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Rechtsextremismus zurückgedrängt
Wo einst Neonazis verkehrten, serviert Hanan nun Pizza

Berlin-Schöneweide - Erfolg im Kampf gegen Neonazis: einst ein Nazi-Szenetreff, der Drinks nach NS-Größen benannte und Runen an die Wand malte. Heute eine Pizzeria, betrieben von einer libanesischen Einwandererfamilie und deren Nachkommen.

Von Benjamin Dierks | 04.08.2016
    Polizeiwagen vor dem Eingangschild "Zum Henker"
    "Die braune Mumpe ging mir ziemlich auf den Sack" (dpa / Florian Schuh)
    "Einmal Pizza Pollo Mexicana und einmal Hamburger." Hanan al-Kassem hat gerade eine Bestellung übers Internet entgegengenommen und ruft sie ihrem Vater zu. Der steht in der Küche und macht sich daran, den Pizzateig auszurollen.
    "Es ist ein Familienunternehmen. Also ich mache es mit meinem Vater zusammen." Hanan al-Kassem kommt aus Berlin-Neukölln und hat vor zwei Jahren die Schule beendet. Wenig später machte sie mit ihrem Vater eine Pizzeria auf. "Anima e Cuore" heißt sie, Herz und Seele.
    Blick auf die ehemalige Kneipe "Zum Henker".
    "Zum Henker" - die ehemalige Szenekneipe der Neonazis. (dpa / Jens Kalaene)
    Drinks, nach Nazi-Größen benannt – oder "KZ"
    Die Wände karminrot gestrichen, die Tische sorgfältig eingedeckt. Auf der Karte stehen Pizza, Pasta, Hamburger, alles auch zum Mitnehmen – ein Allerwelts-Restaurant. Aber ganz gewöhnlich ist al-Kassems Lokal dennoch nicht.
    Denn es liegt im Ost-Berliner Stadtteil Schöneweide, in der Brückenstraße 14. Hier standen vor gar nicht langer Zeit noch Drinks auf der Karte, die nach Nazi-Größen benannt waren oder das eindeutige Kürzel "KZ" trugen. Jahrelang residierte an dem Ort die Kneipe "Zum Henker", ein stadtbekannter Szene-Treff für Neonazis.
    Merkwürdige Wandmalereien und germanische Zeichen
    "Zuerst wussten wir das ja nicht. Weil ich komme ja nicht von Schöneweide und ich hatte auch nichts mit Schöneweide zu tun. Ich wohne ja in Neukölln." Nur über die merkwürdigen Wandmalereien wunderte Hanan al-Kassem sich anfangs, Runen und germanische Götter – und über pöbelnde Männer, die plötzlich in ihrem Laden standen.
    "Die haben geschrien. Und das war eine Horde sozusagen: "Henker", 'Heil Hitler', weiß ich jetzt nicht, was die geschrien haben damals. Ja und dann haben die ihre Zigarette hier reingeworfen." Andere riefen anonym beim Gewerbeamt an und versuchten, die Pizzeria anzuschwärzen. Schließlich erfuhr Hanan al-Kassem von Nachbarn, wer in ihrem Laden einst sein Unwesen trieb. "Es spricht sich ja herum, was hier früher war. Aber jetzt ist es etwas anderes. Jetzt sind wir hier und zufrieden."
    "Die braune Mumpe ging mir ziemlich auf den Sack"
    Die junge Neuköllner Pizzabäckerin, deren Familie aus dem Libanon stammt, ist unverhofft zum Gesicht des Wandels geworden in Schöneweide. Viele Nachbarn in der Brückenstraße sind heilfroh, dass der "Henker" weg ist:
    Demosntranten tragen ein Transparent mit der Aufschrift "Zum Führer mit 'Zum Henker". Nazikneipe dichtmachen".
    Mehrere hundert Menschen protestierten im April 2012 gegen den erstarkenden Rechtsradikalismus in Berlin. (imago / Christian Ditsch)
    "Das war ein Angstbereich für viele Menschen. Also viele Menschen sind hier nicht durchgelaufen extra deshalb. Es gab abends Veranstaltungen, wo abends mehrere Leute vor der Kneipe draußen waren, wo man mindestens die Straßenseite gewechselt hat – oder auch musste. Also es war teilweise sehr, sehr unangenehm."
