Freitag, 19. April 2024

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Reaktionen auf Würzburger Attacke
"Die Angst darf uns nicht erfassen"

Nach dem Angriff in einem Regionalzug in Würzburg durch einen Afghanen hat die Grünen-Politikerin Franziska Brantner vor Pauschalisierungen gewarnt. "Wir müssen aufpassen, dass wir mit ruhiger Hand aufklären", sagte sie im DLF. Die meisten jugendlichen Flüchtlinge hätten eine schwierige Vergangenheit hinter sich. Die grausame Tat sei aber nicht zu rechtfertigen.

Franziska Brantner im Gespräch mit Thielko Grieß | 19.07.2016
    Polizisten durchsuchen am 19.07.2016 neben einem Weg bei Würzburg (Bayern) das Gelände nach Spuren. Am Montagabend war ein 17 Jahre alter Afghane mit einer Axt und einem Messer auf Fahrgäste in einem Regionalzug bei Würzburg-Heidingsfeld losgegangen.
    Polizisten durchsuchen nach der Attacke in einem Regionalzug bei Würzburg das Gelände nach Spuren. (picture alliance/dpa - Karl-Josef Hildenbrand)
    Die familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion sagte, man wisse noch viel zu wenig über die Motive und Hintergründe, um konkrete Konsequenzen abzuleiten. Die Polizei müsse nun mit ruhiger Hand aufklären.
    Zugleich mahnte Brantner, sich nicht verängstigen zu lassen. Andernfalls hätte die Terrormiliz IS ihr Ziel erreicht. Es gehe nun auch darum, die Prävention auszubauen. Junge Flüchtlinge bräuchten Unterstützung und Hilfe. Nicht nur die Polizei müsse stärker finanziert werden, sondern auch die Angebote für Flüchtlinge, forderte sie.

    Thielko Grieß: Jetzt begrüße ich Franziska Brantner von den Grünen, aus der Grünen-Bundestagsfraktionen am Telefon. Frau Brantner, guten Tag.
    Franziska Brantner: Hallo! Guten Tag.
    Grieß: Ist für Sie die Zeit schon reif, erste Konsequenzen zu ziehen aus dem, was wir hören und wissen aus Würzburg und München?
    Brantner: Die Tat ist furchtbar und wir wissen jetzt erste Fakten. Aber meiner Meinung nach weiß man immer noch viel zu wenig über die genauen Motive, was zur Tat geführt hat. Die Hintergründe, die Geschichten des 17jährigen sind noch nicht genug bekannt, finde ich, um jetzt schon konkrete Konsequenzen daraus abzuleiten. Was ich wichtig finde ist, dass wir gemeinsam jetzt verhindern müssen, dass wir abgleiten in eine Spirale, sage ich mal, der Ausgrenzung und Gewalt, weil das bietet sich dafür an.
    Grieß: Wer gleitet denn ab?
    "War das wirklich mit ISIS in Verbindung?"
    Brantner: Na ja, das gibt es auf beiden Seiten. Es gibt einerseits die Reaktionen, die jetzt natürlich gerne alle sofort alle jungen, unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge in die Haftung nehmen wollen. Es gibt natürlich andererseits auch die IS-Sympathisanten, die noch mehr von so etwas angespornt sind. Das bedingt sich ja häufig gegenseitig.
    Und ich glaube, da müssen wir jetzt sehr aufpassen, dass wir hier, sage ich mal, mit ruhiger Hand wirklich aufklären, was ist passiert, woran lag es, was ist schief gegangen. Sie haben es ja gerade gehört: Natürlich gibt es den generellen Aufruf von ISIS, Ungläubige zu töten, aber das bringt ja Millionen von Muslime nicht dazu, andere Menschen zu töten. Von daher muss man schon noch fragen, wo ist die Verbindung, war das wirklich mit ISIS in Verbindung. Die Äußerungen von ISIS sind ja sehr generell. Die haben die bei Orlando gemacht, bei Nizza. Die Experten gehen davon aus, dass es nicht unbedingt eine direkte Verbindung gegeben haben muss. Für mich sind da noch sehr viele Fragezeichen und ich finde, erst danach kann man dann auch konkret sagen, was jetzt getan werden muss.
