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Rechtskräftig verurteilter Spitzenkandidat wäre "ein Novum"

Ein rechtskräftig verurteilter Spitzenkandidat wäre für Deutschland ein Novum, sagt Sergej Lochthofen, Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen", über den Fall Dieter Althaus (CDU) - und prophezeit dem wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Ministerpräsidenten im Fall dessen Antretens beim Landtagswahlkampf harte Fragen der Wähler.

Sergej Lochthofen im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.03.2009
    Jasper Barenberg: Eine 41-jährige Skifahrerin kam ums Leben bei dem Zusammenprall mit Dieter Althaus am Neujahrstag. Nun steht fest: Thüringens Regierungschef wird sich in Österreich dafür vor Gericht verantworten müssen und er hat nach Angaben eines Anwalts eine Mitschuld an dem Unfall bereits eingeräumt. Wie geht die CDU in Thüringen mit dieser neuen Entwicklung um, vor allem natürlich mit Blick auf die Landtagswahl im August, die Althaus ja als Spitzenkandidat und Zugpferd seiner Partei bestreiten soll?
    Über die möglichen politischen Folgen der Anklage für die CDU in Thüringen wollen wir jetzt mit Sergej Lochthofen sprechen, mit dem Chefredakteur also der "Thüringer Allgemeinen". Schönen guten Tag!

    Sergej Lochthofen: Guten Tag!

    Barenberg: Herr Lochthofen, in den Augen von CDU-Fraktion und auch von Mitgliedern der Landesregierung – wir haben es eben gehört – hat die Anklage gegen Dieter Althaus keine politischen Folgen. Ist das auch Ihre Einschätzung?

    Lochthofen: Das ist sicherlich auf den Apparat der Partei bezogen so. Die werden durchhalten, die haben keine Alternative. Das ist schon bei den CDU-Anhängern anders. Sie merken natürlich, dass dahinter einiges stattfindet, was sie auch schon aus ethischen Gründen nicht ohne Weiteres teilen können. Und ganz anders wird es für die Wechselwähler sein. Die entscheiden sich nicht nur nach dem Prinzip Mitleid, sondern auch nach dem, was für Signale sie erreichen, und die sind im Augenblick ziemlich hart, würde ich sagen. Der Mann ist traumatisiert, wir sehen die Bilder, da sieht er nicht gut aus und alle drum herum, die ein politisches Interesse haben, behaupten, es geht ihm toll. Das ist natürlich ein Widerspruch.

    Barenberg: Aber ich habe Sie richtig verstanden, Ihre Einschätzung lautet, was die CDU anbelangt, so wird sie an ihrem inzwischen berühmten "Plan A wie Althaus" festhalten, komme was da wolle?

    Lochthofen: Ja, das sieht so aus. Man hat sich entschieden, man hat keine Alternative. Unterschwellig muss man natürlich immer damit rechnen, dass irgendwann der Mann in die Öffentlichkeit tritt. Wir haben ja fast wie bei einem schweren Konflikt irgendwo weit weg in der Welt keinerlei authentische Informationen. Alles was wir kriegen, auch das was gefilmt wird, ist meistens aus zweiter Hand. Sie sehen ja, auch die Illustration der Bilder fällt uns allen sehr schwer. Wir kommen an niemanden heran, der wirklich sachlich und neutral sagen kann, so geht es ihm oder so geht es ihm nicht. Im Augenblick ist es so: Die Partei hat sich entschieden und offensichtlich das ganz innere Umfeld um Althaus herum hat sich auch entschieden. Der Mann hat auch politisch keine Alternative. Der ist 50 Jahre alt. Der kann einfach nicht aus dem Amt scheiden, er hat keine Perspektive. Aus diesem Grunde spielt die Gesundheit sicherlich und auch die Schuldfrage damit für diejenigen, die da Politik machen, eine untergeordnete Rolle.

    Barenberg: Gibt es denn hinter den Kulissen, hinter der offiziellen Version bei der CDU andere Stimmen in der Partei, die skeptischer sind und die nach möglichen Alternativen jetzt suchen?

