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Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke:
Beobachtung der AfD "ist denkbar"

Aus Sicht des Rechtsextremismus-Experten Hajo Funke gibt es genügend Anlässe, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Die Partei würde mit der extrem rechten Identitären Bewegung und Pegida kooperieren, sagte er im Dlf. Ihre Ausrichtung sei außerdem rechtsradikal.

Hajo Funke im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.09.2018
    Der Politikwissenschafler Hans Joachim Funke im Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss "Rechtsterrorismus/NSU" im Landtag von Baden-Württemberg
    Der Politikwissenschafler Hans Joachim Funke sagt, die Ausrichtung der AfD sei rechtsradikal (picture alliance/ dpa/ Daniel Naupold)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir hätten heute gerne mit den Präsidenten des Verfassungsschutzes im Bund, in Sachsen und in Thüringen gesprochen, auch um darüber zu sprechen, in welchen Fällen eine Beobachtung stattfindet und in welchen nicht. Alle drei haben uns aber eine Absage erteilt – zum Teil mit dem Hinweis auf einen einstimmigen Beschluss vom März 2018. Kernsatz: "Derzeit sind keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Beobachtung der AfD als Partei durch den Verfassungsschutz-Verbund begründen würden."
    Umso mehr freut es uns, dass wir mit einem Kenner der Materie reden können: mit Hajo Funke, Rechtsextremismus-Experte, emeritierter Professor an der FU Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Funke.
    Hajo Funke: Guten Morgen.
    Heckmann: Ist die AfD aus Ihrer Sicht ein Fall für den Verfassungsschutz?
    Funke: Das ist denkbar. Und zwar müssen wir auch ein bisschen zurückschauen. Wir haben eine enge Kooperation von Höcke und anderen mit den Identitären, den IB-Leuten. Und das ist der Grund, warum Niedersachsen und Bremen die Junge Alternative überprüft und beobachtet. Das wird von den dortigen Landesverfassungsschutzämtern gemacht.
    Die Kooperation mit den Identitären ist aber bundesweit. Ebenso inzwischen die Kooperation mit der von Rassisten geleiteten Pegida-Bewegung. Damit habe ich schon zwei Anlässe zu sagen, wenn die einen beobachtet werden, können auch die anderen, die mit ihnen kooperieren, beobachtet werden.
    Heckmann: Das müssen Sie vielleicht ein bisschen erklären. Die Identitären, das sagt nicht jedem was. Was für eine Gruppierung ist das?
    Funke: Das ist eine extrem neue rechte Gruppierung mit etwa 500 Mitgliedern, also eine kleine, aber doch sehr effiziente, in der Öffentlichkeit effiziente Organisation, die für eine Republik plädiert, die ethnisch rein ist, und deswegen vehement gegen ethnische Minderheiten polemisiert und die in enger Kooperation mit Höcke und Kalbitz – das sind Repräsentanten der ostdeutschen Landesverbände der AfD – zu beobachten sind.
    "Man macht gemeinsam mobil gegen alle, die ihnen nicht gefallen"
    Heckmann: Sie haben jetzt Bremen und Niedersachsen angesprochen, die gestern bekannt gegeben haben, dass die Jugendorganisation der Alternative für Deutschland beobachtet werden soll. Es geht also nicht um die AfD als Ganzes. Und wenn wir auf die schauen: Wenn AfD-Vertreter gemeinsam mit einem Lutz Bachmann beispielsweise, dem Mitbegründer von Pegida, an einer Demonstration teilnehmen, wie jetzt in Chemnitz, reicht das denn aus, um eine Beobachtung der AfD insgesamt begründen zu können?
    Funke: Es geht ja nicht nur darum, dass die sich einmal gesehen haben, sondern dass sie seit drei Jahren kooperieren. Alexander Gauland hat im Frühjahr 2015, also sogar vor mehr als drei Jahren, gesagt: "Pegida ist unser natürlicher Verbündeter." Dennoch gab es einen Unvereinbarkeitsbeschluss, angeregt durch Frauke Petry, die die Partei aber wegen Radikalisierung verlassen hat, und dieser Unvereinbarkeitsbeschluss galt bis im März diesen Jahres. Das heißt, er ist gerade aufgrund des Drucks der besonders Radikalen in der Partei aufgehoben worden.
