Freitag, 19. April 2024

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Rechte Übergriffe in Hamminkeln
Ist Wegschauen einfach bequemer?

Im niederrheinischen Hamminkeln, eine Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern, scheinen Rechtsextreme leichtes Spiel zu haben. Immer wieder kommt es zu Übergriffen und Belästigungen. Doch um der Illusion einer friedlichen Idylle willen schweigt mancher Hamminkelner lieber.

Von Eva Karnofsky | 02.11.2017
    Der Bauernmarkt auf dem Marktplatz in Hamminkeln-Loikum
    Viele Einwohner schätzen die dörfliche Ruhe im niederrheinischen Hamminkeln. Allerdings wird diese immer wieder durch rechte Übergriffe gestört. (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
    Es fing 1998 an, mit den Balkanflüchtlingen.
    "Hamminkeln hatte etliche Stationen für Asylbewerber geschaffen. Wir haben zu der Zeit bemerkt, dass sich sehr viele Rechtsradikale von außerhalb hier in Hamminkeln getroffen haben", erinnert sich der damalige Ordnungsdezernent Holger Schlierf.
    Aber es blieb nicht nur bei Treffen: Rund um das Jugendzentrum kam es regelmäßig zu Konfrontationen zwischen Besuchern und Vertretern der rechtsextremen Szene. Viele Bürger hatten Angst rauszugehen, weil sich die Neonazis auf der Straße zusammenrotteten. Und kein Volksfest verlief ohne Prügeleien und Verletzte.
    "Seit ich denken kann, ist es jedes Mal an Kirmes dasselbe. Am Wochenende, am Autoscooter, immer die gleiche Ecke, passiert etwas mit Nazis", sagt die Automechanikerin Julia Decker.
    Bei der diesjährigen Kirmes Ende September wurde der zwanzigjährige Luca Rohde das Opfer von mindestens zehn Männern, die im Ort als rechtsextrem bekannt sind. Rohde war mit drei Freunden unterwegs, am Autoscooter wurden sie von den Rechtsextremen umzingelt:
    "Als ich dann gesagt hab, sie sollen doch einfach bitte weggehen, wurde ich als Linksfaschist betitelt und ich wurde angegriffen."
    Hat eine Polizistin den Hinweis einer Zeugin ignoriert?
    Luca Rohde wurde geschlagen, zu Boden gerissen und getreten. Weil umstehende Kirmesbesucher einschritten, kam er mit einem blauen Auge sowie Prellungen im Gesicht und auf dem Rücken davon.
    Julia Decker und eine Freundin hatten die Konfrontation zwischen Luca und den Rechten kommen sehen. Rund hundert Meter von dem Fahrgeschäft entfernt kam ihnen eine Polizistin entgegen:
    "Da hab ich zu der Frau gesagt, Entschuldigung, Sie sollten mal Richtung Autoscooter gehen, da passiert gleich was, und die hat mich nur angeguckt, hat dann weggeguckt und ist dann in die andere Richtung weitergelaufen."
    Die Polizei hat die Beamtin befragt, sie sagt: Julia Decker habe sie nicht angesprochen.
    Wer die Rädelsführer der zehn bis fünfzehn Hamminkelner Rechten sind, ist unbekannt, ebenso wenig weiß man, ob sie zu einer überregionalen Organisation gehören. Ein Mitglied der Gruppe war allerdings 2005 Landtagskandidat der NPD in Duisburg.
    Mit kaputter Bierflasche aufgelauert
    Philipp Rien hatte vor sechs Jahren zum ersten Mal mit den Neonazis zu tun, seine Eltern hatten einem Mann eine Wohnung vermietet, der mit Hilfe des Exit-Programms aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen war:
    "Keine drei bis vier Monate, nachdem er eingezogen war, hatte die ehemalige Clique rausgefunden, wo er wohnt, und die sind dann nachts mit drei Autos gekommen, vollbesetzt. Baseballschläger haben vor die Tür gehämmert."