    Grieß: Unabhängig davon, welche Fakten sich am Ende herausstellen werden, Frau Brantner, es muss ja für den IS, und auch unabhängig davon, ob der nun dahinter steckt oder nicht, aber für diejenigen, denen daran gelegen ist, Angst zu verbreiten, Angst zu streuen, müssen auch die letzten Tage insgesamt, ich spitze es zu, ein Fest sein, nach Nizza, nach auch diesem Anschlag, dessen Hintergründe nun noch unklar sind. Wie werden wir diese Angst wieder los, oder was schlagen Sie vor, diese Angst einzuhegen, zu reduzieren, vielleicht wieder loszuwerden?
    "Nicht pauschalisieren"
    Brantner: Ja, die Angst darf uns auch nicht erfassen, weil sonst hat ISIS schon sein Ziel erreicht, wie Sie es gerade gesagt haben. Sonst feiern die ja und lassen sich auch selber untereinander feiern. Und ich glaube, da geht es wirklich darum, dass wir nicht in diese Angst verfallen, nicht pauschalisieren, selber natürlich gucken, was kann getan werden im Sinne von Prävention. Ich glaube, da ist Polizei eines, aber auch zum Beispiel die Frage, wie gehen wir mit den jungen, unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen um, die bei uns ankommen. Die haben alle häufig eine sehr schlimme Flucht hinter sich, sind übers Meer alleine geschwommen, haben sich über Tausende von Kilometern alleine durchgeschlagen, sind meistens schon geflohen, weil sie von ISIS zwangsrekrutiert worden wären oder von Assad oder der Taliban. Was machen wir mit diesen jungen Menschen bei uns? Ich glaube, auch da braucht man Antworten, um mit diesem Angstgefühl umgehen zu können, um zu zeigen, wir machen da was, wir sind da nicht machtlos.
    Grieß: Ich würde aber auch gern die Gegenfrage stellen, nicht nur was machen wir mit diesen vielen jungen Menschen, sondern auch, was machen die jungen Menschen hier oder wie verhalten sie sich. Denn ich meine, Tatsache ist auch: In Nizza war es ein junger Mann mit tunesischen Wurzeln. Jetzt ist es ein junger Mann mit afghanischen Wurzeln. Das macht einen Unterschied!
    Brantner: Das macht einen Unterschied, ihre Lebensgeschichte macht auf jeden Fall einen Unterschied. Und ich finde, man muss doch sehen dieser Tage, dass wir …
    "Turbo-Radikalisierung muss uns Stoff zum Nachdenken geben"
    Grieß: Aber können Sie sagen, welche Lebensgeschichte rechtfertigt es denn, zu solchen Entschlüssen zu kommen, entweder mit dem LKW in eine Menschenmenge zu fahren, oder eine Axt zu nehmen und im Zug damit um sich zu schlagen?
    Brantner: Rechtfertigungen gibt es gar keine. Es gibt nie eine Rechtfertigung für solche grausamen Taten. Was man doch nur sieht ist, dass diese Menschen häufig Gewaltgeschichten haben und dann eine Art Turbo-Radikalisierung irgendwo draufkommt innerhalb von wenigen Tagen und Wochen, die kaum einer mitbekommt. Und dann ist doch die Frage, was kann man denn als Staat überhaupt tun.
    Herr Herrmann hat es ja gesagt: Man kann nicht jeden beobachten, der irgendwo ein Messer in der Hand hat. Das heißt, wir müssen uns überlegen, mit diesen jungen Menschen, die bei uns jetzt angekommen sind oder schon seit Jahren bei uns auch leben, was läuft da schief. Das ist keine Entschuldigung, das ist überhaupt keine Rechtfertigung, aber ich finde, dieses Attribut immer der Turbo-Radikalisierung innerhalb von ein paar Tagen, das muss uns doch Stoff zum Nachdenken geben.
