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Rechtfertigt der Koran Terror?
"Gewalt-Verse werden missbraucht"

Ja, der Koran enthalte Passagen, die zu Gewalt "gegen Ungläubige" aufrufen, sagte die Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth im Deutschlandfunk. Doch die gebe es auch in der Bibel. Und die Gewalt-Verse erfreuten sich im Islam "eigentlich keiner besonderen Beliebtheit, außer bei diesen törichten Extremisten".

Angelika Neuwirth im Gespräch mit Michael Köhler | 09.01.2015
    Ein Mann liest im Koran.
    "Der Koran ist die Mitschrift einer Verkündigung, die durch verschiedenste Situationen gegangen ist." (imago/Xinhua)
    Michael Köhler: Zuerst aber zu einer Frage, die nicht Wenige in Stunden des islamistischen Terrors auch nach den Zugriffen in der französischen Hauptstadt umtreibt, nämlich in Zeiten von Kalifat und "Islamischem Staat". Die Frage: Rechtfertigt der Koran, rechtfertigen bestimmte Suren vielleicht islamistischen Terror, damit auch die Angst von Nichtmuslimen davor? Die Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirthhaben wir befragt. Sie lehrt in Berlin, hat den Lehrstuhl für Arabistik, ist Koran-Kommentatorin, hat zahlreiche Ehrungen erfahren. Lassen Sie uns unter dem Eindruck der Ereignisse einen Punkt herausgreifen. Macht es sich zu einfach, wer sagt, der Koran liefere Begründung für religiös motivierte Gewalt und Extremismus?
    Angelika Neuwirth: Ja. Herr Köhler, schon das Wort Koran ist natürlich irreführend. Der Koran als solcher ist ja ebenso wie die Bibel nicht eine Stimme, sondern der Koran ist die Sammlung, die Mitschrift einer Verkündigung, die durch verschiedenste Situationen gegangen ist, und man tut sich oft zu leicht, indem man einfach auf den Text zugreift, sich einen Vers herausgreift, was ja in diesen berühmten Versen immer wieder geschieht, und den auch noch literal, also im Wortsinn nimmt. Koranische Aussagen sind eingepackt im Grunde in zwei Paketbände. Das Erste ist der Kontext in der Schrift selber, aber man muss sich dann schon die Mühe machen, den weiteren Kontext zu lesen. Da erfährt man beispielsweise bei diesen Gewalt-Versen, dass es sich da um eine offenbar sehr, sehr kritische Situation handelt, in der man die Ultima Ratio im Kriege anwenden muss. Das Zweite ist die Einpackung in das Geschick der koranischen Gemeinde. Das Ganze ist ja eine Mitteilung. Der Koran spricht ja zu Dritten. Erst mal spricht Gott zum Propheten und der soll das weitergeben an Dritte. Und wenn ihm das nicht gelungen wäre, wäre ja diese Verkündigung abgebrochen, dann hätten wir keinen Koran. Also es ist eine fortwährende Verkündigung und diese Gemeinde muss eigentlich dazu auch Amen sagen. Das heißt, diese Gemeinde muss diese Dinge absegnen. Sonst ginge die Verkündigung nicht weiter, die würden nicht weiter zuhören. Wir müssen uns so einen Prozess vorstellen. Und wenn wir diese beiden Rücksichten nehmen, einerseits zu sagen, wohin gehört das eigentlich, in welchen Kontext, und zweitens, was sagt denn die Gemeinde dazu; was die Gemeinde dazu sagt, können wir aus der Tradition erfahren, die eine lange Propheten-Biographie hinterlassen hat, wo man den genauen Anlass eines Koranverses erfahren kann.
    "Es gibt natürlich ein Verführungsmerkmal"
    Köhler: Frau Professor Neuwerth, jetzt spricht die historische Koran-Wissenschaftlerin aus Ihnen. Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Sie mit Ihren eigenen Worten jetzt mal ärgere und sage, nehmen Sie es nicht zu leicht, wenn Sie dann Suren unterschlagen, die berühmten 9:5: Wo immer Ihr sie findet, die Ungläubigen, ergreift sie, belagert sie, andere sprechen von "kämpft gegen die, die nicht an Gott glauben, bis sie erniedrigt den Tribut entrichten". Das Stichwort der Kopfsteuer ist doch da, das lässt sich doch nicht wegleugnen.
