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Recycling von Glasfaser-Kunststoff
Aus Windkrafträdern wird Straßenbelag

Das Bremer Unternehmen Neocomb hat sich auf Recycling von Glasfaser-Kunststoff spezialisiert. Aus dem sind etwa Windkrafträder oder Wasserrohre gemacht. Zementwerke sind der größte Abnehmer des recycelten Materials - Neocomb verwendet es beim Straßen- oder Hausbau.

Von Simon Schomäcker | 10.02.2017
    Felder mit zahlreichen Windkraftanlagen bei Husum in Schleswig-Holstein
    Zurzeit fangen immer mehr Windpark-Betreiber damit an, ihre oft schon 20 Jahre alten Anlagen gegen modernere auszutauschen. Um das Recycling des dort verbauten Glasfaser-Kunststoffs kümmert sich Neocomb. (dpa picture-alliance/ Daniel Reinhardt)
    Eine große, hohe Fabrikhalle in einem Industriegebiet im Norden Bremens. Das Gebäude besteht aus Wellblech und Beton, Scheinwerfer tauchen den Raum in ein helles, bläuliches Licht. Es riecht nach Chemikalien, die Luft ist feucht. Laut rattern zwei mächtige Maschinen, die fast bis unter die Decke reichen. Sie zerkleinern Glasfaserkunststoff, kurz GFK. Der lässt sich nur schwer recyceln, weiß Jörg Lempke. Er ist Vertriebsleiter der Firma Neocomp, der Halle und Maschinen gehören:
    "Die Industrie hat hier einen Werkstoff entwickelt, der mehrere Vorteile hat. Der ist hoch fest, der ist zäh, der ist dauerstabil. Nicht umsonst baut die Windkraftindustrie daraus Rotorblätter, die 20 Jahre sich unter dynamischen Bedingungen drehen sollen – im Winter bei Minusgraden, im Sommer bei hoher Hitze mit UV-Bestrahlung, Hagelschlag und all diesen Dingen. Oder ein Rohrhersteller gibt 80 Jahre Garantie auf diesen Werkstoff, wenn das als Wasserrohr in der Erde eingegraben ist."
    Abfallexperten gründeten das Gemeinschaftsprojekt Neocomp
    Darum hatte sich lange niemand Gedanken darüber gemacht, wie Glasfaser-Kunststoff auch einmal entsorgt werden könnte. Allerdings fangen zurzeit immer mehr Windpark-Betreiber damit an, ihre oft schon 20 Jahre alten Anlagen gegen modernere auszutauschen. Das Lüneburger Entsorgungsunternehmen Neowa hatte darin eine Marktlücke gesehen. Gemeinsam mit ihren Bremer Kollegen von der Firma Nehlsen gründeten die Abfallexperten das Gemeinschaftsprojekt Neocomp. Bevor aber 2016 der Betrieb losgehen konnte, mussten erst einmal geeignete Anlagen her, sagt Jörg Lempke:
    "Da sind wir dann zu dem sogenannten Querstromzerspaner gelangt. Das ist ein Prallverfahren, da dreht sich eine Ankerkette, wie man sie auch von großen Seeschiffen kennt, mit einer Umdrehungszahl von 800 oder 1.000 Umdrehungen pro Minute. Und immer, wenn diese Kette auf den Werkstoff GFK trifft, wird dieser mit großer Wucht zerschmettert und zerprallt.
    GFK-Recycling ist dank automatisierter Maschinen nicht sehr personalintensiv. Insgesamt beschäftigt Neocomp deshalb nur fünf Mitarbeiter. Bei einem Rundgang durch die Werkshalle erklärt Betriebsleiter Stefan Groß den Produktionsablauf. Der beginnt am hinteren Hallenende - bei zwei großen Haufen: einer nur mit GFK-Abfällen, einer mit sogenannten Spuckstoffen. Das sind Abfallstoffe aus der Altpapier-Rückgewinnung:
    "Wenn die das Altpapier aufbereiten, da ist dann ja alles Mögliche noch mit drin – wenn es die Zellophan-Umhüllung ist oder das Klebeetikett von der Adresse oder die Büroklammern, die da noch drin sind".
    In einem dritten Schritt mischt ein großer Bagger Glasfaserkunststoff und Spuckstoffe. Dieses Rohmaterial wird anschließend, auch mit dem Bagger, in den Trichter eines Vorschredders befördert. Die Maschine sieht aus wie eine übergroße Kornmühle. Stefan Groß beschreibt:
    "Das ganz grobe Material wird da schon mal leicht vorzerkleinert und fällt hinten rüber. Und der Kollege in dem Radlader nimmt das vorzerkleinerte Material und gibt es an das Aufgabeband."
    "Viermal am Tag kommt ein großer LKW"
    Darüber gelangt das vorzerkleinerte Material schließlich in den Querstromzerspaner, wo es in dem containerartigen Gehäuse endgültig zermahlen wird. Das Endergebnis erinnert ein wenig an Rindenmulch – allerdings grau-weiß mit bunten Farbtupfern. Neocomp produziert davon rund 120 Tonnen pro Tag. Und erst in dem nun erreichten Zustand lässt sich Glasfaser-Kunststoff verbrennen. Stefan Groß erläutert, warum das wichtig ist:
    "Viermal am Tag kommt ein großer LKW, holt das Material ab und fährt das in die Zementindustrie."
    Die Zementwerke wiederum verwenden das GFK-Spuckstoff-Gemisch als Sekundärbrennstoff. Also als einen Ersatzbrennstoff, der aus Abfällen gewonnen wird. Stefan Groß:
    "Das Gute ist, Sie haben hier nicht nur Energie zum Verbrennen. Sondern aus den Abfällen von dem GFK, da haben Sie ja Glas, Sand und ein bisschen Harz als Rückstoff. Und das ist genau das Material, was die Zementindustrie auch als Rohstoff benutzt".
    3,5 Millionen Euro Umsatz konnte Neocomp 2016 schon auf diese Weise machen.Das nächste Ziel des Unternehmens ist, den Kundenkreis auch über die Zementindustrie hinaus zu erweitern, betont Jörg Lempke. Glasfaserkunststoff-Abfälle lassen sich nämlich auch anderweitig verwenden:
    "Es gibt Unternehmen in Belgien beispielsweise, die stellen daraus Bahnübergänge her, da sind dann die Schwellkörper in den Gleisen mit gemeint. Es gibt auch Unternehmen, die wollen diese Glasfaserschnipsel haben, um daraus Bauplatten herzustellen, aus denen Wohncontainer für die UN hergestellt werden sollen. Und es gibt Versuche, dieses Material in Beton einzuarbeiten, um Stahlbewährungen zu ersetzen".
    Zementwerke vorerst größter Abnehmer von GFK-Abfällen
    Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der auch eine strengere Materialkontrolle bedeutet, räumt Lempke ein:
    "Eigentlich wissen wir nie, was in dem Container drin ist, der uns hier angeliefert wird. Beziehungsweise wir wissen genau, dass dort große Unterschiede herrschen. Glasfaser ist nicht gleich Glasfaser, und es sind andere Dinge da drin, die diesen Werkstoff in seiner Qualität ausbilden".
    Deshalb werden die Zementwerke vorerst der größte Abnehmer von GFK-Abfällen bleiben. Denn für die Zementproduktion spielen Materialunterschiede keine Rolle. Was früher einmal ein Windrad war, findet dann neue Verwendung als Straßenbelag oder beim Hausbau.