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Rechtsextremisten entführen Melodien

Der Mainzer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs beschäftigt sich von Berufs wegen mit rechter Popmusik, Nazirock und artverwandten Genres. Er war nicht überrascht von der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds. In der Neonazi-Szene kursiert schon länger ein Lied, das die Mordserie feiert - und eine berühmte Melodie verwendet.

Von Klaus Walter | 06.03.2012
    "Sie träumen von einem Multikultistaat, für mich ist das nur weißer Verrat." Das singt die Band mit dem seltsamen Namen "Lunikoff Verschwörung".

    "Lunikoff ist der Spitzname des früheren Sängers von Landser, Michael Regener, der jetzt unter dem Namen Lunikoff Verschwörung auftritt. Lunikoff war eine billige Wodkamarke in der DDR. Das Album hat Michael Regener 2008 nach seiner Haftentlassung auf den Weg gebracht. Landser wurden ja – einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte – Ende der 90er Jahre als rechte Band als terroristische Vereinigung eingestuft und dann verboten."

    Sagt der Mainzer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs, der im weiten Feld zwischen rechter Popmusik und Nazirock forscht. Den Stellenwert dieses Michael Regener, der seine Band nach einem billigen DDR-Wodka benannt hat, beschreibt er so:

    "Er ist einer der Helden, auch wenn musikalisch eher das Klischee des tumben, musikalisch nicht sehr ausgefeilten Rechtsrocks RAC bedient."

    RAC steht für Rock Against Communism, Rock gegen Kommunismus. Das erinnert an antifaschistische Initiativen wie Rock gegen Rechts oder an die britische Bewegung Rock Against Racism. Die Assoziation ist kein Zufall, meint Thorsten Hindrichs, denn in der rechten Szene...

    "...hat sich über die Autonomen Nationalisten in den letzten Jahren einiges getan, was Styling und Dresscode angeht. Da trägt man durchaus das, was linke oder scheinbar linke, antifaschistische Jugendliche tragen, also Kapuzenpullis, in Schwarz, Palästinensertücher, Ohrringe, Piercings, Tattoos, alles, was auf den ersten Blick eher undeutsch ist, bis hin zu Konzepten aus der Straight Edge Bewegung."

    Straight Edge ist ursprünglich eine linke Jugendbewegung in der amerikanischen Hardcore-Punk-Szene. Auch hier adaptieren junge Rechtsradikale Codes und Motive des politischen Gegners. Thorsten Hindrichs beobachtet eine popkulturelle Modernisierung am rechten Rand und sieht eine Art Jugendbewegung aus Autonomen Nationalisten und Freien Kameradschaften. Diese Bewegung geht bewusst auf Distanz zur NPD und entwickelt eigene Stilistiken:

    "Unter anderem darüber, dass man sich scheinbar linker Codes bedient und für sich in Anspruch nimmt, die scheinbar nicht mit der rechten Ideologie vereinbar sind wie Amerikanismus, englische Sprache, Aufkleber wie "Fuck Israel" oder auch Palästinensertücher."

    Redensarten, Dresscodes und Symbole des politischen Gegners quasi entführen, sich aneignen und mit neuer Bedeutung aufladen: Diese Kulturtechnik erfreut sich gerade unter jungen Neonazis großer Beliebtheit. Das gilt auch für die Politisierung des scheinbar Unpolitischen.

    Eigentlich unpolitisch ist das berühmte Thema aus dem Rosaroten Panther, komponiert von Henry Mancini. Der erste Pink-Panther-Film wird 1963 gedreht.

    Fast 50 Jahre vergehen, bis der rosarote sich in einen braunen Panther verwandelt - oder besser verwandelt wird vom Nationalsozialistischen Untergrund, abgekürzt NSU. Die sogenannte Zwickauer Terrorzelle soll seit 1998 mindestens neun Morde an meist türkischstämmigen Opfern begangen haben. Dazu hat das Trio ein Bekennervideo produziert, in dem eben genau diese so harmlose Trickfilmfigur zu sehen war, zur Musik von Henry Mancini.

    "Die Verwendung von einem auf den ersten Blick undeutschen Symbol wie Paulchen Panther ist gar nicht so ungewöhnlich."

    Denn je bekannter eine Figur, eine Melodie, ganz allgemein ein kulturelles Erzeugnis ist, desto leichter lässt es sich missbrauchen.

    "Allgemein in Nazi-Subkulturen spielt die Musik eine große Rolle. Auch im Zusammenhang mit dem sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund scheint die Musik eine Rolle zu spielen. Immerhin gibt es ja mit dem inzwischen berühmt-berüchtigten "Döner Killer Song" von Gigi und die braunen Stadtmusikanten so etwas wie den Soundtrack zur Mordserie."

    Der "Döner Killer Song" steht auf dem Index, im Internet kursierte er schon lange. Und er machte klar, wer wirklich hinter den angeblichen "Dönermorden" steckte, nämlich Neonazis.

    "Es wird explizit auf die Mordserie Bezug genommen, neun Mal hat er es schon getan, also auch die Zahl der Opfer."

    Traurig, aber wahr: Anders als ihre Vorgänger unter den Rechtsrockern der 90er-Jahre haben die neuen Nazis Grund zum Jubeln. Die verbale Gewalt ist umgeschlagen in reale[*] Gewalt.

    [*] Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle haben wir einen Transkriptionsfehler korrigiert.