    Neuwirth: Das lässt sich nicht leugnen. Aber sehen Sie, Herr Köhler, so wie das Buch Josua ist in dieser Hinsicht nichts zimperlicher. Das heißt ja aber auch nicht, dass für alle Zeiten dieser Bann über die Städte, der nun allen das Leben kosten wird, in irgendeiner Weise noch eine Anweisung wäre. Das sind Dinge, die in einer bestimmten Situation sich niedergeschlagen haben und die damals eben auch, da sie aus Prophetenmund kamen, wurden sie natürlich auch festgehalten. Aber das heißt ja nicht - und da müssen wir wirklich die Tradition dann befragen -, das heißt nicht, dass sie für eine Zeit über diese Situation hinaus gültig sind. Aber ich gebe natürlich zu, dass sie da nun mal stehen und außerordentlich anstößig sind und vor allem von schlimmen, von missgeleiteten Muslimen auch noch missbraucht werden. Das ist ja der Punkt. Wenn die Muslime das heute nicht anwenden würden, wäre das ja keine Diskussion.
    Köhler: Das heißt, so etwas wie historische Koran-Lektüre, oder noch anspruchsvoller gesagt, eine kritisch-hermeneutische Textauslegung ist unterblieben, oder jedenfalls von denen, die sich auf die Gewalt berufen, nicht geleistet worden?
    Neuwirth: Von denen, die sich auf die Gewalt berufen, ist sie nicht geleistet worden. Es gibt natürlich solch ein Verführungsmerkmal. Es hat in der Geschichte immer wieder Situationen gegeben, wo man zwei Ideale des Islam zusammengebunden hat, normalerweise laufen die separat: Das eine ist die Askese, auf Arabisch heißt das Dschihad. Das Wort Dschihad heißt nichts anderes als Askese, das heißt, man soll auf seine eigenen Bequemlichkeiten und so weiter verzichten, zu Gunsten der Erfüllung des göttlichen Willens. Normalerweise läuft das im privaten Leben einfach durch Enthaltsamkeit. Aber in bestimmten Situationen hat es immer wieder Interpretationen gegeben: Man muss das auch mit Leib und Leben tun. Das ist nicht genug, wenn man sich zuhause asketisch verhält; man muss es auch am Felde tun. Es ist nicht einzigartig im Islam, das gibt es auch im Christentum, gibt es auch im Judentum, hin und her. Es gab Zeiten, zum Beispiel bei den Kreuzfahrern in der Kreuzfahrerzeit, wo man die auch zusammengespannt hat, diesen großen Dschihad - das ist die eigene Überwältigung, die Selbstbezwingung - und den kleinen Dschihad - der ist kleiner im Wert. Das ist der gegenüber den anderen, wenn man die anderen bekämpft. Das ist der kleine Dschihad.
    "Das sind ja keine gebildeten Muslime"
    Köhler: Ist es also richtig, oder verstehe ich Sie richtig, wenn Sie sagen, es sei insgesamt falsch, wenn man so monokausal sagt, der Islam sei gewaltverherrlichend, wenn man sich nur auf bestimmte Suren bezieht und nicht auch andere mit einbezieht, die nämlich genau das Gegenteil sagen?
    Neuwirth: Genau, unbedingt. Unbedingt! Der Koran als solcher ist, mit ganz wenigen Versen dokumentiert er eine zeitweilige, eine sehr situationsgebundene Verhaltensweise, die mit Gewalt viel zu tun hat. Und natürlich hat das etwas, gerade für Leute, die dem Islam entfremdet sind, das sind diese jungen Leute ja, die bei ISIS und so weiter andocken, das sind ja keine gebildeten Muslime, das sind Leute, die suchen nach ihrer Identität und haben keine. Die finden gerade das ungeheuer selbstermächtigend, wenn sie ihre Gewalt, sozusagen ihre Wut paaren können mit dem äußeren Erscheinungsbild eines Frommen.
    Köhler: Und die überblenden oder überkleben dann diese berühmte, ich glaube, 5,32, wenn jemand einen Menschen tötet, der keinen anderen getötet hat, selbst kein Unheil gestiftet hat, ist es, als töte er die Menschen allesamt.
    Neuwirth: Genau. Und das, würde ich sagen, ist ein wesentlich präsenterer Vers. Den kennt wirklich jeder Muslim auswendig, während diese Gewalt-Verse eigentlich sich keiner besonderen Beliebtheit erfreuen, außer bei diesen törichten Extremisten.
    Köhler: Das sagt die Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwerth. Sie lehrt in Berlin und hat den Lehrstuhl für Arabistik inne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.