    Heckmann: Er ist offiziell nicht mehr gültig?
    Funke: Er ist offiziell nicht mehr gültig. Das ist aber nicht das Entscheidende, wie die AfD es sieht, sondern wie wir es beurteilen, wie wir die Kooperation zwischen der AfD und eben jenen Pegida-Leuten beobachten und bewerten. Da muss man sagen, in Chemnitz und auch zuvor – ich habe das selbst beobachtet Ende August in Cottbus – gibt es einen Zusammenschluss. Man macht gemeinsam mobil gegen alle, die ihnen nicht gefallen, gegen alle ethnischen und religiösen Minderheiten in diesem Land. Abgesehen von der antisemitischen Haltung des radikalen Antisemiten Wolfgang Gedeon. Der ist keineswegs aus der Partei ausgeschlossen, wie das gewünscht worden war auch von Teilen der Partei. Das heißt, die Radikalisierung ist nach rechts hin offen und es gibt keine Abgrenzung vom Format.
    "Entscheidend ist die Ausrichtung der Partei, und die ist rechtsradikal"
    Heckmann: Die Verfassungsschutzbehörden sagen allerdings, Einzelpersonen reichen nicht, um eine Partei als Ganze zu beobachten, und das deckt sich ja auch mit der Gesetzeslage. Man muss vielleicht noch ein bisschen erklären. Wer entscheidet denn eigentlich, welche Partei beobachtet wird, und welche Kriterien werden da angelegt?
    Funke: Das ist eine andere Frage. Ich spreche auch nicht von einzelnen Personen, sondern von einer Ausrichtung der Gesamtpartei in den letzten zwei bis drei Jahren, die immer radikaler geworden ist. Wenn Sie Religionsfreiheit in Frage stellen, wie es die Partei tut, wenn Sie den Islam als Feind pur begreifen, dann ist das keine demokratische Partei mehr, obwohl sie demokratisch gewählt worden ist. Und so könnte ich Ihnen aus meinen letzten Veröffentlichungen noch x andere Beispiele und Tendenzen nennen. Entscheidend ist die Ausrichtung der Partei, und die ist rechtsradikal.
    Jetzt zu Ihrer Frage nach den Kriterien. Der Verfassungsschutz kann beobachten und muss beobachten, wenn erwiesen ist oder die Gefahr besteht, dass eine Partei sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausrichtet. Hinzu kommt dann immer auch, ob die Bereitschaft zur Gewalt angeregt wird, um zu belegen, dass man gegen diese Verfassung dann auch aktiv vorgehen soll.
    Heckmann: Dafür sehen die Behörden aber derzeit keinen Anlass.
    Funke: Das stimmt ja nicht! Ein Teil der Behörden sieht diesen Anlass. Sonst würden sie nicht eine Überprüfung schon begonnen haben in Bremen und in Niedersachsen und im Übrigen im Einzelfall in Bayern, wegen der systematischen Kooperation mit der extrem neuen Rechten, der Identitären und anderen.
    Heckmann: Trotzdem: Die meisten Bundesländer, die meisten Verfassungsschutzämter in den Bundesländern, auch das Bundesamt selbst beobachtet noch nicht. Wie ist diese Zurückhaltung aus Ihrer Sicht zu erklären, wenn Sie der Meinung sind, dass es da doch ziemlich hieb- und stichfeste Belege dafür gibt?
