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Rechtsextreme Gewalt in Griechenland nimmt zu

Spätestens seit den griechischen Parlamentswahlen vom 6. Mai und 17. Juni ist in Griechenland der Nationalismus salonfähig geworden. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hat es eine rechtsextreme Partei ins Parlament geschafft - und rechtsradikale Übergriffe auf Einwanderer und Flüchtlinge nehmen zu.

Von Rodothea Seralidou | 16.08.2012
    Ein Büro im Athener Stadtzentrum. Die griechische Organisation "Vereint gegen Rassismus" hat zu einer Pressekonferenz geladen. Der Anlass: Zum wiederholten Mal wurden Einwanderer in der griechischen Hauptstadt von Rechtsradikalen krankenhausreif geschlagen und ihre Wohnungen geplündert. Die Opfer stehen noch sichtlich unter Schock. So auch der 40-jährige Inder Vige Kumar. Sein Gesicht und sein Körper sind übersät mit Platz- und Schürfwunden:

    "Gestern Abend bin ich um halb zehn aus dem Haus gegangen, um ein bisschen Luft zu schnappen. Plötzlich kamen 20 Leute mit Kapuzen, die riefen: 'Fangt ihn!' Sie schlugen mehrere Minuten auf mich ein. Um mich zu retten, habe ich mich auf den Boden gelegt und nichts gesagt. Sie haben bestimmt gedacht, ich wäre tot und erst dann sind sie weitergegangen!"

    Das, was Vige Kumar erlebt hat, ist kein Einzelfall. Vor wenigen Tagen erst wurde ein irakischer Einwanderer mit einem Messer attackiert. Er erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Einen Tag darauf wurde ein Athener Stadtteilbüro der rechtsradikalen Partei Chryssi Avgi von Unbekannten in Brand gesetzt. Die Polizei geht von einem Racheakt aus. In ihrer Pressemitteilung versuchen die Rechtsextremen den Brandanschlag zu instrumentalisieren; sie machen weiter Stimmung gegen Einwanderer: "Solche Angriffe machen uns keine Angst!" steht auf der Internetseite der Chryssi Avgi. "Wir werden unseren nationalen Kampf fortführen, bis Griechenland wieder den Griechen gehört!"

    Griechenland den Griechen - wie solche Parolen von Rechtsradikalen auf der Straße durchgesetzt werden, weiß der Politologe Javied Aslam, Vorsitzender der pakistanischen Gemeinde Athens, nur zu gut: Er hat allein in den letzten drei Monaten griechenlandweit über 300 Fälle rechtsextremer Gewalt registriert:

    "Die Rechtsradikalen schlagen die Einwanderer und die Polizei guckt zu und nimmt die Täter nicht fest. Doch genau das wäre doch ihre Arbeit: Die Täter festzunehmen und zur Rechenschaft zu ziehen!"

    Den Unwillen der Polizei, solchen Taten nachzugehen, belegt auch ein im Juli veröffentlichter Report der Internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Opfer würden nicht geschützt und die Täter nur selten zur Verantwortung gezogen. In seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Deutschlandfunk weist der Pressesprecher der griechischen Polizei, Christos Manouras, diese Vorwürfe entschieden zurück. Griechenland sei ein Rechtsstaat, der die Rechte aller Menschen beschütze- unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft und ihrer Religion. Es werde jeder Anzeige nachgegangen und jeder Fall sorgfältig geprüft. Doch die Einwanderer selbst machen allzu oft ganz andere Erfahrungen. So auch der 31-jährige Pakistaner Shahid Nawaz:

    "Wenn wir zur Wache gehen, um Anzeige zu erstatten, gucken uns die Polizeibeamten an und sagen 'Na, Pakistaner, was ist jetzt wieder los? Haben dich die Rechtsradikalen angegriffen? Schon wieder?' Ich bin mir sicher, dass sie unsere Anzeigen nicht einmal prüfen."

    Vor wenigen Wochen erst wurde Shahids Wohnung von einer Gruppe Rechtsradikaler verwüstet, sein gesamtes Hab und Gut zerstört. Für Petros Konstantinou, Mitglied des Athener Stadtrats und Anti-Faschismus-Aktivist, sind die griechischen Regierungen der letzten Jahre mitverantwortlich für die aktuelle Situation:

    "Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 spielen die Regierungen offen mit dem Rassismus, um die Griechen von den wirklichen Problemen abzulenken. Seitdem hat es eine systematische Propaganda gegen Einwanderer gegeben, sie wurden für die Probleme des Landes verantwortlich gemacht, für die Arbeitslosigkeit, für die Kriminalität."

    Und auch von der aktuellen Koalitionsregierung sollte man sich keine Besserung erhoffen, so Konstantinou. Seit Anfang August ist eine groß angelegte Polizeioffensive im Gange: Mehrere Tausend Einwanderer wurden festgenommen, ihre Aufenthaltserlaubnis kontrolliert. Wer ohne Papiere erwischt wird, soll bis zu seiner Abschiebung in speziellen Auffanglagern untergebracht werden. Stadtrat Petros Konstantinou schüttelt den Kopf:

    "Durch solche Säuberungsaktionen und Abschiebelager zeigt diese Regierung jetzt schon, dass sie die Agenda der letzten Regierungen fortführen will. Das gibt der Polizei weiterhin grünes Licht, brutal gegen Migranten vorzugehen und die Rechtsradikalen können ungehindert ihre Angriffe fortsetzen."

    Für Einwanderer wie Vige Kumar und Shahid Nawaz jedenfalls steht fest, dass ihr Leben auch weiterhin in Gefahr ist. Ständig sind sie auf der Hut, aus Angst vor dem nächsten Angriff.