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Rechtsextreme Hochburg in London

Durchbruch der Rechten - seit den vergangenen Lokalwahlen ist die British National Party zweitstärkste Fraktion im Stadtrat des Londoner Wahlbezirks Barking and Dagenham. In dem Stadtteil leben viele Einwanderer, die sich vor der rechtsextremen Szene fürchten. Die britischen Sozialdemokraten vor Ort reagieren hilflos. Aus London berichtet Matthias Becker.

15.09.2006
    Stadtrat Milton McKenzie, Mitglied der Labour Partei im Londoner Viertel Barking and Dagenham, bemüht sich, den Erfolg der British National Party in seinem Wahlbezirk zu erklären.

    "Sie haben viele Lügen verbreitet, reine Lügen. Mist wurde verbreitet. Sie haben den Menschen erzählt, was sie hören wollten, den Leuten, die sich vom politischen System entrechtet fühlen."

    Die Partei, die Kontakte zu rechtsterroristischen Organisationen und Holocaustleugnern hat, ist seit dem Frühjahr mit zwölf Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion im Stadtrat. Ihr Chef Richard Barnbrook ist sich sicher, dass die Kommunalwahlen für seine Partei den Durchbruch bedeuten.

    "Langsam ringen sich die Leute dazu durch, dass der Übergang von Labour zu der British National Party zwei oder drei Jahre dauern kann, aber er wird stattfinden."

    In der Vergangenheit waren die Erfolge der BNP nur kurzfristig und lokal beschränkt. Ihre Kandidaten gewannen zwar gelegentlich Sitze im Europaparlament oder den Stadträten, verloren diese aber regelmäßig nach kurzer Zeit wieder. Aber seit Beginn dieses Jahres besteht die Gefahr, dass sie zu einem festen Bestandteil des politischen Spektrums wird. Laut einer Meinungsumfrage vom April ziehen sieben Prozent der Briten in Erwägung, für die Nationalisten zu stimmen.

    Auch der Sozialdemokrat McKenzie sieht diese Gefahr. Besonders bitter ist für ihn, dass der Durchbruch der Rechten in einer Gegend gelang, die bisher traditionell sozialdemokratisch wählte. In Barking and Dagenham wohnten weiße Arbeiter, die zum großen Teil in den nahe gelegenen Autofabriken beschäftigt waren, und die sorgten seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1919 dafür, dass Labour regierte. Heute ziehen auf der Suche nach billigem Wohnraum immer mehr Zuwanderer aus der Karibik, Asien und auch Afrika hierher. Für McKenzie ist der rechtsextreme Erfolg auch das Ergebnis der Strategie Tony Blairs, sich vor allem auf die neue Mitte zu konzentrieren:

    "Die Regierung trägt daran eine Mitschuld. In Bezug auf den Wohnungsbau ist die Regierung nicht auf Menschen in diesem Land eingegangen."

    Die Wohnungsnot in der Hauptstadt und der Mangel an Sozialwohnungen waren das bestimmende Thema im Wahlkampf. Auf Flugblättern behauptete die BNP, Einwanderer würden bei der Vergabe von Wohnungen bevorzugt, ja, es gäbe sogar Zuschüsse für Afrikaner, um sich im Viertel Wohnungen zu kaufen. Eine nachweislich falsche Behauptung, an der Richard Barnbrook dennoch bis heute festhält:

    "Ein Programm wurde "Afrikaner nach Essex" genannt, bei dem Zuschüsse an Menschen aus anderen Stadtteilen bezahlt wurden. Die Labour-Regierung und die Stadträte haben das abgestritten, aber wir wissen ganz sicher, dass es solche Zuschüsse gab, zwar nicht unter diesem Namen. Damit sollten Sozialwohnungen frei gemacht werden, damit dort nicht vorwiegend Schwarze wohnen."

    Auch wenn es niemals solche Programme gab, die Behauptungen der BNP fallen bei vielen weißen Briten auf fruchtbaren Boden.

    "Ich stimme zwar nicht mit allen ihren Ansichten überein, aber ich glaube auch, dass wir Briten zuerst an die Reihe kommen sollten. Natürlich möchte ich, dass wir Briten bevorzugt werden, bei den Wohnungen, mit finanzieller Unterstützung, bei der Altenhilfe und im Gesundheitswesen."

    Seit den Lokalwahlen hat sich die Atmosphäre zwischen den Bevölkerungsgruppen weiter verschlechtert.

    "Sie wurden nachts auf dem Nachhauseweg zusammengeschlagen und ähnliche Dinge, also entschieden sie sich letztlich, von hier wegzugehen."

    berichtet der pakistanisch-stämmige Ahmed. Das bestätigt auch Thomas Musau, der vor zehn Jahren als Asylbewerber aus Somalia nach Barking kam. Heute betreibt er ein Monatsmagazin für die Afrikaner im Viertel.

    "Wir haben Angst vor Übergriffen. Manche sagen sogar, "Du schreibst darüber, du gibst deinen Namen und deine Adresse an, dazu habe ich zu viel Angst." Da sage ich: "Ich glaube nicht, dass ich etwas Falsches tue, und wenn mich jemand angreift, dann ist das eben so." Ich kann nicht einfach dasitzen und meine Aufgabe nicht erfüllen."

    Die britischen Sozialdemokraten vor Ort reagieren indes recht hilflos. Milton McKenzie hält eine umfassende Strategie für notwendig, um den Vormarsch der Rechten zu stoppen. Entscheidend sei, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen:

    "Wir müssen mehr an die Öffentlichkeit gehen, um den Leuten klar zu machen, was wir hier tun, wie wir es tun, wann es passiert, was es kostet. Wir brauchen Hilfe von anderen, zum Beispiel von der Regierung. Und wir müssen den Leuten sagen, was wir gegen diese Scheußlichkeit, die uns hier gegenüber steht, tun werden. Und wir dürfen nicht nachlassen und der rassistischen Fraktion erlauben, sich in Barking and Dagenham einzunisten."