    Lochthofen: Es gab eine einzige Stimme. Das war sein Bruder, der ihn getroffen hat, ihn gesehen hat, der ihn natürlich sehr nahe kennt - bei der Beerdigung seines Vaters (auch ein tragischer Fall, der in die Situation mit hineingekommen ist) -, und der hat gesagt, das ist nicht der alte Althaus, das geht nicht. Dann gab es sehr verwirrende Informationen um ihn herum über seinen Gesundheitszustand, über seine Kontakte in die Staatskanzlei. Das alles zeigt, dass man das auch nicht richtig lenken kann, dass man das auch nicht kommunizieren kann, was natürlich heutzutage sehr dilettantisch anmutet. Aber ich habe fast das Gefühl, dass das alles keine Rolle mehr spielt. Die CDU hat sich festgelegt, sie will auch gar nichts anderes. Das hängt auch damit zusammen, dass Althaus nie zugelassen hat dass um ihn herum jemand wächst, der möglicherweise auch eine Alternative sein kann.

    Barenberg: Nun geht es ja aber offensichtlich inzwischen nicht mehr nur um den möglichen Genesungstermin oder die Genesungsaussichten von Dieter Althaus; es geht jetzt nach Anklageerhebung ja auch um die Frage, ob die CDU mit einem Spitzenkandidaten in die Landtagswahl ziehen will, über den dieses Damoklesschwert hängt, einer Verurteilung nämlich.

    Lochthofen: Ja. Wir sind jetzt in der Situation: Wir wissen nicht, was die Richter sagen. Aber wir haben heute beispielsweise in der Zeitung eine ganze Reihe Fälle aus den letzten Jahren aus Österreich, wie dort Gerichte in ähnlichen Fällen verfahren sind, Unfall auf der Piste mit Todesfolge. Das liegt meistens im Bereich, der für den Normalmenschen durchaus vertretbar ist. Da sind geringe Summen zu zahlen oder manchmal auch auf Bewährung ausgesprochene Freiheitsstrafen. Das ist natürlich bei einem Politiker, der auch noch im Wahlkampf steht, eine ganz andere Geschichte. Das heißt also, mit jemandem, der rechtskräftig verurteilt ist, in den Wahlkampf zu gehen, wäre für Deutschland als Spitzenkandidat ein Novum, zumindest für eine solide Partei. Ich glaube, das wird noch einmal lange Gesichter hier geben, aber so, wie sich die CDU festgelegt hat, hat sie nicht vor, davon abzugehen, und riskiert natürlich fast alles. Bei den letzten Wahlen waren es mehrere Tausend Stimmen, die der Opposition gefehlt haben, um die absolute Mehrheit zu verhindern. Das wird jetzt ein ganz offenes Spiel.

    Barenberg: Der SPD-Spitzenkandidat Christoph Matschie, der Parteivorsitzende bei Ihnen in Thüringen – wir haben es gerade in dem Beitrag auch gehört -, er verlangt von Dieter Althaus eine Gewissensentscheidung, ob er sein Amt als Ministerpräsident noch weiter führen kann. Zunächst mal: Ist das eine legitime Forderung?

    Lochthofen: Ja, natürlich. Die Opposition ist ja im Augenblick in babylonischer Gefangenschaft. Sie muss aus menschlichem Anstand heraus sich zurückhalten, sie kann das Thema nicht instrumentalisieren. Das führt aber dazu, dass der Wahlkampf gar nicht stattfindet, und die CDU hat ein großes Interesse, diesen Zustand so weit wie möglich in den Sommer hinein zu verlagern. Dann kommen die Ferien und dann ist in Thüringen nur noch ein kurzer Wahlkampf im August möglich. Das heißt, die Taktik der CDU ist sehr durchsichtbar und die Opposition muss natürlich aufpassen, dass sie aus lauter Anstand und, sage ich mal, auch Überlegungen, die sehr menschlich sind, nicht in die Situation kommt, dass sie gar nicht sich mit Althaus, mit der CDU auseinandersetzen können. Aber ich vermute mal, unsere Recherchen gehen darauf hinaus, dass vor Ostern möglicherweise schon die Entscheidung des österreichischen Gerichts fällt. Dadurch wird dann eine neue Situation entstehen und dann geht es richtig los.

    Barenberg: Wird denn bis dahin der Druck auf die CDU wachsen?

