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Reaktionen nach Türkei-Referendum
Bundesregierung mahnt Erdogan zum Dialog

Die Bundesregierung hat die türkische Regierung nach dem Verfassungsreferendum zur Dialogbereitschaft aufgefordert. Der knappe Ausgang der Abstimmung zeige, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten sei, schreiben die Kanzlerin und der Vizekanzler in einer gemeinsamen Erklärung.

Von Theo Geers | 17.04.2017
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verlässt einen Raum nach einer Pressekonferenz über das Referendum in der Türkei.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Ende des Referendums (picture alliance / dpa / Lefteris Pitarakis)
    Schon von der Form her ist es eine seltene Reaktion. Angela Merkel und Sigmar Gabriel nehmen Präsident Erdogan persönlich in die Verantwortung. Der knappe Ausgang der Abstimmung zeige, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten sei, schreiben die Kanzlerin und der Vizekanzler in einer gemeinsamen Erklärung. Die Bundesregierung erwarte daher, dass die türkische Regierung nun nach einem harten Wahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht. Das Wahlergebnis selbst nehme die Regierung zur Kenntnis, will aber der Einschätzung der OSZE-Wahlbeobachter nicht vorgreifen. So hatte es gestern auch schon Kanzleramtschef Peter Altmaier formuliert:
    "Ob der Wahlkampf fair war oder nicht – darüber berichten die OSZE und der Europarat, und es hat in den Stimmlokalen Beobachter gegeben von Oppositionsparteien. Diese Diskussionen sollten wir abwarten bevor wir uns vorzeitig zu irgendwelchen Festlegungen hinreißen lassen."
    Gemeinsame Erklärung von Merkel und Gabriel
    Auch Merkel und Gabriel erinnern in ihrer Erklärung, dass es gravierende Bedenken des Europarates gegen das Referendum selbst wie seinen Inhalt gab. Darüber will die Regierung schnellstmöglich mit der türkischen Regierung sprechen, ein Zeichen dafür, dass der Gesprächsfaden wieder aufgenommen werden soll. Die tiefe Spaltung der Türkei ist auch Thema bei Martin Schulz. Der knappe Ausgang der Entscheidung zeige, Erdogan sei nicht die Türkei, twittert der SPD-Kanzlerkandidat.
    Ähnlich die Reaktion bei Cem Özdemir, einem der beiden Parteichefs der Grünen. Özdemir mahnt ebenfalls:
    "Dass der Erdogan trotz aller Unterdrückung gerade mal auf 51 Komma irgendwas Prozent kommt, das zeigt, dass die Türkei in tiefmöglichen Maße gespalten ist, und dass er kein Mandat hat für einen derartig radikalen Umbau, denn der würde doch größere Mehrheiten erfordern."
    Özdemir besorgt über Wahlverhalten der Deutschtürken
    Besorgt ist Özdemir auch über das Wahlverhalten der in Deutschland lebenden Türken, die mit 63 Prozent für Erdogans umstrittene Verfassungsreform stimmten. Insgesamt waren es 51,3 Prozent. Die Deutsch-Türken müssten nicht nur mit den Zehenspitzen, sondern mit beiden Füßen zum Grundgesetz stehen, fordert Özdemir. In den deutsch-türkischen Beziehungen dürfe es jetzt kein Weiter-so geben – weder politisch noch wirtschaftlich noch militärisch. Özdemir verlangt, die Bundeswehr, die ihre Beobachtungsflüge über syrischem IS-Gebiet vom türkischen Incirlik aus fliegt, abzuziehen, er verlangt aber auch ein Ende der Waffenlieferungen an den NATO-Partner Türkei. Soweit möchte Franz-Josef Jung, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion und ehemaliger Verteidigungsminister, noch nicht gehen, zunächst sollte die NATO und der Europarat auf die Türkei einwirken und die Bundeswehr vorerst in Incirlik bleiben:
    "Ich halte die Forderung 'Rückzug aus Incirlik' deshalb nicht für sinnvoll, weil da die Frage zu beurteilen ist 'Kampf gegen den IS?' Das ist das entscheidende Kriterium, weshalb die Bundeswehr in Incirlik ist, und deshalb sollte dieses Kriterium weiter im Vordergrund stehen."
    Doch Druck, die Beziehungen zur Türkei komplett zu überdenken, kommt auch von den Linken. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen fordert, jetzt die Opposition in der Türkei zu stärken statt mit Erdogan weiter zusammen zu arbeiten.