    "Die übertriebene braune Mumpe hier in der Gegend ging mir tatsächlich ziemlich auf den Sack, und ohne die finde ich es wesentlich angenehmer."
    Ein paar Häuser weiter betriet der NPD-Chef ein Geschäft
    Die Kneipe "Zum Henker" war nicht der einzige Laden für Rechtsradikale, ein paar Häuser weiter betrieb der heutige Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke sein Geschäft für alles, was der gestandene Neonazi so braucht, von Schlagstöcken bis zu Tarnklamotten.
    Dazu gab es in der Umgebung Klubs und Kneipen für das Milieu. Menschen wurden bepöbelt und angegriffen, politisch unliebsame Einrichtungen und Parteibüros attackiert. Die Brückenstraße hieß im Volksmund auch "Braune Straße".
    Jugendliche angeworben und Freizeangebote unterbreitet
    "Es gab hier vor Ort eine verfestigte rechtsextreme Szene, organisiert in der NPD und anderen rechtsextremen Parteien, in Kameradschaften. Und diese Zusammenschlüsse, die getragen wurden, zum Teil zumindest, von ansässigen, hier wohnhaften Rechtsextremen, hatten sich eine eigene Infrastruktur geschaffen." Der Politologe Mathias Wörsching arbeitet bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Die Neonazis in Schöneweide hätten es eine Weile geschafft, Jugendliche anzuwerben und ihnen Freizeitangebote zu machen: "Und das hat natürlich stark dazu beigetragen, dass sich dieses Problem der rechtsextremen Szene eben über viele Jahre fortgesetzt und wiederhergestellt hat."
    Es war nicht leicht, die Infrastruktur der Neonazis in Schöneweide zurückzudrängen. Antifaschistische Initiativen demonstrierten immer wieder vor dem "Henker". Es gab Straßenfeste.
    Ein Wohlfühlkiez für Nazis
    "Sehr viele Akteure, die auch aus dem Kiez kommen, die gesagt haben, so geht das nicht weiter, wir haben ein krasses Problem.
    Aber das alleine hat halt nicht gereicht." Aktivisten, Politiker, Verwaltung und Kaufleute schlossen sich zum Berliner Beirat für Schöneweide zusammen: "Und was mit dem Berliner Beirat passiert ist, es ist von einer lokalen Stadtteilebene getragen worden auf eine Senatsebene, dass gesagt wurde, es ist nicht nur ein Problem in Schöneweide, das ist ein Berliner Problem, dem man sich annehmen muss."
    Lisa Gutsche leitet das Zentrum für Demokratie, das direkt in Schöneweide liegt und eine demokratische Zivilgesellschaft im Bezirk Treptow-Köpenick fördern soll. Hier wurde selbst das benachbarte Einkaufszentrum ins Boot geholt: "Was die Rechtsextremisten und Neonazis hier in Schöneweide wollten und in einer gewissen Zeitspanne ja auch hatten, war halt ein Wohlfühlkiez für Nazis. Wenn du dann aber Widerstand kriegst auf ganz, ganz vielen Ebenen, und Personen halt auch zeigen, hey, wir wollen euch hier nicht haben, dann ist das halt auch nicht mehr so gemütlich."
    Jetzt kommt der Hass aus der ganz normalen Bevölkerung
    Was aber nicht heißt, dass es heute weniger Arbeit gibt. Lisa Gutsche hat einige Mitstreiter in den Tagungssaal des Zentrums geladen. Rechtspopulismus steht auf der Tagesordnung: "Es gib schon eine Verschiebung von einer Auseinandersetzung mit Neonazismus hin zu einer stärkeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung, was Rassismus und Rechtspopulismus angeht."
    In Berlin stehen die Wahlen zum Abgeordnetenhaus an. Und auch in Treptow-Köpenick wird befürchtet, dass die AfD stark abschneidet. Außerdem machen Lisa Gutsche die Proteste gegen Flüchtlingsunterbringungen im Bezirk Sorgen. Die waren oft heftig und teils gewalttätig. Und diesmal kommt der Hass nicht nur von Rechtsextremisten, sondern auch aus der ganz normalen Bevölkerung.