handel mehr treffen als jetzt diese Gegensanktion?
    Harms: Wie gesagt, auch diese Sanktionen sind ja gerade erst in Kraft getreten. Wir müssen den konkreten Schaden berechnen oder müssen sehen, inwieweit sich das auswirkt. Ich glaube, dass auch die Sanktionen, die die EU verhängt hat, moderat sind immer noch.
    Schlimmer ist – und da wiederhole ich meinen Gedanken – ist der generelle Vertrauensverlust, den wir haben in den deutsch-russischen, in den europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Diese indirekten Kosten oder die langfristigen Kosten werden wesentlich größer sein als die direkten Kosten jetzt durch das Exportverbot oder durch diese finanziellen und Handelseinschränkungen.
    Meurer: Was meinen Sie damit genau?
    Harms: Ich meine damit, dass wir feststellen, dass es einen deutlichen Vertrauensrückgang gibt zwischen deutscher und russischer Wirtschaft, dass uns viele deutsche Unternehmen berichten, dass russische Kunden, langjährige, sehr treue Kunden, die viele zum Beispiel deutsche Maschinen und Anlagen gekauft haben, von ihren Kunden gefragt werden, wir würden ja gern bei euch bestellen, aber seid ihr noch vertrauenswürdig, könnt ihr in einigen Monaten oder in einem Jahr noch liefern? Inwieweit sind zum Beispiel Service- und Ersatzteillieferungen noch sichergestellt, was kann noch an Sanktionen kommen? Da gehen wir doch lieber gleich nach China, da sind wir auf der sicheren Seite und wissen, auch wenn die Qualität nicht so gut ist, die Lieferungen kommen und der Service steht. Das ist etwas, was sich erst nach einer gewissen Zeit auswirken wird.
    Meurer: Antworten, wenn die deutschen Unternehmen und Händler damit konfrontiert werden, antworten die dann damit: Liebe russische Geschäftspartner, wendet euch mal an die Regierung in Moskau und weist die darauf hin, macht doch eine andere Politik in der Ukraine?
    Harms: Ich glaube, auch diese Antworten gibt es natürlich. Es gibt deutliche Meinungsdifferenzen der deutschen Community natürlich auch mit ihren russischen Gesprächspartnern. Nun sind natürlich Unternehmer ... Sozusagen die Aufgabe der Unternehmer ist es nicht unbedingt, außenpolitische Probleme zu lösen. Sie müssen ihr Geschäft machen, sie sind für ihre Mitarbeiter, für die Produktion verantwortlich.
    Und natürlich ist diese fehlende Planungssicherheit und diese Unsicherheit insgesamt immer das Schlimmste, was für die Wirtschaft passieren kann. Und da leiden beide Seiten drunter. Und das ist etwas, was uns natürlich, wie gesagt, auch mit großer Sorge erfüllt.
    "Wirtschaft braucht Verlässlichkeit"
    Meurer: Die Politik in Berlin zum Beispiel nimmt ja Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft, nimmt Rücksicht darauf, dass man nicht die diplomatischen Kanäle sozusagen zumachen will, deswegen sind die Sanktionen ja nur sehr zögerlich aufgebaut worden. Herr Harms, haben Sie einen Überblick, wie groß ist eigentlich der Schaden, der für Russland entsteht durch die Sanktionen und durch die Gegensanktionen jetzt?
    Harms: Der Schaden für Russland ist immens. Die Sanktionen der letzten Stufe sind ja erst einige Tage in Kraft, da kann man den direkten Schaden noch schwer beziffern. Aber ich glaube, der größte Schaden für Russland ist – da muss ich meinen Gedanken noch einmal wiederholen, aber von der anderen Seite – dieser Vertrauensverlust. Weil Wirtschaft braucht Verlässlichkeit, Wirtschaft braucht Planbarkeit, Wirtschaft braucht stabile Rahmenbedingungen und braucht eine Überzeugung, dass man sich auf das Wort und auf eine klare Politik verlassen kann. Das ist wirklich erschüttert worden und ...
    Meurer: Verstehe ich Sie richtig, auch Sie verlieren Vertrauen, umgekehrt, Sie verlieren auch Vertrauen in die russische Seite?
    Harms: Ja, selbstverständlich, natürlich. Russland hat als Investitionsstandort und als Handelspartner sehr stark Vertrauen verloren. Das ist, glaube ich, die schlimmste Auswirkung für Russland. Natürlich sind auch diese finanziellen Einschränkungen, die Sanktionen gegen bestimmte Banken, das ist alles sehr bitter, wird die Refinanzierung teurer machen. Wir haben ja gerade gehört, die Inflation steigt. Aber dieses Vertrauen vor allen Dingen als Investitionsstandort und als Kooperationspartner, das ist etwas, was durch die gesamte politische Lage, aber auch durch die Sanktionen besonders problematisch ist.
    "Diese Sanktionsspirale bringt beide Seiten nicht weiter"
    Meurer: Herr Harms, wir haben jetzt diese Liste der Importverbote, betrifft also den Lebensmittelbereich. Im Kreml heißt es ja schon, sagt der Ministerpräsident, das kann nur ein Anfang sein, wir können uns da auch noch steigern. Was wäre so eine Sanktion, mit der Sie zum Beispiel ... oder vor der Sie schlichtweg Angst hätten, von den Konsequenzen her?
    Harms: Ehrlich gesagt, hätte ich am meisten Angst vor Kapitalverkehrsbeschränkungen. Das hängt davon ab, wie jetzt die USA und die Europäische Union reagieren. Es gibt ja jetzt die Sanktion für eine langfristige Finanzierung gegen bestimmte Banken. Sollten diese Maßnahmen in einer weiteren Stufe auf den gesamten Kapital- und Refinanzierungsmarkt ausgedehnt werden und sollte es da, wie gesagt, im Kapitalverkehr zu deutlichen Einschränkungen kommen, dann wird die russische Seite das genauso gegen westliche Banken machen ...
    Meurer: Dann würde fast alles zusammenbrechen im gemeinsamen Handel.
    Harms: Das wäre ein sehr, sehr großes Problem für unseren gesamten Wirtschaftsverkehr. Aber ich hoffe sehr, dass es uns doch noch gelingt, einen politischen Ausweg zu finden, für den wir ganz nachdrücklich plädieren, weil, diese Sanktionsspirale bringt beide Seiten nicht weiter.
    Meurer: Michael Harms, der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer warnt vor einer Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen. Heute hat Moskau eine Verbotsliste von Importen bekannt gegeben. Herr Harms, danke nach Moskau, Wiederhören!
    Harms: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.