Donnerstag, 28. März 2024

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Rechtspopulisten auf dem Vormarsch

In dem Band "Rechtspopulismus - Arbeitswelt und Armut" versammeln die Herausgeber Gudrun Hentges und Christoph Butterwegge empirische Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Butterwegge glaubt, dass die gesellschaftliche Mitte anfälliger wird für rechtspopulistische Diskurse.

Moderation: Hermann Theißen | 28.01.2008
    Christoph Butterwegge: Wir haben beobachtet, dass besonders was die entsprechenden Organisationen und Parteien angeht, dass doch mehr und mehr Gruppierungen sich bilden, die sich von dem traditionellem Rechtsextremismus und auch Nationalsozialismus absetzen, distanzieren, sei es aus taktischen Gründen, manchmal aber auch durchaus aus Überzeugung, und diesen Gruppierungen, denen wird man wahrscheinlich mit dem Begriff des Rechtspopulismus eher gerecht.

    Hermann Theißen: Die gängige These sagt ja - nicht jetzt Ihre, aber die in den Sozialwissenschaften und in der Publizistik und in der Politik gängige These sagt ja - dass Rechtsradikale und Rechtspopulisten ihre Zuwächse vor allen Dingen erzielen von den Modernisierungsverlierern. Das ist ja auch eine der zentralen Fragen in ihrem Buch. Mir ist nicht ganz klar geworden, ob am Ende – weil: es gibt ja auch einen empirischen Overkill in dieser Studie - ob am Ende diese These bestätigt wird oder nicht bestätigt wird.

    Butterwegge: Ich denke, es gibt sicherlich auf der einen Seite Modernisierungsverlierer, die ansprechbar sind von rechtspopulistischen Gruppierungen, auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Menschen, die noch gar nicht verloren haben, aber Angst haben möglicherweise vor sozialem Abstieg, wenn man sieht, wie sich die Mittelschichten entwickeln, dass sie möglicherweise aufgerieben werden zwischen denjenigen, die schon sozial abgestiegen sind und die man heute als abgehängtes Prekariat sehr unschön bezeichnet auf der einen Seite - und auf der anderen Seite natürlich diejenigen, die riesige Gehälter haben, kaum Sorgen - und das muss man immer auch feststellen, der Wohlstand in unserer Gesellschaft nimmt ja gleichzeitig zu, es gibt nicht nur Armut, besonders von Kindern und Jugendlichen, sondern gleichzeitig gab es auch noch nie so viele Reiche und Wohlhabende.

    Theißen: Der Reichtum nimmt zu, die Armut nimmt zu, aber die Stabilität der Lebensverhältnisse, die nimmt bis in die Mitte der Gesellschaft rein ab.

    Butterwegge: So sehe ich das, und das trägt dazu bei, dass die Anhängerschaft bei unterschiedlichen Parteien auch eher destabil wird, das heißt, wir haben im politischen System im Grunde die Unsicherheiten, die wir auf der ökonomischen Ebene haben, spiegeln sich da auch wieder, und das birgt natürlich auch Chancen für Rechtspopulisten. Meine Prognose oder Befürchtung ist, dass dieses Problem keineswegs beseitigt ist, obwohl man etwa bei der FPÖ sehen kann genauso wie bei der Schill-Partei, die sich aufgelöst hat, dass solche Gruppierungen auf Dauer nicht stabil sind. Sich damit zu beruhigen, das befriedigt mich nicht, sondern ich befürchte, dass da auch ein Professionalisierungsschub einsetzen kann und solche Gruppieren, Pro NRW, Pro Deutschland, möglicherweise für manche auch wählbar sind, die einer rein rechtsextremen oder neofaschistischen Partei gegenüber viel zu viel Vorbehalte hätten.

    Theißen: Ich will jetzt von der Nachfrageseite der Politik auf die Angebotsseite gehen. In der letzten Woche hat der "Spiegel" in einem Artikel die NPD als Konglomerat von korrupten, kriminellen oder halbkriminellen Desperados beschrieben, denen es an jeder intellektuellen Souveränität fehlt. Sie sehen das anders. Sie unterstellen den Rechtspopulisten, Speerspitze NPD, in Deutschland, doch eine gewisse Intelligenz, eine taktische und strategische Fähigkeit, eine Modernisierungsfähigkeit und Differenzierungsfähigkeit. Überzeichnen Sie da Elemente dieser Politik, die Elemente von Popkultur etwa aufnimmt, aber doch kein richtiges Angebot hat?

    Butterwegge: Die Nachfrage wird, das ist, glaube ich, eine Lehre aus der Geschichte, letztlich immer befriedigt. Also da, wo man zum Beispiel nach einem Führer ruft, da wird auch immer einer da sein, und ich denke deswegen, dass, wenn sich die sozialen Probleme im Land durch Spaltungen zwischen Arm und Reich, auch eine Spaltung in den Städten, zwischen Stadtteilen, das vertieft sich noch - nicht in dem Maße, wie das in Brasilien oder in den USA oder auch in manchen anderen ost- und westeuropäischen Ländern der Fall ist, aber wenn sich diese sozialen Probleme aufstauen im Land, dann bietet das natürlich einen geeigneten Nährboden für Rechtsextremisten und Rechtspopulisten. Und dann fürchte ich natürlich auch, dass die lernen aus dem, was ja durchaus richtig dann beschrieben ist in dem Artikel, den Sie ansprechen, dass es bisher in solchen Parlamentsfraktionen eigentlich die Korruption gab, die man den Etablierten oder Altparteien, wie sie dort genannt werden, in solchen Kreisen vorgeworfen hat, also dass Parlamentarier der DVU eine Büromaschine abgerechnet haben, und in Wirklichkeit war es eine Waschmaschine für den privaten Gebrauch. Wenn man so was findet, heißt das ja aber nicht, dass das auch in Zukunft so sein wird. Und meine Befürchtung ist ja nicht, dass wir gewissermaßen - das historische Datum ist ja nun eines, der 30. Januar, 75 Jahre ist es her - das wir am Vorabend einer solchen neuen "Machtergreifung" stünden, das ist ja nicht meine These.

    Meine These ist, dass sich in der Gesellschaft Strömungen ausbreiten, auch mehr und mehr so Verbindungslinien da sind zwischen dem rechten Rand und der Mitte in Diskursen wie über den demografischen Wandel, den ich ja auch in dem Buch behandele, in Diskursen wie bei Eva Hermann, dass es um das Aussterben des deutschen Volkes geht, dass es darum geht, dass die Familie nicht mehr so existiert, dass Frauen in ihren Rechten und in der Emanzipation beschnitten werden sollen, sowas finden Sie alles genauso wie über Migranten-Jugendliche und zuviel Zuwanderer in der Mitte der Gesellschaft. Da ist für mich die eigentliche Gefahr, nicht dass es irgendwelche rechten Desperados aufbringen und politikfähig machen, sondern dass sich das wechselseitig ergibt, daraus dass die Mitte anfälliger wird für solche Diskurse.


    Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges (Hrsg): Rechtpopulismus, Arbeitswelt und Armut, Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
    Verlag Barbara Budrich, Opladen, 2008
    280 Seiten, 22,90 Euro