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Realität auf dem Prüfstand

Physik. - Ob der Mond tatsächlich da ist, wenn keiner hinschaut, trieb bereits den Philosophen George Berkeley um. Nein, meinte er, denn Sein heißt wahrgenommen werden – was keiner sieht, ist deshalb auch nicht real. Auch gestandene Quantenphysiker kommen bei der Frage ins Grübeln.

Von Ralf Krauter | 19.04.2007
    An der Universität Wien kennt man sich aus mit den Paradoxien der Quantenphysik. Schon mehrmals hat die Gruppe um Professor Anton Zeilinger mit Experimenten für Schlagzeilen gesorgt, die nicht nur Laien an ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln ließen. Bei ihrer neuesten Arbeit, nachzulesen heute im Fachmagazin Nature, haben die Wiener Quanten-Gurus zwei fundamentale Konzepte der Physik auf den Prüfstand gestellt: Lokalität und Realismus, erklärt Markus Aspelmeyer, einer der Autoren.

    "Das eine, die Lokalität, sagt nichts anderes, als das zwei Objekte, die weit voneinander entfernt sind, sich nicht gegenseitig beeinflussen können. Die andere Eigenschaft, der Realismus, ist eigentlich noch viel anschaulicher. Darunter verstehen wir, dass ein Objekt – sei es jetzt im extremsten Fall der Mond – einfache Eigenschaften hat, die immer da sind, unabhängig davon ob wir jetzt hinschauen, unabhängig davon, ob wir jetzt irgendeine Messung machen. Eigenschaften, die diesen Gegenstand konstituieren, die seine Realität ausmachen. Deswegen sprechen wir von Realismus."

    Lokalität und Realismus sind die beiden Grundpfeiler der klassischen Physik. Doch in der Quantenwelt gelten andere Gesetze. Experimente mit paarweise erzeugten Lichtteilchen haben zweifelsfrei belegt: Quanten-mechanisch gekoppelte Photonen spüren sofort, wenn ihrem Partner etwas geschieht - selbst dann, wenn dieser Kilometer entfernt ist. Die verschränkten Lichtteilchen-Duos verhalten sich wie zwei magische Würfel, die immer dieselbe Augenzahl liefern. Albert Einstein war diese "spukhafte Fernwirkung" nicht geheuer. Für die Vorstellung, dass Lokalität und Realismus gemeinsam gültige universelle Prämissen sind, war sie der Todesstoß.

    "Die beiden Konzepte Lokalität und Realismus zusammen, die kann man ausschließen als Grundlage für eine Beschreibung der Natur. Nur, was man bislang nicht konnte, ist, eine Antwort auf die Frage zu finden, welches dieser beiden Konzepte denn nun falsch ist. Es kann also durchaus sein, dass es genügt, einfach das Lokalitätsprinzip über Bord zu werfen. Oder einfach nur das Realismuskonzept über Bord zuwerfen. Und diese Frage konnte bislang nicht beantwortet werden. Und hier setzt unsere Arbeit an."

    Die Wiener Forscher haben Paare verschränkter Lichtteilchen erzeugt und deren Polarisation jeweils getrennt gemessen. Das Überraschende dabei: Im Gegensatz zu früheren Experimenten lassen sich die starken Korrelationen der jeweiligen Ergebnisse diesmal nicht mehr allein durch die Annahme einer spukhaften Fernwirkung erklären.

    "Genau das ist das eigentlich Erstaunliche an unserem Resultat. Was wir gezeigt haben: Es genügt schlichtweg nicht, nur die Lokalität über Bord zu werfen und damit eben Fernwirkung zuzulassen. Wenn man das machen möchte, wenn man also eine verborgene Struktur der Quantentheorie sucht, dann muss man neben der Nichtlokalität auch ein paar sehr anschauliche Aspekte des Realismus über Bord werfen."

    Dazu zählt zum Beispiel die intuitiv einleuchtende Annahme, dass die Polarisation eines Lichtteilchens völlig unabhängig davon sein sollte, ob die seines Partners ebenfalls gemessen wird oder nicht. Diese Annahme in Frage zu stellen, hieße auf den Mond übertragen im Prinzip: Seine Größe und Farbe hinge möglicherweise eben doch einen Tick davon ab, ob gerade jemand hinschaut oder nicht. Soweit wollen sich die Forscher aber nicht aus dem Fenster lehnen. Das Experiment belege lediglich, dass die Kombination von spukhafter Fernwirkung und einfachem Realismus keine tragfähige Basis für eine vollständige Beschreibung der Quantentheorie liefert, betont Markus Aspelmeyer.

    "Wenn man jetzt richtig schlussfolgert, dann stellt sich eben heraus, dass mindestens eines der Axiome falsch war. Und das könnte eben auch ganz der Anfang sein, nämlich die Aristotelische Logik."

    Wegen ein paar verschränkten Photonen gleich die gesamte Logik an sich in Frage zu stellen, sei allerdings schon starker Tobak, räumt der Physiker ein. Doch die nun im Detail zu prüfenden gedanklichen Alternativen sind auch nicht unbedingt weniger radikal.

    "Die Paradoxien der Quantenphysik zu verstehen, wird uns glaube ich zwangsläufig dazu führen, dass wir starken Tobak akzeptieren müssen."