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Reanimation
Wiederbelebungs-Training für Schulkinder

Bis zu 100.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an einem Herzstillstand. Meist wird der Kollaps von Laien beobachtet. In knapp 20 Prozent der Fälle wird aber nur mit der Reanimation begonnen. Die Kultusministerkonferenz empfiehlt daher seit 2014 bereits Wiederbelebungs-Training in der Schule ab der 7. Klasse. Ein entsprechendes Trainingsprogramm erprobt derzeit die Uniklinik Köln.

Von Lennart Pyritz | 22.09.2015
    Ein Rettungssanitäter der Berliner Feuerwehr demonstriert eine Herzdruckmassage.
    Ein Rettungssanitäter der Berliner Feuerwehr demonstriert eine Herzdruckmassage. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Herr Pyritz, wie haben Sie das Training gestern erlebt?
    Ja, dieses Training fand in einem Klassenraum des Kölner Albertus-Magnus-Gymnasiums statt, mit einer Gruppe 14-jähriger Schülerinnen und Schüler. Die hatten vorher schon eine Theoriestunde gehabt. Anschließend haben sie das Wiederbeleben dann praktisch an Reanimationspuppen geübt, unter Anleitung einer Fachärztin für Anästhesiologie von der Kölner Uni-Klinik. Das klang bei der Schülerin Annelina dann so, als sie sich der "bewusstlosen" Trainingspuppe genähert hat:
    Schülerin: Hallo, hallo!
    Trainerin: Was ist denn passiert?
    S: Rufen Sie bitte die 112. Er ist umgekippt.
    T: Ok, ich rufe an, fang Du schon mal an zu drücken. Ich rufe an. 112.
    T: Das machst Du super. Jetzt musst Du zählen…30, ok, und kurz aufhören…
    T: Und weiter machen, keine Pause machen. Und gerade, damit wir auch wirklich diese fünf bis sechs Zentimeter Tiefe schaffen. Wie lange machen wir weiter noch?
    Genau, bis der Notarzt kommt. Super.
    Welche Kernbotschaften sollen die Schülerinnen und Schüler mitnehmen? Was soll das Training bewirken?
    Das Training steht unter dem Motto: Prüfen, Rufen, Drücken. Also: Lebenszeichen kontrollieren; den Rettungsdienst verständigen; und dann bis der eintrifft eine Herzdruckmassage durchführen: 30 Mal das Brustbein nach unten drücken, fünf bis sechs Zentimeter tief. Dann zwei Mal beatmen. Bei der Frequenz der Massage kann man sich übrigens am Song "Stayin' alive" der Bee Gees oder am Radetzky-Marsch orientieren.
    Die Schülerinnen und Schüler sollen auch als Multiplikatoren dienen. Also das, was sie über Reanimation in der Schule lernen, in ihrer Familie verbreiten. Der Effekt für die gesamte Gesellschaft könnte beträchtlich sein, glaubt Professor Bernd Böttiger. Er ist Leiter des Projekts und Direktor der Anästhesiologie und Operativen Intensivmedizin an der Uniklinik Köln:
    "Wenn wir in Deutschland die gleiche Situation haben wie in Holland oder Skandinavien: Dass nämlich 50, 60 oder gar 70 Prozent der Laien mit Wiederbelebungsmaßnahmen anfangen, bevor der Rettungsdienst kommt, dann wird es dazu führen, dass wir jedes Jahr in Deutschland zusätzlich 10.000 Menschenleben retten. Und das ist unser Ziel und ich bin guter Dinge, dass wir das in acht oder zehn Jahren so erreicht haben."
    Wie wird denn überprüft, ob das Training langfristig effektiv ist? Und wie soll es in den Schulalltag integriert werden?
    Dieses Pilotprojekt soll genau das zeigen: Wie sollte ein effektives Training gestaltet sein. Es setzt sich wie gesagt aus zwei Teilen zusammen, einem theoretischen und einem praktischen. Und beide werden von Wissenschaftlern der Uni Köln evaluiert. Vor dem Training wird zum einen das theoretische Wissen per Fragebogen ermittelt. Zum zweiten gibt es auch schon einen praktischen Durchlauf. Da wird überprüft, inwieweit die Schülerinnen und Schüler eine Herzdruckmassage durchführen könnten. Dann werden sie geschult und trainiert, und dann füllen sie nochmal den Fragebogen aus und machen nochmal den Praxistest. So gibt es den Vergleich vorher nachher. Und das Ganze wird auch nach sechs Monaten nochmal getestet. An dieser wissenschaftlichen Begleitung ist maßgeblich Prof. Stephanie Stock beteiligt, Ärztin und Gesundheitsökonomin an der Uniklinik Köln:
    "Also die Zielgruppe sind die 14- bis 16-Jährigen. Man kann auch schon mit 12 anfangen, darunter macht's keinen Sinn, einfach weil das Körpergewicht und die Kraft noch nicht da ist, um eine suffiziente Herzdruckmassage durchzuführen. Idealerweise wird das im Sportunterricht durchgeführt, zwei Stunden pro Jahr. Und es gibt internationale Studien, die eben zeigen, zwei Stunden pro Jahr, das reicht, damit die Jugendlichen in der Lage sind und genügend Selbstvertrauen haben, um im Ernstfall eine Herzdruckmassage durchführen zu können."
    In Mecklenburg-Vorpommern gibt es übrigens bereits flächendeckend solche Wiederbelebungstrainings in den Schulen.
    Wie haben denn die Schülerinnen und Schüler auf das Training reagiert?
    Die waren engagiert bei der Sache und wirkten durchaus begeistert von diesem Programm. Die Schülerin Sarah hat auch vom Notfall einer Mitschülerin berichtet, der ihr gezeigt hat, wie wichtig so ein Reanimationstraining sein kann.
    "Wir sind beim Waldlauf mitgelaufen und die ist kurz nach dem Start umgekippt neben mir. Und ich hatte auch schon direkt Panik, weil ich nicht wusste, was ich machen soll. Ich habe um Hilfe gerufen, dann war eine Ärztin in unsrer Nähe, die hat ihr dann auch sofort geholfen. Und ja, dann wurde eben auch festgestellt, dass sie einen Herzfehler hat."
    Und Sarah hat gesagt: Durch das Training, dass sie jetzt in der Schule bekommen hat, fühlt sie sich durchaus vorbereitet, einem Menschen zu helfen, der sich in einer vergleichbaren Notsituation befindet.