    Seitdem ist Philipp Rien gegen Rechte aktiv. Wenn er deren "I-love-Hitler"-Aufkleber in Hamminkeln sieht, zieht er mit anderen jungen Leuten los, um sie zu entfernen. Die Rechten lauerten Rien kürzlich spätabends mit einer kaputten Bierflasche auf, "um dann mit den scharfen Splittern auf einen loszugehen. Solche Geschichten passieren."
    Anzeige erstattet hat Rien nicht, obwohl Bürgermeister Bernd Romanski die Bürger dazu ermuntert:
    "An der Stelle kann ich nur an alle Hamminkelner Mitbürger appellieren, sich dem entschieden entgegenzustellen und auch für strafrechtliche Verfolgung als Zeugen zur Verfügung zu stehen. Nur so bekommen wir die ganze Sache, dann auch mit dem Staatsschutz, in den Griff."
    Von der Polizei beim Nazisticker-Entfernen aufgehalten
    Es bringt nichts, Anzeige zu erstatten, hält Philipp Rien dem entgegen, denn er hat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht, als er vor einem Jahr Nazi-Sticker entfernt hatte. Da hatten ihm die Beamten sogar mit einer Anzeige wegen Sachbeschädigung gedroht. Auch der Hochschullehrer Wolfgang Kostujak war damals dabei:
    "Wir sind plötzlich von einem in bester Sheriffmanier diagonal vor uns einparkenden Polizeiwagen am Weitergehen gehindert worden, Personalien sind aufgenommen worden, wir sind durchsucht worden."
    Erst als Kostujak die Polizisten darauf hinwies, dass das Abkratzen von verfassungsfeindlichen Symbolen seiner Meinung nach die Pflicht jedes Bürgers sei, wurden sie freundlich.
    Laut Kriminalstatistik wurden in Hamminkeln im vergangenen Jahr lediglich drei politische Straftaten von Rechtsextremen begangen. Denn so manches Delikt wird nicht als politische, sondern als gewöhnliche Straftat eingestuft.
    Oder eine Anzeige führt zu nichts, so wie im Fall der Hamminkelnerin, die sagt, sie sei in der Silvesternacht 2016 von Rechtsextremen mit brennenden Chinaböllern beworfen worden. Da sie die Böllerwürfe keiner Person zuordnen konnte, wurde das Verfahren eingestellt.
    "Über Jahre wird man mit kleinen Dingen tyrannisiert"
    In Udo Bovenkerks Stadtviertel schikanierten Rechtsextreme die Nachbarschaft mit Delikten, die laut Gesetz Ordnungswidrigkeiten sind. So gehörte nächtliche Ruhestörung zum Alltag:
    "Über Jahre wird man mit kleinen Dingen tyrannisiert und drangsaliert und ist dann immer erstaunt über die Möglichkeiten, die diese Leute besitzen, im Rechtsstaat damit auch weiterzukommen."
    Nach langem Reden hatte es Bovenkerk dann geschafft, zwei von zwanzig Nachbarn zu überzeugen, ihre Angst zu überwinden und gemeinsam bei der Stadt zu protestieren. Seitdem kontrolliert die Stadt intensiver und es ist Ruhe eingekehrt.
    Doch man tut sich schwer in Hamminkeln, sich gegen die Rechtsextremen zu wehren. In den letzten Wochen kam es in der Gesamtschule nach Aussagen von Schülern wiederholt zu Heil-Hitler-Rufen. Die Stadt hat erst den Staatsschutz eingeschaltet, nachdem sie zu den Vorfällen gefragt worden war. Niemand aus der Elternschaft hatte sich zuvor darüber beschwert.
    "Die leute suchen eine apolitische, friedliche Privatheit"
    Hochschullehrer Wolfgang Kostujak hat eine Vermutung, warum die Haminkelner lieber schweigen:
    "In dem Augenblick, wo sie sich gegen etwas wehren, fechten sie diese heimelige Behaglichkeit des Landlebens an, das die Leute hier lieben. In dem Moment, wo die sehen, dass es einen Grund gibt, für Zivilcourage und gegen Neonazis anzugehen, wird ein Weltbild in Frage gestellt. Die Leute suchen so eine apolitische, friedliche Privatheit. Und das können sie selbst auf so einem Dorf nicht mehr bieten."