    "Flüchtlinge brauchen Unterstützung und Hilfe"
    Grieß: Entschuldigen Sie! Ich wollte da gerne einhaken. Stichwort Turbo-Radikalisierung. Ist es für Sie glaubwürdig, dass ein junger Mensch binnen weniger Tage, binnen weniger Wochen sich radikalisiert und dann auf die Idee kommt, es sei eine gute Idee, andere Menschen umzubringen?
    Brantner: Für mich zumindest stellen sich da sehr viele Fragezeichen und ich glaube, dass diese Menschen, auch der Attentäter in Nizza, schon eine große Gewaltvergangenheit haben. Das heißt, die üben Gewalt aus und bringen sie dann im Namen des IS noch mal weiter. Den Hintergrund des 17jährigen kennen wir jetzt nicht, deswegen, finde ich, muss man sich da noch zurückhalten. Aber dadurch kommen andere Fragen auf. Es ist eben nicht mehr so, dass jemand sich bei den Salafisten über Jahre in Moscheevereinen radikalisiert und am Ende zur Gewalt greift, sondern die Menschen, in Nizza zum Beispiel der war gewalttätig.
    Auch die Kouachi-Brüder waren gewalttätig. Und dann kam irgendwann on top der IS und das sind ja andere Radikalisierungsverläufe, die man sich anschauen muss und wo wir Antworten drauf finden müssen. Viele, die große Mehrheit der jungen Flüchtlinge, die bei uns sind, verhalten sich ja friedlich, aber natürlich haben die eine schwierige Vergangenheit und brauchen dafür auch Unterstützung und Hilfe, um bei uns ankommen zu können, um mit diesen Traumata umgehen zu können, und das ist schon eine Aufgabe.
    Und wenn man weiß, dass gerade Herr Herrmann aus Bayern gerne auch die Standards für die Hilfe für diese jungen Menschen senken möchte, gerne weniger Gelder ausgeben möchte für Therapie, für Betreuung für diese jungen Menschen, sie nach 18 direkt alleine in die Welt schicken möchte, dann kann ich nur sagen, jeder Euro, den man da jetzt kürzt, der kommt uns irgendwann teuer zu stehen.
    Nicht nur Polizei stärker finanzieren - auch Hilfsangebote
    Grieß: Wo hat Herr Herrmann gesagt, dass er das kürzen möchte?
    Brantner: Es gibt momentan und die letzten Monate Beratungen im Bundesrat darüber, den bis jetzt gültigen gesetzlichen bundesweiten Standard im achten Sozialgesetzbuch, der auch für die unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge gilt, aufzuweichen, aufzubrechen, niedrigere Standards zu akzeptieren für diese Gruppe von jungen Menschen, und da kann ich nur sagen, das ist wirklich an der falschen Stelle gespartes Geld. Diese jungen Menschen haben harte Geschichten hinter sich. Welcher 14-, 15jährige Junge läuft denn schon zu Fuß von Afghanistan bis nach Würzburg?
    Das sind unglaubliche Geschichten, die brauchen Hilfe, und wenn Bayern dort kürzen will, dann ist das, finde ich, die falsche Antwort. Man muss im Gegenteil sagen, diese jungen Menschen brauchen Hilfe und Unterstützung. Das ist immer noch keine Garantie dafür, dass sie dann nachher sich nicht radikalisieren, aber zumindest können wir dann sagen, wir haben es versucht. Ich glaube, da ist eine Aufgabe, nicht nur Polizei stärker zu finanzieren, sondern auch diese Hilfsangebote.
    Grieß: Franziska Brantner, die Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Kinder und Familienpolitik. Frau Brantner, danke für das Gespräch!
    Brantner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.