    Lochthofen: Er ist ja sowohl in der CDU sehr hoch, weil an der Basis man natürlich zweifelt, ob man das so durchstehen kann, und er ist natürlich von außen groß. Vor allem, sage ich mal, das unkontrollierte Hereinsickern von Informationen, allein schon die Fotos haben natürlich der CDU einen Schock versetzt. Da sah man einen gebrochenen, traumatisierten Mann auf den Fotos. Dass das nicht in wenigen Tagen sozusagen behoben werden kann, das weiß jeder. Insofern konstruiert hier die CDU im Augenblick auch verschiedenste Möglichkeiten, den Althaus trotzdem auf den Wahllisten auf Platz Eins zu haben, aber ihn nicht in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nächste Woche am Sonnabend ist Parteitag, der Listenparteitag der CDU mit Blick auf die Wahl im August. Normalerweise müsste der Kandidat Nummer Eins sagen, ja, ich trete diese Wahl an, aber er wird es nicht tun, er wird das mit Sicherheit nur schriftlich hinlegen und das wird weitere Spekulationen natürlich in Thüringen nähren.

    Barenberg: Würden Sie denn sagen, Dieter Althaus, der Ministerpräsident, ist eigentlich in der Pflicht, sich jetzt klar und deutlich zu äußern, gegenüber der Öffentlichkeit, was er bisher ja nicht getan hat?

    Lochthofen: Rein theoretisch könnten wir das beide so formulieren. Ich bin nicht in der Lage – und das ist halt die besondere Situation – , einzuschätzen, wie sein Gesundheitszustand im Augenblick wirklich ist. Ich glaube, auch die Politiker, die immer behaupten, er wird die Nummer Eins sein, die haben alle mit ihm nicht gesprochen. Es soll wohl, glaube ich, jetzt in der Woche den ersten Kontakt dazu geben, das heißt, dass die stellvertretende CDU-Vorsitzende, die Finanzministerin, das erste Mal mit ihm Kontakt aufnimmt. Wir werden sehen, welche Signale dann kommen, und wir werden dann sehen, ob man die These, Althaus wird gesund und das ist unser bester Mann, aufrecht erhalten kann, oder möglicherweise jemand sagt, jetzt ist Schluss, und eine der beiden Frauen, entweder die Finanz- oder die Sozialministerin, müssen dann höchst wahrscheinlich antreten. Aber da gibt es eine ziemlich harte Boy Group, die Althaus ergeben ist. Die wollen natürlich niemanden heran lassen.

    Barenberg: Sie haben von den Signalen gesprochen, die aus der Partei kommen, und nicht nur aus der Partei, sondern auch aus dem familiären Umfeld von Dieter Althaus. Würden Sie sagen – das ist natürlich ein schwieriges Feld -, dass das Umfeld von Dieter Althaus, dass auch die Partei seinen Gesundheitszustand im Moment politisch instrumentalisiert? Wir haben Ärzte erlebt, die politische Aussagen darüber machen, dass er wieder als Politiker aktiv sein kann, und sich über das rein Medizinische weit hinausgewagt haben.

    Lochthofen: Das ist eindeutig so, dass man das erst mal auch nutzt in dieser Situation, aber es gibt noch einen zweiten Punkt, der ist aus meiner Sicht viel brutaler. Man legt schon sozusagen die weitere Entwicklung fest, ohne auf die Gesundheit in irgendeiner Hinsicht Rücksicht nehmen zu können, denn ich kann mir vorstellen: Ein Mensch, der so etwas erlebt, der geht ganz anders in einen Wahlkampf und steht ganz anders Fragen gegenüber, die er natürlich hart gestellt bekommt. Das werden Menschen sein, die ganz normal aus dem Publikum aufstehen und fragen, wie können sie mit dieser Schuld weiter leben. Darauf eine Antwort einfach zu geben, in einer Art des Wahlkampfes, wo man aggressiv sein muss, wo man zuspitzen muss und so weiter, scheint mir sehr fragwürdig, aber das interessiert offensichtlich den normalen Parteibetrieb nicht. Das zeigt, dass Politik manchmal ganz schön gruselig sein kann.

    Barenberg: Sergej Lochthofen, Chefredakteur der "Thüringer Allgemeinen". Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

    Lochthofen: Ich bedanke mich meinerseits.