    Funke: Ich sage, dass diese Partei beobachtbar ist. Ich frage mich natürlich, wie diese Entscheidungsprozesse in diesen Gremien vonstattengehen. Das ist ein komplexer Prozess. Der ist zwar von den Verfassungsschutzbehörden selbst zu entscheiden, aber es ist klar, dass sie dies in Kooperation mit den jeweiligen Innenministerien tun. So ist das mit dem Verfassungsschutz, praktisch, politisch, politologisch beobachtet. Das heißt, die Debatte darüber ist auch von Bedeutung. Gewiss, sie als Innenminister, als Öffentlichkeit, so wie jetzt die Debatte läuft, entscheiden es nicht selbst. Sie empfehlen Entscheidungen, die dann in der Tat autonom von den Verfassungsschutzämtern entschieden werden müssen. Und ob sie dies tun, ist eine komplexe Frage. Manche tun es, manche haben Sorge, es zu früh zu tun, und das ist ja auch berechtigt. Entscheidend ist, dass es die Debatte gibt, dass wir es heute mit einer rechtsradikalisierten Partei unter Kalbitz, unter Höcke und Gauland – das sind die wesentlichen Promotoren – zu tun haben.
    Heckmann: Könnte ein Grund für die Zurückhaltung der Verfassungsschutzämter auch sein, dass sie wissen, diese Entscheidung, die muss im Zweifelsfall auch vor den Verwaltungsgerichten Bestand haben? Und wenn sie es nicht haben, dann ist der Schaden größer, als wenn man eine Beobachtung gar nicht erst beginnt? Siehe das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren.
    Funke: Ja, völlig richtig. Beim NPD-Verbotsverfahren kommt noch etwas hinzu. Das Bundesverfassungsgericht hat ja nicht nur eine Beobachtung überprüft, sondern einen Verbotsantrag. Das ist etwas anderes. Die NPD war lange Gegenstand der Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden. Der nächste und höhere Schritt ist die Frage eines Verbots, und da muss natürlich noch genauer hingesehen werden. Das Spannende an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist, dass sie die NPD für wesensgleich mit dem Nationalsozialismus in der Ideologie gehalten haben, aber für bedeutungslos und deswegen, wegen der Bedeutungslosigkeit ein Verbot nicht ausgesprochen haben. Das ist natürlich ein indirekter Hinweis. Das heißt, wenn Gefahr in Verzug ist mit der Demokratie, dem Rechtsstaat durch eine Partei, dass man erst recht genauer hinschaut und gegebenenfalls beobachtet.
    "Das ist eine populistisch-demagogische Rhetorik"
    Heckmann: Auf der anderen Seite, Herr Funke. Pardon, wenn ich Sie noch mal unterbreche.
    Funke: Sie können mich immer unterbrechen.
    Heckmann: Andererseits ist es ja auch so: Wenn die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet würde, wäre das nicht eine Steilvorlage für alle, die mit ihr sympathisieren, die dann sagen würden, politisch hat das alles ja nichts geholfen, jetzt bringt der Staat seine Geheimdienste gegen missliebige Konkurrenten in Stellung. Alexander Gauland hat sich gestern genau in die Richtung auch geäußert. Ist es nicht eine große Gefahr, dass man die AfD zu Märtyrern macht, wenn man sie jetzt beobachten lässt?
    Funke: Diese Partei sieht sich ohnehin als Opfer und macht sich gemein mit einem vermeintlichen Opfer, eben dem Volk, so wie sie es definieren. Wir kennen das von Trump, da ist die ganze Welt der Aggressor gegenüber Amerika. Das ist eine populistisch-demagogische Rhetorik. Aber im Ernst gibt es natürlich Bedenken, wenn innerhalb der Bevölkerung eine Mischung von Protest und rechtsradikaler Überzeugung die Grundlage ist, diese Partei zu wählen. Da ist es viel entscheidender, als sie zu beobachten, die Wähler davon zu überzeugen, dass letztlich diese Partei – und das ist das Gute an dieser Debatte – zur Zerstörung unserer Demokratie führt und wir uns dann doch, wenn diese Partei mehr an Einfluss gewänne, in Weimarer Verhältnisse begeben, der Entwicklung des Zulassens von Demagogie, der Entfesselung von Ressentiments und der dabei einhergehenden Gewalt, und das sollte niemand wollen wollen in Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.