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"Rechtlich zulässig" ist die Absage zur Platzreservierung im NSU-Prozess

Der zuständige Richter verweigert im Verfahren gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe dem türkischen Botschafter eine Platzreservierung. Juristisch sei diese Entscheidung zwar zu vertreten, aber in einem so "hochsensiblen Verfahren" nicht glücklich, erklärt Jurist Martin Wenning-Morgenthaler.

Martin Wenning-Morgenthaler im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.03.2013
    Martin Zagatta: Ist das ein Skandal, oder handelt das Oberlandesgericht in München nur nach Recht und Gesetz? Jedenfalls weigert sich der zuständige Richter, dem türkischen Botschafter einen Platz zu reservieren, wenn in wenigen Wochen das Verfahren gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe sowie vier ihrer mutmaßlichen Komplizen dieser Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund eröffnet wird, und das, obwohl acht der zehn Mordopfer aus der Türkei beziehungsweise aus türkischen Familien stammen. Es gebe, so die Begründung, einfach nicht genug Platz in dem Verhandlungssaal, und niemand könne da bevorzugt werden. Das hat Karl Huber, der Präsident des Oberlandesgerichts in München, eigenen Angaben zufolge auch einem Vertreter des türkischen Konsulats so erklärt.

    Karl Huber: Ich habe ihm aber in Aussicht gestellt, dass er und der Botschafter selbstverständlich die Möglichkeit bekommen wird, sich vor Ort über die Hauptverhandlung zu informieren, und, soweit möglich, auch im Sitzungssaal sich einen Eindruck zu verschaffen.

    Zagatta: Der Haken daran: Der türkische Botschafter müsste sich da wohl frühzeitig und stundenlang anstellen, um einen Platz zu ergattern. Das Gericht verweist auf die Rechtslage, eine Reservierung verstoße gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit und sei unter Umständen sogar ein Grund, das Urteil dann später anzufechten. Ja, wie sind da die gesetzlichen Grundlagen? Das wollen wir uns jetzt kurz von Martin Wenning-Morgenthaler erklären lassen, dem Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung, in der Richter und Staatsanwälte zusammengeschlossen sind. Guten Morgen, Herr Wenning-Morgenthaler!

    Martin Wenning-Morgenthaler: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Herr Wenning-Morgenthaler, tun wir, wenn wir jetzt den Kopf schütteln über diese Entscheidung, tun wir dem Münchner Oberlandesgericht dann Unrecht? Wie ist da die Rechtslage?

    Wenning-Morgenthaler: Das Schwierige an diesem Fall ist, dass es natürlich mehrere Seiten hat. Rechtlich zulässig ist die Entscheidung, also rechtlich so nicht zu beanstanden, aber in einem so hochsensiblen Verfahren mit internationalem Interesse ist es natürlich mindestens nicht besonders glücklich, wie die Kammer entschieden hat. Die Öffentlichkeit ist grundgesetzlich abgesichert in der Europäischen Menschenrechtskonvention steht drin, dass Prozesse in Deutschland und in Europa öffentlich stattzufinden haben. Der Sinn ist da einerseits, dass man sagt: Die dem Recht Unterworfenen sollen keiner Geheimjustiz ausgesetzt sein, sondern mit öffentlicher Kontrolle die Prozesse durchgeführt werden. Andererseits: Schauprozesse gibt es in Deutschland gerade nicht. Das ist auch ein rechtsstaatlicher Grundsatz, und selbst der schlimmste Verbrecher hat nun mal Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

    Zagatta: Also, wenn ich Sie recht verstanden habe, dann ist das vielleicht ein unsensibles Vorgehen, aber juristisch ist, die Entscheidung zu vertreten?

    Wenning-Morgenthaler: So kann man es zusammenfassen. Noch im letzten Jahr hat das Bundesverfassungsgericht in einem ganz anderen Fall vorm Landgericht Potsdam entscheiden müssen, wie ist das mit dem Zutritt der Öffentlichkeit, und da hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es eine unbegrenzte Öffentlichkeit nicht gibt, weil man einfach an irgendwelche Gebäudegrenzen oder sonstige Grenzen stößt, und hat gesagt, das Primäre, was ein Gericht zu berücksichtigen hat, ist, dass es funktionstüchtig bleibt, also eben kein Schauprozess, sondern dass man einen ordentlichen Prozess für alle Beteiligten machen kann, weil teilweise ja auch Angehörige da in besonderen Situationen sind. Und deswegen muss man eben sensibel damit umgehen, wie man Öffentlichkeit zu einem Verfahren zulässt.

    Zagatta: Da gibt es ja jetzt auch schon erste Beschwerden von Angehörigen, dass auch nicht genug Platz da ist für all die Angehörigen der Mordopfer, die da natürlich verständlicherweise dabei sein wollen. Könnte dann ein Richter – oder muss er das ja jetzt auch irgendwie, er muss das ja wohl entscheiden –, kann ein Richter diese Menschen, also die Hauptbetroffenen, wenn man so will, kann man die ausschließen und den türkischen Botschafter dann auf der anderen Seite einlassen? Das gäbe ja auch wieder Beschwerden.

    Wenning-Morgenthaler: Da haben Sie völlig recht. Also in erster Linie sind natürlich die Prozessbeteiligten zu berücksichtigen, also die Nebenkläger in diesem Fall, oder wenn die Tochter eines der Opfer als Nebenklägerin im Beistand ihres Ehemannes den Prozess nur erleben kann, dann, denke ich, ist es selbstverständlich, dass dieser Zutritt zum Gerichtssaal dann auch zu ermöglichen ist ohne jedes Wenn und Aber. Da ist die Öffentlichkeit dann eher im zweiten Glied und muss da etwas zurücktreten. Aber man hätte natürlich die Möglichkeit gehabt, hier in einen größeren Saal den Prozess zu verlegen. Ob das Oberlandesgericht München einen größeren Saal hat, weiß ich nicht, aber zumindest theoretisch.

    Zagatta: Also angeblich nicht. Man hört da aus München, das sei schon der größte Saal. Aber, daran knüpft sich ja die Frage an, wenn es da ein so großes Interesse gibt: Hätte man dann in eine Art Sporthalle oder in München vielleicht sogar in eine Art Bierzelt umziehen können, oder wäre das unwürdig?

    Wenning-Morgenthaler: Also, ein Bierzelt wäre mit Sicherheit unwürdig, aber es gibt natürlich auch Konferenzzentren, wo Großveranstaltungen durchgeführt werden, wo man auch große Prozesse oder große Öffentlichkeiten ohne Weiteres unterbringen kann. Ob das dann in diesem Einzelfall angemessen ist mit dem großen, großen Sicherheitsbedürfnis, was natürlich auch rund um den Prozess zu beachten ist, kann ich von hier aus nicht beurteilen. Aber das wäre was, was ein Gericht sich jedenfalls fragen muss, ob es nicht in diese Richtung dann gerade eben bei einem so sensiblen Verfahren doch mehr Öffentlichkeit zulässt.

    Zagatta: Martin Wenning-Morgenthaler, der Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung. Herr Wenning-Morgenthaler, ganz herzlichen Dank für diese Erläuterungen und Einschätzungen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.